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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 27
51. Jahrgang | Aug./Sep.
ver.die
Fachgruppe Musik
Ich loop mir einen Ton
Fried Dähns electric cello mehr als eine Übersetzung
Es haucht und säuselt, rauscht und summt, und plötzlich füllt den Raum ein Atmen und zwingt
einem seinen Rhythmus auf. Man atmet mit, erst langsam, dann schneller, und lässt sich mitnehmen auf eine
imaginäre Reise in die Nacht, eine Einkehr in innere Orte, so Fried Dähn, einer der bekanntesten
E-Cellisten Deutschlands. Nicht durch Mund und Nase strömt die Luft, sondern der Bogen, gestrichen auf
dem Steg des elektrischen Cellos, mannigfach verstärkt, erzeugt diesen unwiderstehlichen Sog.
Fried Dähn und sein Instrument: frappierende Klangfülle. Foto:
ver.di
Die Möglichkeiten des klassischen akustischen Cellos zu erweitern und in eine neue Klangdimension vorzudringen,
war Dähns Intention, als er sich nach seinen Plänen ein elektrisches Cello bauen ließ. Dass
die Voraussetzung hierfür das perfekte Beherrschen des Instruments sei, müsse er wohl nicht betonen.
Und so verleugnet der Solo-Cellist bei der Württembergischen Philharmonie Reutlingen durchaus nicht seine
klassischen Wurzeln. Irgendwann aber war er es leid, nur nach Noten zu spielen und nach der ersten Geige zu
tanzen. Eine eigene Klangwelt wollte er sich schaffen, einmalig, immer wieder neu. Wer heute sein mobiles Homestudio
betritt, begreift, zwischen welch unterschiedlichen Welten der Musiker unterwegs ist. Ein PC und ein Laptop
stehen neben verschiedenen Verstärkern, Mischpulten und Keyboards, an der Wand ein Panorama der Milchstraße;
mittendrin das E-Cello. Schlank, ohne Bauch, aber sonst mit allem ausgestattet, was ein richtiges
Cello ausmacht, lehnt es da, als ob es schon für ein Bild von Bracques Modell gestanden hätte.
Ich loop mir einen Ton mit dem Fuß verschiebt Dähn eine Taste, ein Summen ertönt,
er nimmt das Cello zwischen die Knie, streicht über die Saiten, und der bizarre Apparat verwandelt sich
in ein Instrument von frappierender Klangfülle. Von der eingeblendeten Terz aus der Retorte bis hin zu
einem virtuellen Kammerorchester führt Dähn die ganze Bandbreite seines E-Cellos vor. Aber nie drängt
sich die Technik in den Vordergrund, sie unterstützt und untermalt die konventionell erzeugte Musik und
überträgt sie in andere Klangwelten: Bach auf dem Mars. Wir fliegen mit, beglückt, wie der warme
Celloklang, ins Unendliche gesteigert, umrauscht von der fremden Geräuschkulisse, eine Harmonie hervorruft
im Hier und Jetzt. Der Funke aber, so Dähn, springt nur über, wenn der Musiker ebenso berührt
ist, wie sein Publikum, wenn der Atem sich über ihn auf seine Zuhörer überträgt. Diesen
fast ekstatischen Zustand erreicht er vor allem zusammen mit Klaus Feßmann und Manfred Kniel im Klangsteinensemble
Cantus Lapidum. Gesteinsblöcke aus Granit, Serpentinit und Travertin, wie Kämme zersägt
und durch Berühren und Streichen ähnlich einer Glasorgel zum Klingen gebracht, schaffen im Zusammenspiel
mit E-Cello und Schlagwerk aus Stein ein sakral anmutendes Klanggewölbe.
Zurück auf der Erde wartet Dähn aber noch mit einer weiteren Dimension seiner Klangforschungen auf:
Mit Hilfe von PC und Laptop kann er die Möglichkeiten der Software als Klangerzeuger nutzen. Eine grafische
Partitur lässt sich per Mausklick in Geräusche und Töne übersetzen und mit verschiedenen
Instrumenten zu einem Klangstück komponieren. Dähns spielerische Experimentierfreude kommt voll zur
Geltung, wenn er electronic cello, drum programming, keyboards, voice editing and sampler einsetzt,
und manchmal sitzt ihm auch der Schalk im Nacken. So beginnt die Nachtmusik auf der gleichnamigen
CD mit einem kleinen Telefonanruf: Hallo ... du machst schöne Musik, aber ein bisschen stressig ...,
und dann heizen einem elektronische Trommelrhythmen richtig ein, kratzen Geräusche an den Nerven, bevor
ein Ostinato plötzlich Ruhe einkehren lässt und von einer wunderbaren Cello-Kantilene umspielt wird
aber dann erfährt man von Dähn, dass außer der Stimme alles mit dem E-Cello gemacht
ist.
Sprache dient ihm auch sonst als weites Experimentierfeld. Wörter und Sätze, im Synthesizer zerstückelt
und über die Laptop-Klänge gelegt, erzielen, ihrer ur-sprünglichen Bedeutung beraubt, eine neue
Wirkung. An einem Gedicht von Hermann Hesse demonstriert er, wie das klingt: Einzelne Wörter werden herausgenommen,
zerdehnt und zerschnippelt, durch Geräusche unterbrochen, übertönt oder betont und immer wieder
eingehämmert. Von Ernst Jandl kennt man das schon auf der reinen Sprachebene; Dähn deutet das Gedicht
Hesses ganz neu und überträgt es in eine Klanginterpretation, eine nach seinem Empfinden assoziationsreichere
Sprache.
In eine bestimmte musikalische Schublade lässt er sich bewusst nicht schieben. Er ist offen für
fast alles, was man hören kann. Von Klassik über Jazz und Rock einmalig seine Tournee mit Frank
Zappa 1992 spannt sich der Bogen bis zu seinem Klangsteinprojekt, neulich habe er sogar in einer Disco
gespielt und die Leute hätten getanzt. Zugunsten einer Dozentur an der FH Schwäbisch-Hall in dem Fach
Audiogestaltung und Sounddesign hat er seine Stelle bei den Württembergischen Philharmonikern auf 50 Prozent
gekürzt.
Zahlreiche Konzertverpflichtungen, zum Beispiel jüngst beim Potsdamer Jazzfestival oder beim renommierten
Kammermusikfestival Büsingen, zwingen ihn oft zu einem logistischen Balanceakt: Wie bringe ich verschiedene
Keyboards, Verstärker, Laptop, PC, Boxen, Saxophon und ein E-Cello, nein, nicht in einen VW, aber doch
in einen möglichst handlichen Transporter? Die Kisten sind gepackt, sagt Dähn ein paar
Tage vor Potsdam, das mobile Kammerensemble ist zur Abfahrt bereit, jetzt muss nur noch der passende Lastwagen
organisiert werden. Und man könnte wetten, dass ihm sogar das Brummen des Motors und das Rollen der Räder
zu Musik wird.
Kiss
my Guarneri (Solo) Nachtmusik
(Solo) 9
Quartets (Müller/Swoboda/Dähn/Kniel)
Alle erschienen bei der Edition Musikat, Stuttgart, Tel. 0711/24 0709