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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 38
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Weltmusik
Perlen aus der Türkei
Neue CDs: Dreimal Jüdische Liturgie
Manch einer mag sich denken, dass zu einer gut ausgestatteten jüdischen Gemeinde ein Kantor gehört,
gelegentlich noch ein Chor sowie eine Orgel. Nur: wie mag sich das anhören? Frisch auf dem Markt ist eine
CD mit historischen Aufnahmen aus der sephardischen Tradition; außerdem werden zwei ältere CDs aus
der aschkenasischen Richtung vorgestellt.
Die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden fanden rund ums Mittelmeer im Osmanischen Reich bis nach Sofia als
gebildete Leute und qualifizierte Handwerker freundliche Aufnahme. Daraus resultierte das Genre der judeo-arabischen
Musik, also arabisch klingender Musik mit jüdischen Inhalten und gegebenenfalls hebräischen Texten.
Der aus Algerien stammende, vor einigen Jahren verstorbene Albino Blond-Blond wurde in Frankreich fast wie ein
Popstar gefeiert und zur franko-arabischen Abteilung gezählt. Dem entsprechend gibt es auch ottomanisch-jüdische
Musik, die sich der Makamlar (arabisch Maqamat) bedient, der regional sowie nach Anlässen et cetera durchaus
vielfältigen Tonvorräte sowie des typisch türkischen Usul, der mitunter durchaus
komplizierten rhythmischen Organisation, über die die klassische arabische Musik nicht verfügt. Auf
Cantor Isaac Algazi: Sweet Singer of Israel (Wergo SM 1622 2) sind 25 Aufnahmen aus den späteren
20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder veröffentlicht, als das Grammophon sämtliche Mittelmeer-Staaten
erobert hatte.
Das Medium aus Schellack begrenzte die Titel auf drei Minuten; dennoch zeigen diese Perlen den 1889 in Izmir
geborenen, 1950 in Montevideo gestorbenen, professionellen Kantor als einen besonderen Stern am Himmel klassischer
osmanischer Musik. Im Wesentlichen singt er Liturgisches, etwa Gebete für die hohen Festtage, auf Hebräisch,
aber auch einige Lieder in Ladino, dem Judenspanisch. Begleitet wird er überwiegend von der Zither Kanun
oder der Laute Oud, aber auch mal von Chor, Oud und Geige, oder gar von Oud und Klavier, was sich freilich weniger
türkisch anhört. Das Begleitheft gibt interessante Informationen und nennt gelegentlich auch Urheber,
etwa aus dem 12. Jahrhundert. Ergänzt sei, dass Kemal Atatürk, der sich unter anderem mit Algazi beriet,
wenige Jahre später die gesamte klassisch-osmanische Musik in der Öffentlichkeit verbot, weil er den
jungen türkischen Staat nach Westen trimmen wollte.
Doch die Türken behielten ihre Platten, und Gott sei Dank die türkischen Juden auch.
Aus der anderen Richtung stammen zwei ältere CDs, die zeigen, dass die mitteleuropäischen Juden sich
durchaus auch von der Romantik beeinflussen ließen jüdisches Leben gehört eben untrennbar
zu unserer Kultur, wohingegen auf Möllemanns Unkultur unschwer zu verzichten ist. Mit Adolphe Attia:
Les grandes fêtes liturgiques juives (Le Chant du Monde LDX 2741033/inak) präsentiert sich
der stimmgewaltige Kantor der Grande Synagogue de la Victoire in Paris mit Chor und Orgel. Und Hans Bloemendal
ist der nicht weniger faszinierende Kantor der niederländischen Hauptsynagoge in Amsterdam (CD The
Jewish Song, Philips 442 489-2/PMS), der neben hebräischen Hochzeitsgesängen oder Synagogalgesängen
auch einigejiddische Lieder bietet; sechs Lieder singt er im Duett mit seinem 12-jährigen Sohn, bei den
anderen wirkt der Synagogalchor mit.