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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 37-38
51. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Fragmente, Inseln, Erkundungen
Peter Ruzickas erste Saison in Salzburg
Als Gerard Mortier 1992 begann, die Salzburger Festspiele nach
seinen künstlerischen Vorstellungen zu gestalten, stand er
vor einer ebenso leichten wie schweren Aufgabe. Einfach war es,
sich von der inhaltlichen Erschöpfung der späten Karajan-Ära
sowie der darauf folgenden Interimszeit abzusetzen, schwieriger
gestaltete sich das Verhältnis zum Publikum, dessen älterer
Teil nicht bereit schien, die gewohnten Kreise zu verlassen und
sich neuem zu öffnen. Konflikte waren vorprogrammiert, diese
erfassten schließlich sogar die Wiener Philharmoniker, die
ihre zentrale Rolle in Salzburg bedroht sahen und entsprechend heftig
reagierten und agierten, bis hin zur Drohung, Salzburg künftig
meiden zu wollen und in Wien ein eigenes Festival zu etablieren.
Im Großen und Ganzen
zufrieden: Peter Ruzicka. Foto: Charlotte Oswald
Jetzt hat der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka, auch als Intendant
so wichtiger Institute wie der Hamburgischen Staatsoper und der
Münchner Biennale für neues Musiktheater erfahren, in
Salzburg die künstlerische Verantwortung für die Festspiele
übernommen. Auch Ruzicka steht vor einer zugleich leichten
wie schweren Aufgabe. Ästhetisch und programmatisch kann er,
natürlich mit eigenen Schwerpunktsetzungen und Vorlieben, an
die Mortier-Dramaturgie anknüpfen: Modernes Musiktheater mit
modernen Regisseuren, Bühnenbildnern, aufgeschlossenen Dirigenten,
moderne Musik in den Konzerten oder in eigenen Reihen, die Ruzicka
gern als „Inseln” bezeichnet, die Einbeziehung des Tanz-Theaters
ins Festspielprogramm, ein reich facettiertes Schauspielangebot,
für das Ruzicka den Regisseur und Theaterleiter Jürgen
Flimm gewinnen konnte.
Schwerer stellt sich für Ruzicka die Publikumsfrage. Mortier
brauchte nur die „Alten” zu vergrollen, dafür kamen
mehr und mehr aufgeschlossene Besucher, die sich über Messiaens
„François d’Assise”, Janáceks „Totenhaus”,
Busonis „Doktor Faust”, über die genialischen Wernicke-Inszenierungen
der „Trojaner” von Berlioz oder Mussorgskijs „Boris
Godunow” begeisterten – um nur einige der wichtigsten
Inszenierungen der Mortier-Ära zu nennen. Erst als Hans Neuenfels
zum Finale das österreichische Sylvester-Heiligtum der „Fledermaus”
aus der Sicht auch gutwilliger Zuschauer „schändete”,
geriet die Front der Mortier-Freunde ins Wanken.
Ruzickas Anmerkungen zu dieser „Fledermaus”, mit denen
er sich, nicht ungefährlich und auch nicht unbedingt fair,
von der Inszenierung distanzierte, wirkten aber wohl beruhigend
auf die Gemüter. Jedenfalls gewann man in vielen Gesprächen
bei den diesjährigen Festspielen den Eindruck, als böte
Ruzicka dem Publikum das Kontrastprogramm zu Mortier, was natürlich
so nicht stimmt.
Aber die „Leute” wollten es wohl so sehen, der Andrang
zu den Aufführungen war gewaltig, die meisten Vorstellungen
meldeten ausverkauft – wobei zu bedenken ist, dass die Festspiele
in diesem Jahr, warum auch immer, insgesamt rund 40 bis 50 Veranstaltungen
weniger anboten. Zu konstatieren war jedenfalls, dass sich im Publikum,
stärker als zu Mortier-Zeiten, wieder ein Besucher-Typus eingefunden
hatte, für den Theater und Musik vor allem einen Akt der Repräsentation
darstellen. Man kann endlich wieder nach Salzburg fahren –
so die Devise. Die allgegenwärtige Präsenz potenter Sponsoren
mit Luxuslimousinen, Foyerempfängen, Modeschick und sogar noch
in der Ansage vor jeder Vorstellung, dass man doch, bitte, das Mobiltelefon
ausschalten möge, verstärkt diese Befürchtung, dass
die Festspiele ohne lange Verzögerungszeiten zum “Event”
degenerieren könnten. In seiner Festrede bei der Eröffnung
der Festspiele – ungewöhnlich, dass der Festspielintendant
auf dem Empfang der Regierung die traditionelle Festansprache hält
– sprach Peter Ruzickas in seiner ruhigen Art das „Problem”
für die Festspiele ohne Umschweife an, ohne auf Protest zu
stoßen.
Das ist wohl der Unterschied zu Mortier: wo dieser streitlustig
polemisierte und in Briefen sogar das Staatsoberhaupt attackierte,
wählt Ruzicka den Ton der Diplomatie: indem er zu bedenken
gibt, suggeriert er dem Publikum eigenes Bedenken, was verständnisvoll
zustimmendes Kopfnicken auszulösen pflegt.
Das erscheint als Strategie nicht ungeschickt, öffnet aber
auch eine Kehrseite: Wer in sein Festspielprogramm eine „Wagner-Gala”
mit Domingo, Waltraud Meier, James Levine und der „Met”
aus New York aufnimmt, wer mit dem Opern-und Lebens-Liebespaar Roberto
Alagna und Angela Gheorghiu in eine konzertante Aufführung
von Gounods “Roméo et Juliette” lockt, wer die
Wiener Philharmoniker unter Ricardo Muti noch einmal Verdis „Requiem”
spielen lässt (sehr kammermusikalisch, aber auch sehr pauschal
im Ausdruck), wer ebenfalls die „Wiener” zweimal mit
Anne-Sophie Mutter als Dirigentin und Solistin bei Mozarts Violinkonzerten
anbietet – der braucht sich nicht zu wundern, dass ein Publikum
herbeiströmt, das man eigentlich gar nicht möchte, das
aber bereit ist, ohne zu zögern die absurd hohen Preise für
die Tickets zu entrichten, die in der Regel sogar noch einen Überschuss
erbringen, mit denen weniger attraktive Darbietungen querfinanziert
werden können.
Dieses Problem zu lösen, gleicht der Quadratur des Kreises,
und auch Mortier ist es nicht immer gelungen. Nachträglich
muss man sich sogar wundern, dass es ihm und Hans Landesmann gelungen
ist, trotz eines avancierten Gesamtprogramms am Ende eine ausgeglichene
Bilanz vorzulegen.
Andererseits verschlechtern sich die finanziellen Rahmenbedingungen
für die Festspiele derzeit von Jahr zu Jahr – bei steigenden
Kosten. Ruzickas verkleinertes Programm mag eine Reaktion auf die
Kürzung der öffentlichen Gelder sein. Besonders produktiv
scheint einem diese Sparsamkeit in Anbetracht auch der wirtschaftlichen
Bedeutung der Festspiele nicht zu sein.
Sie nehmen etwa siebzig Prozent ihres Etats an der Kasse und von
Sponsoren ein, und von der Umweg-Finanzierung via Hotelübernachtungen,
Gastronomie und Luxusgeschäften melden wortreich erstellte
Gutachten immer wieder einmal wahre Wunderzahlen, neben denen der
staatliche Zuschuss zum Erinnerungswert zu schrumpfen droht. Das
will einem Außenstehenden alles recht widersinnig und kontraproduktiv
erscheinen. Aber im Kuratorium der Festspiele sitzen ja finanzerfahrene
Fachleute, die diese Zuschuss-Mechanistik einmal kritisch durchleuchten
könnten.
Die künstlerische Bilanz der ersten Ruzicka-Saison kann sich
– lässt man einmal die genannten ästhetischen Billig-Angebote
beiseite – durchaus sehen lassen. In der nächsten Ausgabe
sollen die wichtigsten Ereignisse ausführlicher erörtert
werden.
Zemlinskys „König
Kandaules”
Hier nur einige Stichworte: Mit Zemlinskys „König Kandaules”
gelang der geplante Zyklus der „vergessenen” Exil-Komponisten
szenisch eindrucksvoll, interpretatorisch etwas zu eindimensional,
musikalisch überragend (Dirigent: Kent Nagano, Regie: Christine
Mielitz; siehe Bild auf der vorigen Seite). Ruzickas „Insel”-Dramaturgie
– für bestimmte Werkreihen ist jeweils eine „Insel”
reserviert – bietet auf einem zweiten Eiland drei große
Mozart-Opern mit Nikolaus Harnoncourt als Dirigenten und Martin
Kusej als Regisseur. Der „Don Giovanni” liegt vor und
hinterließ unterschiedliche Eindrücke: Die Frage bleibt,
inwieweit man das Stück aus seinem Faltenwurf lösen kann,
ohne dabei in ein nur noch abstraktes Figurenspiel zu geraten, dessen
Perspektiven flach erscheinen. Vokal und orchestral besaß
die Aufführung absolut Festspielformat. Zu begrüßen
ist auch, dass Ruzicka in Salzburg einmal die Probe auf den späten
antikischen Richard Strauss ansetzt, auf „Daphne”, die
„Ägyptische Helena” und zum Entree auf „Die
Liebe der Danae”, deren „Heitere Mythologie” Günther
Krämer mit elegantem Witz und viel Hintergrundwissen in die
geschichtsträchtigen Entstehungszeiten des Werkes – 1944
Generalprobe im „Totalen Krieg”, 1952 Urauffürhung
in Salzburg, 2002 Neuinszenierung für Salzburg nach fünfzig
Jahren – verlegte. Auch musikalisch (Dirigent: Fabio Luisi,
Dresdner Staatskapelle) erscheint das Werk heute doch um einiges
interessanter und mehrschichtiger als bisher in oberflächlich
pauschaler Beurteilung angenommen. Dass Ruzicka nach der Mortier-Abstinenz
wieder Puccini für Salzburg vorsieht, ist künstlerisch
nur zu begrüssen. Wenn ein Luciano Berio es als Ehre und Herausforderung
betrachtet, das fragmentarische Finale neu zu komponieren, sagt
das eigentlich genug über die Bedeutung des Komponisten Puccini:
Berios Komposition greift mit hoher Sensibilität den musikalischen
Gestus der „Turandot”-Musik auf, was dazu zwingt, auch
die von Puccini stammenden Akte auf Berios Imaginationen hin zu
gestalten. Valery Gergievs Neigung zum exzessiven Fortissimo-Spielen
steht solcher kontrollierten Klang-Form-Gestaltung leider ziemlich
entgegen. In den Konzerten erschien der Anteil moderner Komponisten
vergleichsweise klein. Immerhin präsentierten sich in der Konzertreihe
„Austria Today“ ein halbes Dutzend junger und nicht
mehr ganz so junger östereichischer Komponisten.
Georg Friedrich Haas‘ Ensemble-Stück „in vain”
ist einfach ein grandioses Werk, ist grosse Musik. Darüber
und über die Lachenmann-Werkschau am Ende der Salzburger Festspiele
wird noch umfassend zu berichten sein.