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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 52
51. Jahrgang | September
Oper & Konzert
München: Stadt, Land, Fluss
Ein Kultursommer im Zeichen der Haushaltssperre
Nun hat es also auch München erwischt – jene Stadt,
die doch immer fürs Leuchten zuständig war. Im Zeichen
von Laptop und Lederhose war man spendabel und konnte sich manches
gönnen, was bei nord- oder ostdeutschen Schwestern mehr als
nur Neidgefühle verursachte. Doch plötzlich und scheinbar
überraschend bricht auch über diese kulturelle Vorzeigestadt
Deutschlands das wirtschaftliche Unwetter herein, lodern die Blitze
sinkender Steuereinnahmen; das Ende scheint nah.
Dass es nicht ganz so schlimm kommen wird, dafür wird gesorgt
werden. Dennoch ist mehr als nur der Anlass gegeben, die Frage zu
stellen, welche Auswirkungen dies auf die Stadt im Einzelnen, ja
auf die Kultur über München hinaus im Besonderen, haben
wird. Sommerzeit ist Festivalzeit, und davon haben wir in Deutschland
über 300. Wie viele davon brauchen wir, welche wollen wir und
wer ist „wir“? Diesen Punkten nachzugehen, bietet sich
exemplarisch an bei zwei Prototypen deutscher Festivalkultur: einer
städtischen – wie München – und einer ländlichen
– wie der in Bad Kissingen.
Das alte Kinderspiel Stadt, Land Fluss lässt sich hier erweitern
um kulturelles Selbstverständnis oder politisches Anliegen.
Wenn städtische Kämmerer, staatliche Finanzminister oder
ihr jeweiliger kulturverantwortlicher Gegenpart über Finanzierungslücken
und staatliche Zuschüsse nachdenken, werden grundsätzliche
Rahmenbedingungen unserer staatlichen Kulturordnung angesprochen.
Dass dabei Deutschland ein Kulturstaat ist, wird sicherlich jeder
Politiker – zumal in Zeiten des Wahlkampfes – emphatisch
unterstreichen. Wenn dann aber konkret umgeschichtet werden soll,
geht es inzwischen um mehr als nur Rundungsdifferenzen. Festivals
haben sich zu erklären, Festivals brauchen Erfolg und Publikumszuspruch.
Wobei das eine mit dem anderen nicht unbedingt deckungsgleich sein
muss. Die Zuständigkeits-Vielfalt bringt es mit sich, dass
München als Landeshauptstadt von zwei Geldgebern zehren kann,
die ein unmittelbares Interesse am Festival als Wirtschafts- und
Standortfaktor haben. Und so leuchten die Münchner Opernfestspiele
trotz Haushaltssperre, weil sich ein bayerisches Ministerium finanziell
verantwortlich zeichnet.
Mit insgesamt 19 Musiktheaterproduktionen, vielen davon ausverkauft,
spielt die Bayerische Staatsoper mit in der Champions League der
europäischen Kulturstädte. Glanzvoller Premierenauftakt
nach dem zeitgenössischen Versuchsballon, Hans Jürgen
von Boses „K. Projekt 12/14“, war die Walküre des
von Herbert Wernicke zu verantwortenden Ring des Nibelungen. Nach
dessen Ableben wurden seine Konzepte von Hans-Peter Lehmann, ehemals
Intendant in Hannover, fortgeführt. Womit im Grunde genommen
zur regiemäßigen Umsetzung nahezu alles gesagt wäre;
und so soll David Alden nicht nur den Münchner „Ring“
komplettieren, sondern auch „Das Rheingold“ und „Walküre“
einer Runderneuerung unterziehen. Musikalisch war man mit Zubin
Mehta, Peter Seiffert (Sigmund) und der überwältigenden
Waltraud Meier auf der sicheren Seite und konnte einen künstlerischen
Achtungserfolg erzielen.
Die zweite Festpielpremiere, Igor Strawinskys „The Rake’s
Progress“, stand das letzte Mal im März 1976, noch unter
Günther Rennert, auf der Inszenierungliste. Das Trio Martin
Duncan (Regie), Ultz (Bühne und Kostüme) und Ivor Bolton
(Musikalische Leitung) sorgten für den notwendigen englischen
Touch. Man sang in englischer Sprache und auch sonst wurde nicht
sehr viel ausgelassen, was sich der deutsche Normalbürger unter
englischen Zuständen vorzustellen vermag. München ist,
dank Peter Jonas, bezüglich der Oper eine englische Provinz
geworden und genießt dieses kulturelle Fernweh. Ob Strawinskys
artifizielle Neo-Klassik in seiner auch inhaltlichen Anlehnung an
die Form der Nummernoper eines Haydn oder Mozart so viel britische
Pop-Art verträgt, sei dahingestellt, wenn diese aufgefangen
wird von einer musikalischen Umsetzung, wie im Münchner Prinzregententheater
geschehen.
Ian Bostrigdge gibt einen kühl distanzierten Tom Rakewell in
der Rolle des groß gewordenen Muttersöhnchens. William
Shimells Nick Shadow ist weniger dämonisch, ist technokratisch
kühl. Und was den einen an herzlicher Wärme abgeht, bringt
Dorothea Röschmann als Anne Trulove ein, deren sinnliche Melodik
die übrigen Protagonisten mühelos an die Wand singt. Das
Bayerische Staatsorchester fühlte sich gut aufgehoben unter
der präzisen Stabführung von Ivor Bolton und das Publikum
klatschte heftig Beifall.
Wer glaubt das (fälschlich so genannte) flache Land, wer
also glaubt die unterfänkische Provinz könne mit der Landeshauptstadt
nicht mithalten, der kennt Bayern nicht, das nicht nur im Verhältnis
zu den anderen Bundesländern, sondern auch im Inneren die föderale
Struktur groß schreibt. Und so leisteten sich die Wittelsbacher
vor einhundert Jahren in Bad Kissingen den selben Baumeister wie
die Münchner Bürger für ihr Prinzregententheater;
und so versteht sich der diesjährige 17. Kissinger Sommer als
ebenbürtige Alternative zum großstädtischen Kulturfestival.
Dass auch der Kissinger Sommer sein Publikum braucht, ist selbstverständlich,
dass die überwiegende Anzahl der Konzerte in der vierwöchigen
Veranstaltungsreihe ausverkauft ist, ist der hohen Attraktivität
des Programms, aber auch dem Engagements der Kissinger selbst zu
verdanken. Und so überrascht es nicht, dass die Künstler
den Kissinger Sommer nicht nur wegen der phänomenalen Akustik
des Regentsaales schätzen, sondern auch wegen seiner angenehmen
Atmosphäre. Eine Künstlerin, wie Cecilia Bartoli, ließ
es sich nicht nehmen, zweimal zu Gast zu sein, ebenso wie Waldtraud
Maier. Mit ihrer „Huldigung an Farinelli“ veranstaltete
die Bartoli ein Spitzenfeurwerk, das Werke von Nicola Porpora ebenso
umfaßte, wie selten Gehörtes von Gioacchino Rossini.
Nikolay Znaider (Violine) und das BBC Symphony Orchestra unter
Jiri Belohlavek begeisterten mit Brahms, das Rosamunde Quartett
überzeugt mit Schubert und Beethoven (cis-Moll Op.131) und
auch Zeitgenössisches hatte seinen Raum, so in der bereits
traditionellen „Langen-Komponisten- Nacht“ mit Werken
von Peter Ruzicka, Judith Weir, Wolfgang Rihm, György Ligeti,
Hans Werner Henze, Tobias PM Schneid und Wilhelm Killmayer.
Der Bedarf an guter Musik, gut konzipierten und organisierten
Festivals ist ungebrochen; die Musik hat also ihr Publikum und es
bleibt zu hoffen, daß auch das Publikum des Festspielsommers
2003 seine Musik wird erleben können, in der Stadt, am Land
oder Fluss.