[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 4
51. Jahrgang | September
Cluster
Kinners, Kinners
Im kulturellen Bildungsprozess der westlichen Kultur der Gegenwart
hat man in letzter Zeit bemerkenswerte Bewegungen beobachten können.
Kinder und Jugendliche wurden als Zielgruppe auch in der Musik neu
entdeckt. Die Jeunesses musicales startete ihre Initiative „Konzerte
für Kinder”, die PISA-Studie zeitigte für die deutsche
Schülerschaft – im Weltvergleich gesehen – niederschmetterde
Ergebnisse. Eine ganze Generation scheint wie gelähmt vor sich
hinzudämmern und diesem dösigen Nichtwählervolk tritt
man nun gerne auf die Füße: Kommt in die Puschen Kinners!
Die Ergebnisse der aktuellen Shell-Jugendstudie zeigen einen deutlichen
Anstieg von ehrgeizigen Heranwachsenden gegenüber einer an
der Nullbockmentalität ausgerichten Lebensweise. Die heutigen
Heranwachsenden sind stärker motiviert als die Heranwachsenden
in älteren Studien. Motiviert, nur zu was? Markenkleidung tragen,
Karriere machen? Ist doch nicht alles so schläfrig?
„Be a star” fordern die Popstarmusikmacher von RTL
II und haben intuitiv die Lage – vor allem für sich selbst
– erkannt. Doch was hört man nun von Plattenfirmenoberheinis
auf der Popkomm: Nur 14 Prozent des Umsatzes mache die in der Popmusikindustrie
medientechnisch so hochgeschätzte Zielgruppe der Jugendlichen
(der 10- bis 19-Jährigen) aus. Also die Jugendlichen doch abhaken
und den „Konzerten für Kinder” eine Initiative
„Popmusik für Erwachsene” gegenüberstellen,
die eben mehr kaufen und weniger „illegal downloaden”?
Nötig wäre es schon, wenn man den Alterungsprozess manches
Zeitgenossen miterleben muss, der an seiner dicken Vinyl-Plattensammlung
aus Zeiten des Beatclubs mental und akustisch kleben geblieben ist.
Doch mit welcher Popmusik sollte das gehen?
Die Shellstudie meint: „Ideologie sei out” und damit
haben die so erforschten Heranwachsenden ein Wertebewusstsein übernommen,
das auch in der Erwachsenenwelt der Musikindustrie eine übliche
Haltung ist. Ei ist Henne, Henne ist Ei. So gesehen ist die von
der Industrie künstlich erzeugte Plastik-Popmusik ein Auslaufmodell
in der kulturellen Sackgasse, das in seiner Selbstbezüglichkeit
dem Untergang geweiht ist. Von Nichts kommt nichts, und aus Nichts
wird nichts. Industrielle, wertneutrale Popmusikindustrie, go home,
geh’ sterben.