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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 12
51. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Sängerkrieg in Leipzigs Alter Handelsbörse
„Wettbewerb für Hobby-Sänger“ – Endausscheid
23. Juni 2002 Alte Handelsbörse
Singen ist menschlich! Und: Singen ist eine ebenso individuelle,
wie emotionale Form sich zu entäußern. Schon dem Gesang
des Orpheus konnte sich keiner entziehen – nicht einmal Hades,
der Herrscher der Unterwelt, der dem Sänger bekanntlich seine
verstorbene Gattin zurückgab. Auch die Sirenen setzten ihre
Sangeskunst auf der Jagd nach Seefahrern überaus effektiv ein,
und Homer galt der Sänger gar als „göttlich“.
Da scheint es nur logisch, dass beim menschlichen Embryo in der
Tat zuerst(!) die Stimmbänder und danach das Ohr ausgebildet
werden. Was die vox humana bewirken, was sie an Emotionen freisetzen
kann, das hat wohl jeder von uns auf die eine oder andere Weise
schon einmal erfahren. Andererseits: Wer ist sich seiner stimmlichen
Potenz heutzutage schon noch bewusst? Offenbar doch mehr Menschen
als man erwartet!
Zu diesem Schluss muss kommen, wer den vom C.F. Peters-Verlag initiierten
„Wettbewerb für Hobby-Sänger“ mitverfolgt
hat. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, dass dieser Wettbewerb
für Hobby-Musiker aus einem Notstand heraus erdacht wurde:
Das Dilemma mangelnden Musikunterrichts an deutschen Schulen ist
inzwischen hinlänglich bekannt und wirkt sich negativ auf die
Laien-Musikszene aus. Hier besteht Handlungsbedarf – das war
lange vor den Ergebnissen der PISA-Studie klar! Aus eben diesem
Grunde fanden sich vor zwei Jahren Frankfurter Verleger, Medienvertreter,
Künstler und Pädagogen zusammen, um genau dagegen etwas
zu unternehmen. In erster Linie wollten sie musikalischen Laien
ein Podium verschaffen, ihr Können einmal öffentlich zu
demonstrieren. Für Musiker, die oft jahrelang „nur“
aus Spaß an der Freude neben Schule, Studium, Beruf und Familie
im stillen Kämmerlein ihrem Hobby frönen, kann das ein
enormer Motivationsschub sein!
Zunächst also wurde der Wettbewerb für Amateur-Pianisten,
dann für Hobby-Sänger, schließlich auch für
Kammermusik-Ensembles ausgeschrieben. Und jedes Mal stießen
die Veranstalter in Frankfurt (a. M.) mit ihrem „Fest der
Musik“ auf große Resonanz, waren die Finalkonzerte in
der Alten Oper zumeist restlos ausverkauft. Die Zahl der Anmeldungen
lag zwischen knapp 100 bei den Pianisten und über 300 bei den
Sängern. Warum also sollte das „Frankfurter Modell“
nicht auch woanders funktionieren – etwa in der Musikstadt
Leipzig?! Gesagt, getan. C.F. Peters war sich ziemlich sicher, auch
in Mitteldeutschland ausreichend couragierte und enthusiasmierte
Laien-Sänger für diesen Wettstreit interessieren zu können.
Ganz so viele Teilnehmer wie in Frankfurt meldeten sich am Ende
zwar doch nicht, aber immerhin – 51 Sänger/-innen kamen
am letzten Mai-Wochenende nach Leipzig (37 davon aus Sachsen!),
um sich in zwei nicht-öffentlichen Durchgängen und einem
öffentlichen End-Ausscheid der Profi-Jury vorzustellen. Wann
sonst hätten sie auch die Gelegenheit, Fachleuten des Thomanerchores,
der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, der Musikschule
J.S. Bach Leipzig, des C.F. Peters-Musikverlages sowie Kammersängerin
Sigrid Kehl einmal vorzusingen, sich gar von ihnen beraten zu lassen?!
Die Gelegenheit war einmalig und wurde nach Kräften genutzt
– von Teenagern, Rentnern (von 16 – das ist das Mindestalter
– bis 79 waren so ziemlich alle Altersgruppen vertreten),
vom singenden Zahnarzt, Steuerberatern, Schülern oder Studenten.
9 von 51 schafften es bis ins Finalkonzert, zu dem am 23. Juni
in die alt-ehrwürdige Leipziger Handelsbörse geladen wurde
– keine „Möchtegern-Carusos“ oder Pavarotti-Doubles,
sondern musikalische Laien, die mit großem Ernst bei der Sache
waren. Darf da die Frage nach der Qualität überhaupt gestellt
werden? Festzuhalten bleibt zunächst einmal, dass die Ausnahmestimme
nicht dabei war, die vorgetragenen Stücke zudem oft viel zu
anspruchsvoll waren (was aber auch den Pflichtstücken der Vorrunden
geschuldet sein dürfte). Ob Oper, Oratorium oder Lied, ob Bach,
Händel, Mozart, Schubert oder Strauss – als Hörer
mag man da kaum Abstriche machen, aber genau das gehört zum
Reglement. Dennoch gab und gibt es natürlich Kriterien, nach
denen gewertet wird: Stimmliche Qualität, stilistisches Einfühlungsvermögen,
Sprachbehandlung und persönliche Ausstrahlung stehen im Vordergrund.
Eine intelligente, am objektiven Leistungsvermögen orientierte
Auswahl der Stücke sollte künftig ebenfalls dazu zählen.
Ein „Leipziger Fazit“? Georg Giradet (Kulturbeigeordneter
der Stadt) begrüßte den Sänger-Wettstreit als schöne
und sinnvolle Ergänzung des kulturellen Lebens der Stadt. Und
die zumeist glücklichen Gesichter der Endrunden-Teilnehmer
sowie der zahlreich angereisten Familien und Freunde schienen zu
bestätigen, dass hier sinnvolle „Basisarbeit“ geleistet
wird.
Der Wettbewerb erwies sich somit erneut als Plattform des Austauschs
unter Gleichgesinnten und war für manch einen – zumal
angesichts der Medienpräsenz – schlicht eine wunderbare
Selbstbestätigung! Gleichwohl äußerten Teilnehmer,
die es nicht bis ins Finale schafften, den Wunsch, den Leistungsvergleich
beim nächsten Mal offensiver zu organisieren (etwa mit offenem
Vorsingen für alle Vorrunden-Teilnehmer). Da bleibt den Leipziger
Veranstaltern (das sind der C.F. Peters Musikverlag, die Musikschule
J.S. Bach Leipzig sowie MDR-Kultur) offenbar gar nichts anderes
übrig, als baldmöglichst ein „Remake“ auf
die Beine zu stellen.
Ach ja, der 1. Preisträger: Der hieß in Leipzig Torsten
Glas, ist dreifacher Vater, hatte irgendwann schon mal eine Zulassung
für die Leipziger Musikhochschule, entschied sich dann aber
für Zahnmedizin und widmet sich heute mit Hingabe schwierigen
zahnchirurgischen Eingriffen…