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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 13
51. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Auf dem steinigen Weg zum Brückenschlag von E und U
Der „Walk of Fame“ des rock’n’popmuseums
in Gronau wurde eingeweiht
Großes tut sich zurzeit in der Kleinstadt Gronau in Nordrhein-Westfalen
an der Grenze zu den Niederlanden: Nachdem im Sommer 2001 das Richtfest
für das erste europäische Rock- und Popmuseum gefeiert
worden war, wurde Ende Juni 2002 der „Walk of Fame“
eingeweiht. Das Organisationsteam mit seinem Leiter Andreas Bomheuer,
der Präsident des Deutschen Musikrates, Franz Müller-Heuser,
und der Bürgermeister der Stadt Gronau, Karl-Heinz Holtwitsch,
ehrten mit dem ersten Stein die legendäre „Krautrock“-Gruppe
„Can“ und ihren verstorbenen Gitarristen Michael Karoli.
Damit wolle man ein Zeichen setzen, dass das Museum auch in Zukunft
vor allem Raum für besondere künstlerische Leistungen
in den Mittelpunkt stellen möchte.
Kleinstadtidylle in der
Fußgängerzone Gronaus. Foto: Gaisa
In seiner Festrede betonte Bürgermeister Karl-Heinz Holtwitsch
noch einmal die Bedeutung und günstige Lage des Standortes
Gronau für ein solches Projekt: „Während Metropolen
wie Hamburg oftmals nur auf ihre glorreiche Vergangenheit zurückblicken,
besteht in Gronau die Möglichkeit, die Gesamtheit der nationalen
Musikkultur eingehend zu betrachten. Die Stadt Gronau mit ihrer
Nähe zu den Niederlanden, zur Stadt Enschede und deren anspruchsvollem
Musik-Conservatorium, dem binationalen Verbund der Regionen Nordrhein-Westfalen
und Twente bilden beim Aufbau des Rock- und Popmuseums einen starken
Hintergrund, der zeitgemäße, europäische Dimensionen
beinhaltet.“
Mit der Einrichtung eines solchen Museums möchten die Betreiber
eine Lücke schließen, denn – wie Franz Müller-Heuser
feststellte – „in ihren Anfängen in den 60er-Jahren
war die Musiksparte Rock- und Popmusik Ausdruck einer rebellierenden
Minderheit, zwischenzeitlich hat sich daraus eine Alltagskultur
entwickelt, die vor allem die Welt der Jugendlichen ganz wesentlich
bestimmt. Die Rock- und Popmusik hat sich nicht nur zu einem gesellschaftlichen,
sondern auch zu einem wirtschaftspolitischen Faktor entwickelt.“
In einer ehemaligen Fabrikhalle sollen die Besucher Gelegenheit
dazu bekommen, sich einen unterhaltsamen und informativen Überblick
über alle wichtigen Strömungen deutscher und internationaler
Popularmusik des 20. Jahrhunderts zu verschaffen: Von Bertold Brecht
und Kurt Weills „Dreigroschen-Oper“ und den Comedian
Harmonists über die Zeit der Beatles im Hamburger Starclub
der Nachkriegszeit bis hin zu all den vielfältigen Ausdrucksformen
und Musikstilen der Gegenwart: „Die E- und U-Kultur begegnet
sich nämlich inzwischen nicht mehr nur in überflüssiger
Fremdheit, sondern besinnt sich auf ihre gemeinsamen musikalischen
Wurzeln“, so Müller-Heuser.
In der Praxis soll die Halle sowohl Ausstellungsräume als
auch eine Konzertbühne beherbergen: Projektionen mit fünf
Metern Durchmesser werden wie Inseln oder Zeittunnel Fläche
für Filme der Rock- und Popgeschichte bieten, das Ganze soll
eher anekdotisch als wissenschaftlich aufgebaut sein, und natürlich
wird Musik eine wichtige Rolle spielen. „Technisch wird das
so gelöst werden, dass Sie den Sound erst akustisch hören,
wenn Sie an diese Kegel herantreten oder in sie hineintreten. Die
Halle wird dunkel sein, sie wird langsam die Farbe verändern
von Blau ins Rot und dann wieder ins Gelb, es wird also sehr lebendig
sein“, erklärt Andreas Bomheuer seine Vision. Insgesamt
wird die Ausstellung dual aufgebaut sein: Im Kellergeschoss wird
es so genannte Erlebnisbereiche geben, die einen Einblick in Archetypen
der Rock- und Popmusik vermitteln sollen: Themen wie Lautstärke
und Gemeinschaft, Trance und Rausch, Provokation und Mainstream
als wichtige Phänomene können hier interaktiv abgefragt
werden.
Das Museum wird sich aber nicht nur mit Musik beschäftigen,
sondern auch gesellschaftliche Realitäten vermitteln. „Der
Grundgedanke ist, dass wir nicht einen Weg von A nach B, von B nach
C ermöglichen wollen, sondern wir gehen davon aus, dass jeder
Besucher seine eigene Musikbiografie hat. Und er soll sich sozusagen
in dieser Musikbiografie zurechtfinden, in die Ausstellung gehen
und da starten, wo er selber sagt, ‚Oh, das ist mir sehr wichtig‘.
Von da aus wird er in die unterschiedlichen Bereiche geleitet werden.
Wenn jemand sagt, Techno inte-ressiert mich, dann wird er durch
das Konzept der Ausstellung darauf kommen, dass ‚Can‘
und ‚Kraftwerk‘ oder auch Stockhausen eine wichtige
Rolle gespielt haben.“ Der Zeitpunkt scheint ideal: „Dylan
und McCartney sind 60, und natürlich kommt man irgendwann an
den Punkt, wo man zurückblickt. Außerdem glaube ich,
dass die Brücke zwischen E- und U-Musik langsam eingerissen
werden muss – auch im kulturpolitischen Sinn –, dass
man Musike-rinnen und Musiker, ob sie nun auf einer E-Gitarre oder
auf einer akustischen Gitarre spielen, beidseitig ernst nehmen muss.
Beide spielen Musikinstrumente, und beide versuchen künstlerisch
eine bestimmte Lebensart auszudrücken oder etwas zu bewältigen.“
Einen lebendigen Ort der Begegnung will man schaffen. Im Gelände
um die Halle herum wird man nicht nur den „Walk of Fame“
betreten und studieren können, sondern dort sollen Jung und
Alt zusammen kommen: „Wenn hier Leute bei schönem Wetter
Gitarre spielen, das ist doch eine fantastische Angelegenheit. Da
bin ich beispielsweise sicher: das wird man heute genauso machen
wie vor 50 Jahren. Oder? Musik machen.“