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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 1
51. Jahrgang | September
Leitartikel
Wegwerfware
Wird König Ludwig, der „Kini“, demnächst
zum zweiten Mal ertrinken? Diesmal im Forggensee? Es war alles so
schön erdacht: Der königliche Wagner-Freund ersteht in
einem heiteren Musikwerk wieder auf. Man baut ihm ein eigenes Theaterhaus
im Angesicht seines Schlosses Neuschwanstein, lässt einen renommierten
Komponisten, der nicht nur moderne Noten, sondern auch sentimentale
Melodien und zündende Rhythmen schreiben kann (Franz Hummel),
die alte Geschichte vom einsamen König und seinem rätselhaft-traurigen
Ende in einschmeichelnde Musik setzen und: der Erfolg ist garantiert.
Das schien zunächst auch so, aber dann kam wohl der 11. September
2001, die Amerikaner ergriff vorm Fliegen die nackte Angst, die
Wirtschaftskrise machte Fortschritte, und zuletzt kam noch die große
Flut, die die betroffenen Menschen am Reisen ins „Kini“-Land
hinderte. Kurzum: Jetzt drücken wohl die Schulden für
den Bau des Theaters, Banken drängen und Investoren sehen ihre
Rendite davonschwimmen. Wie gehabt und überall in Musical-Landen.
Und wer ist Schuld? Natürlich der Intendant, also fort mit
ihm. In die Fluten des Forggensees mitsamt seiner Vision von einem
niveauvollen, auf Landschaft und Geschichte einfühlsam konzpierten
Musik-Werkes, das geeignet schien, die Musical-Wegwerfware allerorten
durch ein Stück gehobener, kultivierter musikalischer Unterhaltung
zu ersetzen. Jetzt droht diese selbst zur Wegwerfware zu verkommen.
Der „Fall Füssen“, der noch nicht zum Ende gekommen
ist, könnte Anlass sein, überhaupt einmal über den
Zustand des musikalischen Unterhaltungstheaters in Deutschland nachzudenken.
Der Gegenstand ist zu wichtig, um ihn dem Profitdenken irgendwelcher
Investoren allein zu überlassen.
Das Musical und auch die unverwüstliche Operette befriedigen
die Bedürfnisse einer kaum abschätzbaren Zahl von Bürgerinnen
und Bürgern. Auch diese können verlangen, wie die Freunde
der Oper und der Tanzkunst, mit qualitätvollen, künstlerisch
verantwortungsvoll erstellten Produktionen „bedient“
zu werden. Darin eingeschlossen ist nicht allein das Amüsement,
es geht darum, das Niveau dieser Musikgattung so zu heben, dass
dabei so etwas wie Geschmacksbildung, emotionale Anregung, kurz:
eine gehobene musikalische und theatralische Unterhaltungskultur
entsteht.
Daran sind Investoren in der Regel nicht interessiert, sie sehen
nur die Dividende. Also wäre wieder einmal die Kulturpolitik
gefragt, von der allerdings gerade auf diesem Sektor nichts Gutes
zu erwarten ist. Man erinnert sich noch an das schäbige Spiel
und Gerangel um das Metropoltheater in Berlin. Das „Königsdrama“
vom Forggensee sollte ein besseres Ende finden.