[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 34
51. Jahrgang | September
Landesmusikräte
Bayerischer Musikrat
Fünfundzwanzig Jahre Bayerischer Musikrat
Hohe politische Prominenz beim Festakt im Bayerischen Landtag
Am 21. Juni 1977 wurde der Bayerische Musikrat als erster Musikrat
eines Landes der Bundesrepublik Deutschland gegründet. Dabei
hat sich der Bayerische Landtag in besonderer Weise als unverzichtbarer
Partner für den Bayerischen Musikrat erwiesen. Der Bayerische
Musikrat bedankte sich für diese Partnerschaft, indem er aus
Anlass seines 25-jährigen Bestehens den Bayerischen Landtag
mit dem „Silbernen Wirbel” bei einem Festakt im Maximilianeum
geehrt hat.
In seiner Begrüßungsrede führte
Landtagspräsident Johann Böhm aus: „Aus dem Kulturleben
unseres Landes ist der Bayerische Musikrat nicht mehr wegzudenken.
Die Förderung der Musikkultur ist eine wesentliche öffentliche
Aufgabe. Der Bayerische Musikrat ist ein Garant dafür, dass
auch die kommenden Jahre und Jahrzehnte buchstäblich nicht
‚sang- und klanglos‘ an uns vorübergehen werden“.
Wissenschaftsminister Hans Zehetmair resümierte in seiner Laudatio:
„An den Erfolgen für die Musik in Bayern war der Bayerische
Musikrat maßgebend beteiligt. Dass er das Musikleben in Bayern
und in der Bundesrepublik Deutschland so entscheidend mitgestalten
konnte, liegt unter anderem darin begründet, dass er nicht
die Konfrontation gesucht hat, dass er vielmehr um Kooperation mit
den Vertretern aus Staat und Politik, mit Vertretern der Kommunen,
der Medien und sonstigen Institutionen und gesellschaftlichen Kräften
bemüht war. Nach zweieinhalb Jahrzehnten seines Bestehens ist
der Bayerische Musikrat ein angesehener, geschätzter und kompetenter
Partner.“
In seiner Grundsatzrede anlässlich der Verleihung des Silbernen
Wirbels führte BMR-Präsident Wilfried Anton unter anderem
aus: „Es freut uns außerordentlich, heute zu unserem
Jubiläum im Bayerischen Landtag zu Gast sein zu dürfen
und mein besonderer Dank dafür gilt Ihnen, Herr Präsident
Böhm. Ihre freundliche Begrüßung, Ihre wohlgesetzten
und wohlgesonnenen Worte sind das eine – zum anderen ist festzustellen,
dass der Bayerische Landtag wiederholt Taten und Einsatz gezeigt
hat. Ich weiß nicht, wo der Bayerische Musikrat heute wäre,
wenn ihn nicht Hans Zehetmair, ein Mann der ersten Stunde und uns
als Kämpfer für das Musikleben seinerzeit vom Bayerischen
Landtag zur Seite gestellt, den Bayerischen Musikrat von Anfang
an sekundiert hätte.
'Die Musik ist der wichtigste Teil der Erziehung. Rhythmus und
Melodietöne dringen am tiefsten in die Seele und erschüttern
sie am gewaltigsten. Rhythmus und Melodietöne haben gutes Betragen
im Gefolge, machen bei richtiger Erziehung den Menschen gut, andernfalls
schlecht. Wer aber so, wie es Not tut, erzogen ist, hat auch die
schärfsten Sinne für das Unzulängliche und deswegen
beruht die ganze Erziehung auf der Musik.‘
Nicht PISA, nicht Bastian, sondern vor über 2.000 Jahren Platon.
Es muss schon nachdenklich stimmen, dass diese Mahnung aus der Antike
bis zum heutigen Tage nichts an politischer Aktualität verloren
hat, entsteht doch gerade auch durch die Musik ebenso wie im Sport
jene so notwendige Stabilität zwischen Staat und Gesellschaft
mit sozialer Ausgleichsfunktion, wird hier die Erkenntnis zur freiheitlichen
demokratischen Grundordnung im Sinne von Idealismus und Selbstlosigkeit
gelebt und wird hier über den Generationenvertrag nicht nur
geredet, sondern er wird umgesetzt.
Musikalische Bildung
Dazu gehört vornehmlich auch unser Bildungssystem. Es muss
sich immer mehr der Forderung erwehren, nicht mehr den Menschen
zu formen, ihm Herz und Charakter zu bilden, ihn für alle möglichen
Situationen des Lebens vorzubereiten, sondern unser Bildungssystem
ist zu sehr darauf ausgerichtet, ihm lediglich sogenannte nützliche
Techniken zu vermitteln, die er umgehend nach Schulabschluss abrufen
und für den Beruf umsetzen kann. Beweis dafür ist auch
die PISA-Studie. Ihr Forschungsgegenstand und -auftrag waren die
Bereiche Lesekompetenz, mathematische und naturwissenschaftliche
Grundbildung. Es ging um Wissen, um Strategien seines Erwerbs und
vor allem um die Fähigkeiten, dieses Wissen anzuwenden. Forschungsgegenstand
und -auftrag war nicht die Analyse der sozialen, der emotionalen
und der ästhetischen Kompetenzen.
Man hört immer wieder: Kultur habe Konjunktur, ja sogar Hochkonjunktur,
aber ich frage mich, in welchem Sinne? Verfolgen wir die öffentlichen
Debatten und Diskussionen, so drehen sie sich immer wieder in erster
Linie um Leistungsfragen im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb.
Diese Interessen sind legitim und unverzichtbar für unsere
Zukunftsfähigkeit, unseren Wohlstand, unsere Wirtschaftsdynamik
und die soziale Sicherung. Allerdings: Das lediglich auf ökonomischem
Nutzen ausgerichtete Interesse an der Kultur und ihrer Förderung
greift zu kurz. Wir müssen uns wieder mehr um unsere geistigen
Grundlagen, um unsere Identität, um unser Denken und um unser
wertgebundenes Urteilsvermögen kümmern. Es ist doch gerade
(neben dem Sport) die Musik, die den Stellenwert und das Zusammenwirken
von Individualität und Gemeinschaft prägt, die den Dialog
und die Diskursfähigkeit stützt oder schwächt.
Gleiches gilt für gewaltfreie Lösung von Konflikten,
das Miteinander von Kulturen und nicht zuletzt die Partizipation
aller an der Kultur. Hier eröffnen sich gerade für die
nachwachsende Generation gemeinschaftsbildende Zukunftshaltungen.
Deshalb ist durchgängig erteilter Musikunterricht von der ersten
Grundschulklasse bis zum Abitur unverzichtbarer Bestandteil einer
Kulturnation – und dies ist auch eines unserer wichtigsten
Anliegen.
Kultur als Verfassungsauftrag
Die Verfassung des Freistaates Bayern, in der Not- und Katastrophenzeit
am 2. Dezember 1946 durch Volksentscheid angenommen und beschlossen,
macht knappe und klare Aussagen. In Artikel 3 heißt es: Bayern
ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Konsequenter könnte
die Kultur im bayerischen Selbstverständnis nicht markiert,
zwingender ihr davon für die Politik ausgehender Auftrag nicht
formuliert werden.
So ist für uns Musiker auch nicht nachvollziehbar, warum der
Kulturauftrag sich immer wieder aufs Neue legitimieren muss, warum
immer wieder um Weiterentwicklung und Bestand gekämpft werden
muss und warum sich für einige Bereiche Jahr für Jahr
die Frage nach ‚Sein oder Nichtsein‘ stellt. Läuft
es nicht der Verfassung zuwider, dass beispielsweise die Laienmusik
mit ihrem ungeheuerlichen ehrenamtlichen Engagement und ihren vielfältigen
unverzichtbaren Basisleistungen für eine humane Gesellschaft
gegenüber dem Vorjahr Kürzungen von annähernd zwölf
Prozent hinnehmen muss, obwohl dort die staatliche Förderung
seit vielen Jahren stagniert?
Wir dürfen auch nicht zulassen, dass unsere Sing- und Musikschulen
in ihrer Substanz ausgehöhlt werden und das Erlernen eines
Instruments am Ende wieder zum Privileg für die finanziell
besser Gestellten wird und wir werden es genauso wenig hinnehmen,
dass Orchester und andere Einrichtungen der professionellen Musikpflege
in ihrer Existenz ernsthaft gefährdet werden, nur noch eingeschränkt
arbeiten können oder gar aufgelöst werden.
Wenn einerseits der das Musikleben fördernde und uns wohlgesonnene
Bayerische Landtag Erhöhungen beschließt, die wenig später
durch Zuschusssperren oder sogenannte globale Minderausgaben teilweise
sogar im vollen Umfange wieder zurückgenommen werden, entstehen
nicht wieder gutzumachende Schäden – auch in der Glaubwürdigkeit
gegenüber den Betroffenen. Die jährliche, vielfach entwürdigende
Bettelei um Existenzerhalt von wertvollen Musikeinrichtungen muss
in jedem Falle ein für alle Mal ein Ende haben!
Der BMR mit seinen Verbänden aus dem Laien- und dem professionellen
Musizieren und seinen rund eine Million Mitgliedern zählt hier
auf den Bayerischen Landtag; nur er kann weiterhelfen. Er steht
in der Verantwortung, und wir vertrauen auf ihn. Heute ehrt der
BMR den Bayerischen Landtag als Ausdruck seines Dankes, aber auch
als Ausdruck seiner Hoffnung mit dem „Silbernen Wirbel‘“.