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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 35
51. Jahrgang | September
Landesmusikräte
Landesmusikrat Hamburg
Vom Zusammenspiel kultureller Eigendynamik
Popularmusikförderung in Hamburg
„Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt
gewesen“ nennt die Hamburger Musikerin Bernadette LaHengst
ihre kürzlich erschienene CD. „Pop macht Spaß,“
sagt sie. Mit ihrer Booking Agentur „B.H. Booking“,
die der Musikinitiative RockCity e.V. angegliedert ist, stellt LaHengst
ihr Know-How innovativen Bands zur Verfügung. Bernadette LaHengst
ist eine agile kulturelle Initiatorin Hamburgs. Eine derer, die
das popkulturelle Gesicht Hamburgs prägen.
Popkultur ist eine der wichtigsten Erscheinungsformen der urbanen
Gesellschaft. Sie reflektiert unsere immer komplexere Gesellschaft
und gestaltet auch die kulturelle Identität Hamburgs maßgeblich.
Die kulturpolitische Relevanz der öffentlichen Popularmusik-Förderung
ist in Hamburg Mitte der 80er-Jahre erkannt worden.
Initiativen wie das Rockbüro, RockCity, das Jazzbüro
und das Frauenmusikzentrum/fm:z haben in den vergangenen 15 Jahren
eine Infrastruktur geschaffen. Diese vier Initiativen sind ein starkes,
aber überlastetes Netzwerk. Durch konkrete Strukturhilfen bereiten
sie den Boden für eine breite und lebendige Musikszene in Hamburg:
• Das Rockbüro fördert den Bandnachwuchs durch
die Beschaffung, Herrichtung und Vermittlung von Übungsräumen
und einem Tonstudio.
• RockCity e.V. richtet sich gezielt an die semi-professionelle
Szene. Neben Beratung, Bandvermittlung, B.H. Booking, Lobbying und
der Geschäftsführung des Clubverbandes veranstaltet RockCity
Events zur gezielten Bandförderung wie „Die Aufsteiger“
und die regelmäßigen Band-/ Rapfactories oder die Clubförderungsreihe
„Vollkontakt“.
• Das Jazzbüro koordiniert die Aktivitäten der lokalen
Jazzszene. Es veröffentlicht jährlich den Sampler “Jazz
made in Hamburg“, veranstaltet Konzerte sowie ein Sommerfestival
und bringt monatlich einen kompakten Jazz-Veranstaltungskalender
für Hamburg heraus.
• Das fm:z wirkt für eine Selbstverständlichkeit
von Frauen in Musik und Musikbusiness. Mit voll ausgestatteten Übungsräumen,
Bühne, Workshops, Symposien sowie dem Musikerinnenfestival
und Netzwerk „espressiva“ konnte die Repräsentanz
von Mädchen und Frauen in der Hamburger Musikwelt massiv gesteigert
werden.
Doch Popkultur sind nicht nur die Künstler und ihre Kunst.
Popkultur ist auch der Club, in dem Musik nicht nur rezipiert sondern
auch produziert wird. Denn ein Konzert ist mehr als das Produkt
auf der Bühne. Es ist soziale Interaktion und musikalische
Innovation. Gerade in kleinen und mittleren Clubs werden Sounds
ausprobiert, Impulse in Gang gesetzt. Immer stärker jedoch
gerieten Bands und Clubbetreibende in den vergangenen Jahren unter
hohen wirtschaftlichen Druck. Das Phänomen des „Hamburger
Clubsterbens“ machte die besondere Situation von Live-Musik-Clubs
als Unternehmung deutlich. Der Grat zum ökonomischen Überleben
ist schmal.
Eine aktuelle empirische Studie von Albrecht Schneider und Studierenden
des musikwissenschaftlichen Instituts Hamburg zur Infrastruktur
der Popularmusik in Hamburg schätzt die Überlebensfähigkeit
der Livemusikszene ohne strukturelle Verbesserungen insbesondere
für kleine und mittlere Live-Clubs kritisch ein. Um die Interessen
der Clubs zu bündeln hat sich im November vergangenen Jahres
in Hamburg der bundesweite Verband der Live-Musik-Clubs gegründet.
Die Standort- und Wirtschaftspolitik Hamburgs steht nicht selten
einer konstruktiven Kulturpolitik im Wege. So sahen in Hamburg etablierte
Clubs wie der Mojo Club und der Traditionsclub Knust ihrem Abriss
entgegen. Aufgrund massiver Proteste konnten die Betreiber nun in
Zusammenarbeit mit den Behörden neue Räume finden.
Die ökonomische Auslastung der Clubs ist viel zu gering. In
Hamburg ist der Konkurrenzdruck im Freizeitbereich groß, mit
400 Live Events pro Monat scheint es ein Überangebot an Konzertveranstaltungen
zu geben. Gewichten wir diese Zahl allerdings qualitativ, wird schnell
deutlich, dass die kleineren Clubs diejenigen sind, die die Trends
setzen mit denen später der Mainstream bedient wird. Die Auslastung
der Clubs ist unter anderem aufgrund mangelnder Möglichkeiten
zur effektiven Öffentlichkeitsarbeit gering.
Als gelungenes Stück qualitativer Öffentlichkeitsarbeit
ist der Zusammenschluss von Hamburger Clubbetreiber/-innen und dem
Freien Sender Kombinat, fsk, zu bezeichnen. Um die Publikumsbindung
zu erhöhen und eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen
haben sie gemeinsam ein monatliches Magazin namens „tba“
(„to be announced“) gegründet. „tba“,
das im charmanten selfmade-style wie ein Fanzine daherkommt, ist
für 50 Cent in den Clubs zu haben und bietet neben Konzertankündigungen
und Terminen auch Nachberichte von Konzerten, Rezensionen sowie
eine regelmäßige Kolumne.
Eines der primären Ziele muss die Gewinnung neuer Publikumsschichten
sein. Dass dies auch in Zeiten rückläufiger Publikumszahlen
möglich ist, zeigt das Beispiel des Musikerinnenfestivals „espressiva“:
Durch die verstärkte Präsentation von Musikerinnen in
den letzten Jahren in Hamburg, gelang es, die ausgesprochen monogeschlechtliche
Publikumsstruktur zu durchbrechen. Bei „espressiva“-Konzerten
war ein deutlicher Zuwachs von Frauen im Publikum zu verzeichnen.
Der Landesmusikrat Hamburg unterstützt die Forderung nach
einem stärkeren Engagement der Stadt im Bereich der Popularmusik,
insbesondere in Bezug auf die Musikinitiativen und der Live Musik
Clubs. Dem Zusammenspiel subkultureller Eigendynamik und popkultureller
Förderinstitutionen kommt eine besondere Bedeutung zu. Auf
diesem Wege kann unter weitestgehender Autonomie der Künstler
Kreativität gefördert sowie eine Nachhaltigkeit und Professionalisierung
gewährleistet werden. Gerade weil der Musikstandort Hamburg
in den vergangenen Jahren massive Abstriche durch den Umzug bedeutender
Plattenfirmen in die Hauptstadt machen musste, gilt es dem Nachwuchs
einen festen Boden zu bereiten. Denn das kreative Potenzial ist
noch nicht gen Berlin gewandert.