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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 35
51. Jahrgang | September
Landesmusikräte
Landesmusikrat Schleswig-Holstein
Rock hinterm Deich
Zur Popförderung in Schleswig-Holstein
Grasende Kühe, weiße Strände und gelbe Rapsfelder:
dieses landläufige Schleswig-Holstein-Bild ist nicht dazu angetan,
Aufregendes aus Rock und Pop in unserem nördlichsten Bundesland
zu vermuten. Der Schein trügt, wie einige prominente Beispiele
verdeutlichen mögen:
Das Wacken Open-Air ist Europas größtes „Hard
And Heavy“-Festival mit bis zu 30.000 Besuchern jährlich.
Die Kieler Woche bietet auf zahllosen Bühnen ein immenses Angebot
an Rock- und Popgruppen zum Nulltarif. Delta-Radio aus Kiel war
bundesweit einer der ersten privaten Rocksender überhaupt.
Das renommierte Independent-Magazin Zillo erscheint seit Jahr und
Tag in Lübeck. Flensburg hat nicht nur die Gruppe ECHT hervorgebracht,
hier residiert auch mit Elephant Music eine der erfolgreichsten
Produktionsteams der Branche. Die Itzehoer Versicherungen haben
mit ihrem Talent Award Maßstäbe in der effektiven Nachwuchsförderung
gesetzt. Die Liste ließe sich weiterführen.
Wie sieht es nun aber in Bezug auf die öffentlichen Förderstrukturen
aus? Was den Amateurbereich anbelangt, gibt es durchaus Erfreuliches
zu vermelden. Rock und Pop sind seit Jahren fester Bestandteil der
Jugendkulturarbeit im Lande. Eine Vielzahl von Musikschulen, allgemeinbildenden
Schulen, Kirchengemeinden und Jugendzentren fördern junge Musiker
durch Bereitstellung von Übungsräumen, Equipment, Unterrichtsangeboten
und Auftrittsmöglichkeiten. Viele Kommunen und Kulturvereinigungen
veranstalten regelmäßig Nachwuchswettbewerbe, und das
von der LAG Jugendmusik und dem Landesmusikrat organisierte Band-
und Liedermacher-Förderforum bietet dezentral Workshops unter
kompetenter Anleitung. Trotz zunehmender Finanzknappheit haben sich
offenbar Förderstrukturen etabliert, die für Amateure
durchaus sinnvoll sind. Vielleicht auch angesichts dieser Erfolge
geriet aber eine Zielgruppe aus dem Blickfeld, die sich in den letzten
zwanzig Jahren rapide entwickelt hat: die Rede ist von (semi-) professionell
arbeitenden Rock- und Popmusikern.
Zwar sind die Branchenführer der Tonträgerindustrie
nach wie vor in den Metropolen angesiedelt, jedoch ist auch in Schleswig-Holstein
ein deutlicher Anstieg von Musikproduktionen zu verzeichnen. Damit
einhergehend entstanden eine Vielzahl von Arbeitsbereichen und Wirtschaftsbetrieben,
die zur Realisierung des multimedialen Phänomens Popmusik unerlässlich
sind. (Tonstudios, Verlage, Label, Agenturen, Produktionsteams,
Beschallungs- und Beleuchtungsfirmen).
Festzuhalten bleibt aber auch, dass die aufgezeigten Professionalisierungstendenzen
in Bezug auf die Qualifizierung der Mitarbeiter bislang nur im operativen
Umfeld des Rock- Popnetzwerkes stattfinden. Ausbildung und Weiterbildung
für den eigentlichen kreativen Kernbereich, das heißt
für professionell arbeitende Musiker oder solche, die es werden
wollen, fand auf Landesebene bislang nicht statt.
Allerdings war bis vor einigen Jahren auch noch völlig unklar,
wie man denn Förderung für angehende professionell arbeitende
Rock- und Popmusiker zu gestalten habe. Maßstäbe auf
diesem Gebiet hat erstaunlicherweise ein schleswig-holsteinisches
Unternehmen gesetzt. Im Rahmen ihrer Sponsoringaktivitäten
entschlossen sich die Itzehoer Versicherungen 1991 zu einem bundesweit
vorbildlichen Förderprogramm, dem John Lennon Talent Award.
Alle zwei Jahre als mittlerweile bundesweiter Wettbewerb ausgeschrieben,
bietet der Talent Award den Siegerbands Förderung auf höchstem
Niveau. Dabei wurde unter Leitung von Udo Dahmen das Modell des
so genannten „Bandcoachings“ entwickelt. Hier geht es
um die kontinuierliche und qualifizierte Begleitung und Beratung
der Bands durch ausgewiesene Profis der Branche. Da es bundesweit
immer noch keine Hochschulausbildung für Rock-Pop-Musiker gibt,
gilt es, diesen Wissenstransfer für alle ambitionierten Bands
im Lande zugänglich zu machen.
Der Landesmusikrat wird daher mit Hilfe der Itzehoer Versicherungen
in diesem Oktober die erste „Bandfactory Schleswig-Holstein“
in Kiel durchführen. In enger Zusammenarbeit mit dem Talent
Award (hier wurde auch das Konzept der Veranstaltung entwickelt)
werden ausgewählte Bands zwei Tage lang intensiv von Profis
wie Udo Dahmen, Sina Farschid (Universal), Henning Rümenap
(Guano Apes), Michael Smilgies (Hidden Force) und Jane Comerford
in den Bereichen Musik, Business und Performance unterrichtet. In
diesem Sinne versteht sich die „Bandfactory“ durchaus
auch als Existenzgründungsseminar. Erfreulich ist es, dass
mit der Technologieregion K.E.R.N. e.V. und der Deutschen Phonoakadamie
zwei Institutionen aus dem Bereich der (Musik-) Wirtschaft das Projekt
unterstützen. Denn neben der Qualifizierung des künstlerischen
Nachwuchses wird es in Zukunft darauf ankommen, den wirtschaftlichen
Aspekt des Rock-Pop-Netzwerkes stärker in das Bewusstsein der
Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger
zu heben.