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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 42
51. Jahrgang | September
Jazz, Rock, Pop
Wenn Rocker Freejazz machen
Steamboat Switzerland: Improvisationsmusik aus der Schweiz
Hatte das Schweizer Trio Steamboat Switzerland bereits vor einiger
Zeit mit ihrer „Live“-CD (Unit Records) und ihren intelligenten,
ungestümen Soundimprovisationen zwischen Freejazz und Heavy
Rock aufhorchen lassen, bleibt einem nun angesichts der Parallel-Veröffentlichung
von „Budapest“ und „ac/dB [Hayden]“ (beide
GROB) fast der Atem weg. Keyboarder und Hammond-Organist Dominik
Blum, Bassgitarrist Marino Pliakas und Schlagzeuger Lucas Niggli
entwickelten ihr Konzept einer an allen kategorisierenden Schubladen
vorbeischlitternden, auf Klangflächen orientierten, rockigen
Improvisationsmusik weiter.
neue musikzeitung: Manche sagen zu eurer Musik, sie klinge
so, wie Deep Purple geklungen hätte, wenn die Rocker Freejazz
gemacht hätten... Marino Pliakas: Jedem seine Assoziationen! Ein anderer Rezensent
meinte, wir würden einen vagen Eindruck davon vermitteln, „was
Soft Machine hätten leisten können, wenn diese ihre besten
musikalischen Ideen bis heute konsequent weiterverfolgt hätten“...
nmz: Welche musikalischen Backgrounds bringt ihr einzeln
ein und wie fließt das in eure Musik ein? Pliakas: Dominik spielt und singt seit seiner frühen
Jugend auch heute noch auswendig das gesamte Repertoire von Beatles
über Soul und Funk bis zum 70er-Rock. Daneben gibt er professionelle
Konzerte von Bach/Klassik /Romantik über die Neue Wiener Schule
bis zu Uraufführungen von heutiger Neuer Musik. Ich selbst
hangele mich gitarristisch vom Heilsarmee-Liedgut zum New Wave,Punk,
Reggae der späten 70er: Dead Kennedys, Unknown Gender, UK Subs,
Burning Spear haben mich geprägt. Eine Pause von der Popmusik
entstand bei mir während meines klassischen Gitarre-Studiums
mit dem Schwerpunkt Neue Musik. Jahr für Jahr zieht es mich
zur „Pilgerfahrt“ nach Darmstadt, um am Puls der zeitgenössischen
Musik zu fühlen. Und der in Kamerun geborene Lucas spielt auf
den Straßen Europas alles von Makossa über James Brown,
Dolphy, Mingus bis und über Zappa hinaus. Lucas ist ein autodidaktisches
Jazzschlagzeug-Wunderkind! Er ist aber auch offen und gierig auf
alles, was aus dem Cage-Umfeld, aber auch aus der Darmstädter
Schule stammt. Freie Improvisation bestimmte bei ihm die erste Hälfte
der 90er.
nmz: Eure Improvisationen scheinen vor allem sehr soundorientiert,
weniger aber im Sinne vom Erfinden melodischer Ketten zu sein. Welche
Rolle spielt hier die Soundqualität einer Hammondorgel? Pliakas: Das „Erfinden melodischer Ketten“ scheint
mir als Improvisationsansatz zu eindimensional. Tatsächlich
geht es uns viel mehr um das musikalisch Gestische in all seinen
denkbaren Parametern: eine Gestik, die aus dem möglichen Zersplittern
ebenso wie dem ambienthaften Zusammenfließen von Soundmaterial
schöpft, stochastisch heterogene Abläufe neben, über,
unter kollektiv-homogenen „walls of sound“, vor denen
nicht mehr genau ortbar ist, welches Instrument nun welches Klangelement
generiert. Die Hammondorgel bietet – ebenso wie Schlagzeug
und mit erweiterten Spiel- und Präparationstechniken bearbeitete
Bassgitarre! – enorme Möglichkeiten, sich an abstrakten
Klanggebilden zu beteiligen und den konventionellen ELP- oder Loungesound
vergessen zu machen.
nmz: Welches Verhältnis habt ihr zu dem, was einst
Udo Lindenberg ironisch mit „Kosmosrock“ bezeichnete?
Also den Bombast- und Sphärengeräusche liebenden Heavyrock
der 70er- Jahre. Pliakas: Liebevoll kritisch-ironisch... Das damals Megalomane
schrumpft nach heutigem Ermessen zu dem, was jede halbwegs solvente
Studentenband mit ein paar virtuell-analogen Effekten auch zustande
brächte...