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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 24
51. Jahrgang | September
Rezensionen
Figaro im Kirschgarten, Don Giovanni in Köln
Mozart-Opern auf Video-DVD – eine selektive Sichtung des
Angebots
Ein Jahr nach Einführung der DVD gibt es nicht weniger als
16 Video-Scheiben mit Mozart-Opern – davon allein sechs verschiedene
„Don Giovannis“, beim „Figaro“ sind es immerhin
noch vier. Leider wird die Entscheidung zwischen Auge und Ohr oft
zur Gretchenfrage. Nur wenige Fälle überzeugen in beiderlei
Hinsicht. Deshalb an dieser Stelle eine Auswahl mit empfehlenswerten
Produktionen ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Um es gleich vorweg zu schicken: Fast alle Video-DVDs haben einen
Vorteil – sie verströmen Theateratmosphäre. Und
manchmal erlebt man sogar ein Ensemble, das aufeinander hört
und reagiert wie ein gut eingespieltes Streichquartett, etwa im
„Don Giovanni“ aus der Kölner Oper (Arthaus 100
020): Der überwältigende Leporello von Ferrucio Furlanetto
und Thomas Allen als dämonischer Don geben ein unschlagbares
Tandem, das vom Dirigenten James Conlon unaufhaltsam vorangetrieben
wird, während Michael Hampe anderswo schon einfallsreicher
inszenierte. Die Konkurrenz ist nur in Teilaspekten interessant:
Beim Salzburg-Film von 1954 (Deutsche Grammophon 073 019-9) kommen
Stimm-Freaks auf ihre Kosten: Dass Wilhelm Furtwänglers Leitung
nur geringen Bewegungsimpuls entwickelt, machen Elisabeth Grümmer
als sensible Donna Anna und der lebenshungrige Giovanni von Cesare
Siepi schnell vergessen. Wer lieber eine moderne Inszenierung sehen
will, sollte es mit Jürgen Flimms Arbeit aus Zürich probieren
– schon wegen der stimmungsvollen Bühne von Erich Wonder
(Arthaus 100 328). Dafür hemmen Nikolaus Harnoncourts disparate
Tempi den großen Bogen, die Besetzung wirkt unausgewogen.
Bei „Le nozze di Figaro“ fängt man schneller
Feuer. Von den zwei guten Produktionen ziehe ich die Paris-Aufnahme
(Archiv 073 018-9) derjenigen aus Zürich (TDK DV-OPNDF) vor.
Bestimmt verstrickt Jean Louis Thamin seine Protagonisten nicht
in ein derart psychologisch-verzweigtes Geflecht wie Jürgen
Flimm in Zürich, der die latente Erotik mit einem Hauch von
Décadence in Szene setzt, bei Wonders satten Tableaus kommt
man sich vor wie in Tschechovs „Kirschgarten“. Doch
John Eliot Gardiners Präzision und Lebendigkeit machen in Paris
alles Optische zur Nebensache: das Orchester vibriert vor Spannung.
Dazu schlägt ein unbezwingbares Männer-Quartett mit dem
Belcanto-Figaro von Bryn Terfel das Zürcher Ensemble um Längen.
Bei der Aufzeichnung aus Glyndebourne (Warner 0630-14013-2) geht
es einem wie mit Furtwänglers „Giovanni“: Man sehnt
sich vergebens nach individuellen Akzenten von Regisseur und Dirigent
(Stephen Medcalf und Bernhard Haitink). Doch die cremig-schmelzende
Contessa von Renée Fleming, das Phrasierungs-As Gerald Finley
und die quirlige Susanna von Alison Hagley trösten über
manche Schwachstelle hinweg.
Dass „Così fan tutte“ mit nur einer Aufzeichnung
so unterrepräsentiert ist, finde ich schade. Jedenfalls wird
demnächst bei der DG das Gardiner-Video auf DVD erscheinen.
Bis dahin lässt sich mit der Zürcher Produktion recht
gut leben (Arthaus 100 012). Musikalisch ist sie ohnehin die gelungenste
aus dem Da-Ponte-Zyklus von Harnoncourt/Flimm: Die Sänger verschmelzen
zum Ensemble, Cecilia Bartoli zeigt nie, dass sie der Star des Abends
ist.
In Bezug auf die Sänger finde ich die Münchner „Entführung
aus dem Serail“ fast noch gelungener (DG 073 020-9) –
vor allem wegen dem heißblütigen Belmonte Francisco Araiza
und Edita Gruberova als souveräne Konstanze. Die gemütliche
Hand Karl Böhms allerdings wird nicht jedermanns Sache sein.
Trotzdem: Die Aufführung macht 150 Minuten lang Spaß
und das hat sicher mit der schwerelosen Regie von August Everding
zu tun. Im Vergleich dazu ist die Stuttgarter Version (Arthaus 100
178) zwar wesentlich individueller, weil Hans Neuenfels die Figuren
mit psychologischer Finesse modelliert. Doch weder Matthias Klink
(Belmonte), noch Catherine Naglestad (Konstanze) werden ihren heiklen
Partien ganz gerecht, dazu ist Lothar Zagrosek mit dem Orchester
oft „einen Tick vorne“.
Nicht ganz so viel Diskussions-Stoff bietet „La clemenza
di Tito“ aus Glyndebourne (Arthaus 100 406). Aber Nicholas
Hyntners penible Regie, der faszinierende Charakter-Tito von Philip
Langridge und die vor Leidenschaft brennende Martine Mahé
(Annius) halten einen ständig am Denken und Fühlen. Der
idealen Balance von Auge und Ohr entspricht auch das nicht. Aber
es kommt ihr nahe.