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nmz-archiv
nmz 2002/09 | Seite 18
51. Jahrgang | September
nmz-spezial
Musik verantwortungsvoll komponieren
Thomas Otto im Gespräch mit Georg Katzer über dessen
chorisches Oratorium „Medea in Korinth“
neue musikzeitung: Ich möchte gern mit Ihnen über
das Genre „Oratorische Szenen“ sprechen. Die Form des
Oratoriums hatte ihre Blütezeit zur Mitte des 18. Jahrhunderts
(Händels „Israel in Ägypten“ oder „Belsazar“)
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Mendelssohns „Elias“
1838). Beziehen Sie sich mit der Wahl des Genres auf diese Tradition? Georg Katzer: Zunächst mal ja. Es hat die eigentlichen
typischen Parameter eines Oratoriums. Es gibt Solisten, es gibt
Chöre, es gibt einen Sprecher. Da ist der Erzähler, wie
er auch im klassischen Oratorium vorkommt. Allerdings tritt der
Erzähler, anders als im klassischen Oratorium auch als agierende
Person hervor. Diese Partie ist angelegt als eine Sprechpartie,
die aber durchaus auch gesungen werden könnte, von einem Sänger
mit einer guten Sprechdiktion. Ich habe für diese Aufführung
einen Sprecher, Winfried Wagner, gewählt. Was sich vom klassischen
Oratorium unterscheidet, ist die Struktur, die schon durch das Libretto
bedingt ist: sehr dramatisch, weniger episch als in den klassischen
Oratorien. Es hat eine durchgehende Handlung, die stringent auf
das Ende zuläuft. Aus diesem Grunde spreche ich nicht von einem
reinen Oratorium, sondern von „oratorischen Szenen“.
Georg Katzers „Medea
in Korinth“: eine schnelle Komposition. Foto: Th.
Otto
nmz: „Medea in Korinth“ ist ein Auftragswerk
der Berliner Singakademie. Von daher waren die Mittel und Möglichkeiten
ziemlich klar definiert. Der Gegenstand selbst bietet aber ein ungeheuer
dramatisches Potenzial, das auf einer Bühne darzustellen noch
komplexer hätte werden können. Waren Sie je versucht von
dem Gedanken, dass aus „Medea“ auch eine Oper hätte
werden können? Katzer: Ich sehe es auch als eine Opernmöglichkeit.
Nachdem ich das Libretto gelesen und analysiert hatte, bin ich sogar
davon ausgegangen, daß es sich um ein Opernsujet handelt.
Nun gibt es im Berliner Konzerthaus nicht die Möglichkeit,
so etwas szenisch aufzuführen. Aber es wäre für mich
durchaus denkbar, diesen Stoff auch auf eine Opernbühne zu
bringen. Ich müsste da nicht mal viel dran machen. Ich habe
auch optische Vorstellungen – nur ein Theater dafür habe
ich noch nicht...
nmz: In den großen Oratorien wie auch in den Passionen
oder der frühen Barockoper wird in der Werkstruktur die Rolle
des Rezitativs dadurch gekennzeichnet, dass es den Handlungsstrang
vorantreibt. Es erzählt die Geschichte. Bei Ihnen kommt das
Rezitativ als solches nicht vor. Stattdessen haben Sie den Sprecher
als Erzähler in Anlehnung an die Tradition der antiken Tragödie,
und auch den Chor als Erzähler und Kommentator eingebaut. Geschah
dies auf die Textvorlage Christa Wolfs hin? Katzer: Das ist ganz eindeutig. Das Libretto sagt über
die Rolle des Sprechers ganz klar aus, dass er eine agierende Person
und keine reflektierende oder berichtende Person ist. Dass es auch
Berichtspassagen gibt, ändert nichts daran, dass es beim Sprecher
um eine Figur geht, die gleichberechtigt neben den anderen dramatischen
Figuren steht.
nmz: Was hat Sie gehindert, die Rolle des Erzählers
als Gesangsstimme anzulegen? Katzer: Nichts, aber ich wollte so eine Rolle drin haben.
Das war mein Wunsch, und das habe ich Christa Wolf so gesagt. Ich
gab ihr auch klassische Oratorienlibretti zum Lesen. Die Rolle fiel
dann bei ihr so aus. Im Grunde war die Entscheidung dann zwar, das
Sprechen beizubehalten. Aber wie gesagt: die Rolle könnte auch
gesungen werden. Es wären einige Retuschen nötig. Aber
es stehen dabei auch durchaus Noten in den Stimmen. Es gibt ja diese
Ossiavariante: entweder sprechen oder singen.
nmz: Zu den Strukturelementen des Oratoriums gehören
ja auch Arien, Duette, ebenso wie die Choräle oder die Fugen
jeweils zum Schluss der Teile. All das findet aber in diesen oratorischen
Szenen nicht statt... Katzer: Nein, nur ganz am Schluss tritt der Chor aus seiner
agierenden Rolle heraus und zitiert eine gewisse Choralintonation
und wird damit zum reflektierenden Chor. Bis dahin ist er wirklich
in die Handlung einbezogen, als agierende plurale Person.
nmz: Ich sprach mit Christa Wolf über das Problem,
dass die Komplexität der Darstellung der Medea, wie sie in
ihrem Roman möglich war, in dieser dramatischen Form, die Ihrer
Komposition zugrunde liegt, nicht zu leisten wäre. Insofern
ging es in unserem Gespräch auch um die „Aufgabe“
der Musik kompensierend zu wirken, beziehungsweise neue Wirkungen
hervorzubringen. Katzer: Christa Wolf hat dieses Libretto als ein Stück
Literatur geschrieben. Was mir sehr recht war. Ich brauche Dinge,
an denen ich mich reiben kann. Ich habe es gern, wenn vom Autoren
keine Vorstellungen kommen, die ich aus verschiedenen Gründen
vielleicht nicht umsetzen könnte. Ich fand das auch von ihr
sehr nobel, dass sie nicht in dieser Richtung gedacht hat, sondern
mir bei der Komposition freie Hand ließ.
nmz: Lassen Sie uns über den Kompositionsprozess sprechen.
„Medea in Korinth“ ist nicht Ihre erste Arbeit mit Text.
In diesem Falle lag das Libretto vor. „Am Text entlang komponieren“
– könnte man den Arbeitsprozess so beschreiben? Katzer: Das kann man so sagen, ja. Ich habe das Stück,
nach dem das Libretto von Christa Wolf verabschiedet worden war,
in einem Zug skizziert, in ganz kurzer Zeit. Meine Absicht war es,
ganz schnell zu komponieren, um das Stück von daher kennen
zu lernen. Von diesen Skizzen ist bei der Ausarbeitung wenig übrig
geblieben. Aber wichtig war mir zunächst, ein bestimmtes Klima
für das Stück herzustellen. Dabei sind dann auch die Entscheidungen
über die Besetzung des Orchesters, die Stimmgattungen, die
Klangfarbe des Orchesters gefallen. Ich habe mich zum Beispiel dafür
entschieden, die hohen Streicher wegzulassen. Solche Dinge sind
bereits im Laufe der ersten Arbeitsphase festgelegt worden.
nmz: Nach welchen Überlegungen haben Sie die Instrumentierung
vorgenommen? Katzer: Einerseits wollte ich kein „antikes“
Orchester auf die Bühne bringen, auf der anderen Seite aber
auch kein klassisches oder romantisches. Deswegen zum Beispiel gibt
es eine starke Betonung von Oboen und Doppelrohrblattinstrumenten,
Flöten – das ist durchaus ein bisschen zitathaft angelegt,
so in Richtung griechische Vasenmalerei, auch spielen Harfe und
Schlagwerk eine große Rolle. Die tiefen Streicher brauche
ich einfach, um die Tiefenfülle zu bekommen und die Blechbläser
sind, ganz traditionell, der Sphäre der Macht zugeordnet. Generell
sind die Partien sehr sparsam instrumentiert. Mir kam es auf eine
hohe Wortverständlichkeit an. Medea ist eine Altstimme. Für
ihre Begleitung ist die Harfe besonders wichtig, wie auch die etwas
gedeckten Instrumente: die Bassflöte oder das Englischhorn.
Der Text ist ja sehr expressiv, was zu einem emotionalen Kompositionsstil
geführt hat. Ich lasse die Sänger mit sehr viel espressivo
singen und ich scheue mich auch nicht davor, die Gesangsstimmen
wirklich cantabile zu führen. Das ist eine bewusste Aufnahme
von Gesangskultur, die mir in manchen Stücken fehlt, wo mir
die Gesangspartien zu deklamatorisch sind. Ich wollte hier ganz
bewusst die melodische Linie haben. Die Frage ist natürlich,
wie das Publikum das auffasst.
nmz: Dachten Sie bei der Komposition der Partien an bestimmte
Interpreten, auf die Sie die Partien „zugeschnitten“
haben? Katzer: Nein, ich habe mir zwar einen Stimmcharakter vorgestellt,
aber keine bestimmten Sänger. Die Interpreten haben wir erst
danach gesucht. Die Medea wird von Anette Markert gesungen und ich
bin hoch beglückt, wie sie das angeht: genauso, wie ich es
mir vorstellte.
nmz: Ihre Orchesterbesetzung sieht sehr vielfältige
Schlag- und Perkussionsinstrumente vor. Das erscheint auf den ersten
Blick als archaischer und zugleich spartanischer Ausdruck. Kann
man dies als einen Hinweis auf die antiken Traditionen des Stoffes
verstehen Katzer: Das kann man so sehen. Ich habe auch ein Modell entwickelt,
das sehr oft angespielt wird. Es ist ein thematischer Komplex, ein
Gebilde aus Pentatonik und Chromatik, das oft im Zusammenhang mit
Medea auftaucht und auf die ältere Schicht hinweist, die im
Medea-Mythos vorhanden ist.
nmz: Im „Medea“-Oratorium findet man ja die
Tradition des antiken Chores bewusst aufgenommen. Die Texte des
Chores sind in einer Diktion, die sie für eine gesprochene
Wiedergabe geradezu prädestiniert... Katzer: Ich habe mich dafür entschieden, bestimmte Stellen
tatsächlich sprechen zu lassen, wie das bei den antiken Chören
auch gebräuchlich war. Mir ging es dabei um eine Erweiterung
des Klangspektrums des Chores. Zum Teil wird ja die Sprache auch
phonetisch behandelt, abweichend also von der klassischen Chorbehandlung,
indem Konsonanten oft besonders hervorgehoben werden.
nmz: Wir reden hier von einer Medea, die von ihren „Vorgängerinnen“
auf der Sprechbühne und in der Oper sehr verschieden ist. Hat
Sie das in der Konzeption Ihrer Arbeit beeinflusst? Katzer: Das Stück ist voller aktueller Bezüge,
und doch sind keine Modernismen darin. Die Geschichte ist so klar
strukturiert, es kommt so deutlich zum Ausdruck, dass Konflikte
behandelt werden, die, leider, muss man sagen, menschheitsimmanent
sind. Seit es Gesellschaften gibt, gibt es diese Konflikte in den
Gesellschaften. Das wird im Libretto sehr deutlich. Es war gerade
die Deutung, die Christa Wolf gefunden hat, für mich so interessant.
„Medea“ ist so oft komponiert und getextet worden, dass
die neue Version etwas freilegt, das neue Auseinandersetzungen provoziert.
nmz: Sie haben bereits in den unterschiedlichsten Formen
gearbeitet: Oper, Kammermusik, Orchesterwerk, elektronische Musik,
Solo-Literatur. Abgesehen davon, dass „Medea in Korinth“
Ihre jüngste Komposition ist –diese Werkform ist auch
neu für Sie. Welche Rolle spielt sie für Sie in Ihrem
Oeuvre? Katzer: Wir hatten schon über Nähe dieses Stückes
zur Oper gesprochen. Es baut ja sehr stark auf dem Chor auf. Ich
will nicht von einer Choroper reden – dazu sind die anderen
Partien auch zu gewichtig, aber der Chor als agierendes Element
hat eine ganz wichtige Funktion. Insofern ist das für meine
Opern schon auch ganz neuartig.
nmz: Der Komponist sieht sich heutzutage mit den Rezeptionsgewohnheiten
eines Publikums konfrontiert, das geradezu bombardiert wird von
einer Fülle unterschiedlichster optischer und akustischer Einflüsse,
wie sie noch vor wenigen Jahren gar nicht vorstellbar waren. Wie
schwer ist es für Sie als Komponist, sich gegen die so gewachsenen
Rezeptionsgewohnheiten zu behaupten, dagegen anzugehen? Katzer: Die Neue Musik hat sich sehr stark differenziert
– sie reicht von Noise-Art bis zu relativ klassischen Formen.
Und mit ihr hat sich auch das Publikum differenziert. Man muß
wissen, für welches Publikum man schreibt. Das ist etwas, das
ich bei Hanns Eisler gelernt habe: Musik in dieser Hinsicht funktional
zu sehen, komponiert zu einem bestimmten Zweck, mit einer bestimmten
Funktion. So richte ich auch meinen Kompositionsprozess aus. Das
bedeutet nicht, dass ich von Stück zu Stück meinen Stil
ändere. Aber es gibt Vorgehensweisen, mit denen man diese Funktionen
betonen kann.
nmz: Ein Blick auf die Spielpläne der Konzerthäuser
zeigt das Missverhältnis von klassischer und zeitgenössischer
Musik. Besteht nicht die Gefahr, dass der Konzertbesucher von morgen,
(eigentlich schon von heute) es verlernt, diese Musik zu hören,
sich mit ihr auseinandersetzen zu können? Katzer: Ja, die neue Musik wird hauptsächlich in der
Off-Szene angeboten. Aber ich habe als Komponist gar keine andere
Wahl als das zu machen, was ich für richtig halte. Ich kann
nicht unter einen bestimmten Anspruch gehen, das wäre Selbstverleugnung
und eine Verleugnung des ästhetischen Anspruchs von Kunst.
Das wäre falsch, so würde man eine After-Kunst produzieren.
Ich sehe natürlich die Schwierigkeiten, die das mit sich bringt.
nmz: Wie kann man Ihrer Meinung nach den Konzertbesucher
motivieren, sich auf zeitgenössische Musik einzulassen, sich
dafür zu interessieren? Katzer: Ich kann als Komponist nicht mehr tun, als meine
Musik so verantwortungsvoll wie möglich zu komponieren. Alles
andere ist eine Sache der Vermittlung und der Medien. Das ist in
dieser Medienlandschaft natürlich schwierig, weil hier „Event-Making“
und das Laute, Auffällige, die Spaß-Kultur im Vordergrund
steht.
nmz: Mutlos machen Sie diese Schwierigkeiten aber nicht? Katzer: Nein, das kann ich nicht sagen. Wissen Sie, wenn
man arbeitet, überwiegen ganz andere Dinge: die Konzentration,
die Lust am Komponieren – da kommt viel zusammen. Natürlich
denkt man auch ans Publikum, aber man stellt es sich als eines mit
den eigenen Ohren vor. Eine andere Möglichkeit hat man gar
nicht.
Auswahl einiger Werke
• „Das Land Bum-Bum“, Oper 1975
• „Schwarze Vögel“, Ballett 1978
• „Antigone oder die Stadt“, Oper 1989
• „Landschaft mit steigender Flut“, Orchester
1991
• „Schrittweise Auflösung harmonischer Verhältnisse“,
Kammerensemble 1994
• „Gesang-Gegengesang-Abgesang“, Orchester 1996
• „Geschlagene Zeit“, Konzert für sechs
Schlagzeuger und Orchester 1997
• „Nänie für Johannes Bobrowski“,
Orgelkonzert mit Orchester 1998;
• „Der Maschinenmensch“, Kammeroper 199
• „SaxophonMachine“, Konzert für Saxophon
und Orchester 2000
• „Godot kommt doch, geht aber wieder“, Ensemble
2000
• „Die blühenden Landschaften“, radiophone
Komposition 200 1
• „Aufgrund meiner Verehrung für Domenico Scarlatti“,
Klavier 2001