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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 52
51. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Andere Orte, anderes Publikum erobern
Berliner „Inventionen“ feiern ihr 20-jähriges
Jubiläum
Gefährdet waren sie eigentlich immer. Bereits 1986, nach vierjährigem
Bestehen, mussten sie aus Geldmangel eine Zwangspause einlegen;
„Inventionen am Ende?“ unkte die Presse auch 1996, als
mit der Akademie der Künste ein wichtiger Mitveranstalter ausstieg
und plötzlich als Konkurrent einen großen Teil der Senatsfördermittel
absahnte. Da hatte das Berliner Festival, nach Auskunft seines Gründers
Folkmar Hein immerhin das größte für elektronische
Musik in Deutschland, bereits eine wechselvolle Geschichte hinter
sich. Alternierend mit der von den Berliner Festspielen aus der
DDR hinübergeretteten Musikbiennale mussten die „Inventionen“
im Zwei-Jahres-Turnus antreten; die an Stelle dieses vergleichsweise
konservativen Festivals getretene MaerzMusik und die von den Berliner
Rundfunksendern ausgerichtete Veranstaltungsreihe UltraSchall versuchten
ihnen das Profil streitig zu machen.
Das jedoch lässt an Klarheit bis heute nichts zu wünschen
übrig. Das Berliner Künstlerprogramm des DAAD mit seiner
eher experimentellen, in der damaligen Konzertlandschaft recht exotischen
Ausrichtung und das Elektronische Studio der Technischen Universität
Berlin bildeten von Anfang an die tragenden Säulen. Was hier
als Verbindung von Musik und Technik ebenso protegiert wie in der
Konfrontation des Neuen mit historischen Entwicklungen kritisch
hinterfragt wurde, griff das Jubiläum zum 20-jährigen
Bestehen noch einmal auf. Folglich setzten auch diesmal die „Stammgäste“
Arditti-Quartett und Les Percussions de Strasbourg kräftige
Akzente. Im Quartettabend der Ardittis behauptete sich allerdings
neben Salvatore Sciarrinos leiser Aphoristik voll verborgenem Melodienreichtum
lediglich Soo-Jung Shin mit den zarten, klangsensibel die „Reinheit“
von Mikrotönen, Temperierung und Geräuschen erforschenden
Gebilden ihrer „Drei langsamen Sätze“. 2003 wird
die junge Südkoreanerin Gast des DAAD in Berlin sein. Was sie
zu eingängiger Kompression bringt, entfaltet Klaus Lang in
seinem Streichquartett „sei-jaku“ (Fische, Sterne) in
etwa einstündiger Dauer zum arg fordernden Minidrama, flüsternden,
wispernden Aktionen, deren Wahrnehmungsanstrengung an der Grenze
des Hörbaren geradezu in Meditation umschlägt. Die beste
Art, Fisch zu kochen, ist nun mal, ihn nicht zu kochen, kommentiert
der junge Grazer Komponist sein Werk.
In diesem Konzert des Senders Freies Berlin, das sich an der Verbindung
der heterogenen Charaktere der beiden Instrumentengruppen versuchte,
gelang Georg Friedrich Haas die überzeugendste, über das
bloße subtile Klangfarbenspiel hinausweisende Lösung.
Seine „Zerstäubungsgewächse“ für acht
Schlagzeuger und Streichquartett von 1989 reflektieren mit sich
hartnäckig durchsetzendem tonalem Material die „Unveränderungen“
überwunden geglaubter Verhältnisse, wagen mit der Umfärbung
eines pendelnden Sekundschritts von Streicherflageolett zu bogengestrichenem
Becken auch die Zumutung eines langen, verunsichernden Spannungszustandes.
Die Klang- und Rhythmusverschiebungen der „Cognate Canons“
von James Tenney dagegen – ein „Inventionen“-Auftragswerk
von 1994 – wurden hier in starren Mustern befangen nicht recht
deutlich. Ein Highlight setzten die berühmten Straßburger
Perkussionisten dafür mit „Le Noir de l’Etoile“
von Gérard Grisey, verdienstvolle Deutsche Erstaufführung
dieses bisher nur vier Mal zu hörenden Ausnahmewerkes von 1989/90.
Überwältigende Schlagzeugattacken stoppt der zu den „Spektralisten“
zählende Komponist mit dem trockenen Knacken und tiefen Brummen
von „Pulsaren“ – längst erloschene Sterne,
deren Signale mit Radioteleskopen aus dem Weltall aufgefangen wurden.
An ihre große West-Berliner Zeit können die Inventionen
sicherlich nicht mehr anknüpfen Doch viel junges, offensichtlich
nicht unbedingt der E-Musik-Szene zugehöriges Publikum besuchte
diesmal die 17 Konzerte und Performances. Nach der Wende eroberte
man auch neue Orte: So konnten 14 Klanginstallationen entlang der
von West nach Ost führenden U-Bahnlinie 2 gezeigt werden, von
der Klanggalerie im Haus des Rundfunks bis zum stillgelegten Stadtbad
in der Oderberger Straße. Dort ließ der kanadische Klangkünstler
Robin Minard 576 Minilautsprecher an dünnen Strippen aus dem
großen abgeblätterten Schwimmbecken pflanzenhaft hervorwuchern,
deren leises Plätschern ein intaktes Biotop suggerierte –
als scheinbar tröstliches Bild einer den Menschen und seine
verderblichen Künste ewig überdauernden Natur.