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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 52
51. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Mit Aufsässigkeit muss gerechnet werden
Zu Moritz Eggerts Kinderoper „Dr. Popels fiese Falle“
in Frankfurt
Eine mal etwas andere Premiere. Reden wurden geschwungen, bevor
Moritz Eggerts Uraufführungsoper „Dr. Popels fiese Falle“
(ein Cartoon-Titel, fetzig wie eine Klinikpackung Doppelburger)
losging. Das Ungewöhnliche daran: ein Schulprojekt, realisiert
vom Frankfurter Lessing-Gymnasium, mit den Ressourcen der Oper und
unter professioneller Anleitung. Eine auch für den erwachsenen
Kunstfreund reizvolle Zusammenführung, für Deutschland
noch beinahe Neuland. Die Frankfurter Erfahrung begeisterte sich
an der Erschließung jugendlichen Musizier- und Spielvermögens:
gegen notorische Unterforderung.
Böser Kinderschreck:
Dr. Popel (Martin Busen). Foto: Barbara Aumüller
Die Musik des aus Frankfurt stammenden 37-jährigen Komponisten
kommt locker und grellbunt daher, klebt ein Allerlei aus Stilen
und Zitaten zusammen, flottiert munter zwischen Musical und Oper;
schert sich wenig um Unterschiede zwischen Klassik und Pop. Die
behände ineinander greifenden Tonfälle erfordern aber
sicher größte Geistesgegenwart. Auch das Schrille, Lärmige,
Chaotische muss pünktlich und punktgenau abgeliefert werden.
Dirigent Roland Böer konnte sich offenbar auf seine klingenden
Truppen verlassen – auf die liebevollst einstudierten und
reaktionssicheren Chöre und das Orchester des Lessing-Gymnasiums.
Deren typischer „Schulklang“ machte sich der Komponist
bei seiner Partiturarbeit so raffiniert zum Leitbild, dass etwas
in seiner Art Perfektes entstehen konnte, was mit der Halbgüte
einer bemüht philharmonischen Laienbestrebung nichts mehr zu
tun hatte. Es hat ja auch etwas Wohltuendes, wenn Streicher- oder
Blockflötentutti weniger gepflegt als subversiv klingen. Jedenfalls
entsprechen solche Klangfarbfelder, Geräuschflecken oder Lärmstöße
akkurat den Intentionen des Komponisten, die ihrerseits auf diese
Klanglichkeit aus sind: Entwicklung einer kindlichen Musiksprache,
ein durchaus experimentelles Unterfangen (an das leider viele Komponistengenerationen
nicht im Traum dachten). Eggert beginnt sogar auf amüsante
Weise didaktisch, indem er die beteiligten Instrumente einzeln oder
als Gruppe vorstellt. Der weitere, durchweg turbulente Musikverlauf
wird gelegentlich auch durch kleine Arien oder Mini-Ensembles für
Momente ruhig gestellt, bevor es dann wieder mit markigen Chorbildern
oder rasanten Orchestergewittern weitergeht. Gewiss hat Eggerts
Musik ein Pionierstück wie Henzes „Pollicino“ im
Hinterkopf, aber in ihrer Beweglichkeit, Unbefangenheit und Drastik
trifft sie sich besonders gut mit einer von viel Heterogenem berührten
Wahrnehmung. Als Schüler Wilhelm Killmayers aktiviert Eggert,
sozusagen Orff-Enkel, natürlich auch die Ostinato-Prinzipien,
die er lebhaft mit minimal-music-Ingredienzen kurzschließt.
Von besserwisserisch Altmeisterlichem hält er sich geschickt
fern, und es ist ein durch aus unernstes Augenzwinkern, mit dem
er Denkmalsfragmente wie Arbeiterkampflieder oder Ravels Bolero
(auffällig unauffällig) hereinfunken lässt. Kindermusik,
kein asketisches Hänschenklein, sondern das wirbelnd integrierte
Alles-schon-mal-Gehörte energisch neu verquirlt.
Die Geschichte, die die Oper erzählt, ist durchschossen von
Selbstironie. Die Oper, kein fertiges Produkt; sie wird in statu
nascendi vorgeführt. Der Komponist Moritz Eggert hat erst gar
keine Lust auf das Stück, denn er kann Kinder nicht leiden.
Erst der fette Auftrag der Oper Frankfurt macht ihn spitz. Und gegen
Ende wird er als Autor von den Kindern sogar hochdramatisch entmachtet
– sie wollen sich ihre Oper selbst aneignen. Diese Ironievolte
wendet sich freilich auch gegen die jugendlichen Akteure, deren
antiautoritäre Attitüde nur allzu merklich wird als Theater
auf dem Theater, als wohlinszenierte Aufsässigkeit.
Klar gestellt ist freilich auch, dass mit dem Eigensinn der Kinder
zu rechnen ist. Kinderpopel ist denn auch der Nährstoff des
gleichnamigen fiesen Doktors, dessen vampiristische Perversion darauf
hinausläuft, seine kindlichen Opfer in Gartenzwerge zu verwandeln.
Das schlimme Handwerk wird ihm gelegt von den beiden phantasiebegabten
Kindern Abú Schabú und Ola Obelli; die sich das alles
womöglich nur ausdenken. Auch ihre Eltern (ärmliche, von
Mietersorgen bedrohte Existenzen, Reminiszenzen an Humperdincks
„Hänsel und Gretel“) tappen arglos in Dr. Popels
Falle. Der Fiesling hat Helfershelfer (die Horde der Trollgomolle),
aber auch die Kinder versichern sich mächtigen Beistands aus
einer anderen Welt, indem sie Fritz, den Chef der unbezahlbaren
Riesen, aus dem Fernsehgerät in die Wirklichkeit holen. Am
Schluss wird nicht nur Dr. Popel unschädlich gemacht, sondern
auch noch das Zauberbuch (das Libretto) geknackt.
Schon bahnt sich im Entzauberungsglück der Alltagskater an,
da schrillt das Telefon: Oper Frankfurt! Aufs Neue verzaubernde
Final-Pointe. Das umstandslose Surfen in virtuellen Ebenen gehört
zum selbstverständlichen Bestand moderner Kinderstories, ist
aber auch schon seit „Frau Holle“ und „Alice in
Wonderland“ im Kinderrepertoire. Andrea Heusers Textbuch reiht
die einschlägigen Motive und Fertigteile anmutig aneinander.
Marion Menzigers Pappkarton-Bühnenbild und Heike Ruppmanns
Kostüme (realisiert mit der Lessing-Kunst-AG) geben der Drehbühne
farbenfrohe Belebung: Die (mikrophonverstärkten) jugendlichen
Sängerdarsteller waren mit Hingabe bei der Sache: der winzige
Abú Schabú von Manuel Zschunke wartete mit verführerischem
Sängerknabentimbre auf, die Ola Obelli von Jane Droste war
vokal temperamentvoll, die Doppelrolle Komponist/Popel souverän
mit dem Bariton Martin Busen besetzt; ansprechend auch das Elternpaar
(Malte Dahme, Indu Rani Sinha) und die Superman-Persiflage Fritz
von Helga Matzel. Unendlicher Jubel im Haus. Ein Eckstein in Sachen
Kinderoper, der kein Schlussstein bleiben sollte.