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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 36
51. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Kein fauler Zauber: Musik und Literatur
Zu den 57. Sommerlichen Musiktagen Hitzacker
Die 57. Sommerlichen Musiktage Hitzacker mit dem diesjährigen
Thema „Beziehungszauber: Musik und Literatur“ –
kein fauler Zauber! Das bestätigten glücklich und erfüllt
von einer großartigen Kammermusikwoche der Vorstand des Vereins
der Freunde und das außerordentlich zahlreiche, hoch motivierte
Festspielpublikum im intimen Elbestädtchen. Immerhin war dies
der Beginn der Ära Dr. Markus Fein, der als Intendant für
seine erste Spielzeit ungeteiltes Lob von allen Seiten erhielt.
Er hatte nicht nur die organisatorischen Fäden fest und souverän
in den Händen gehalten, sondern sich auch als ausgezeichneter
Dramaturg bei der Programm-Gestaltung erwiesen.
Sein Konzept der Innovation auf der Basis von Tradition ging wie
von selbst auf – eigentlich kaum zu glauben, weiß man
doch von der problematischen Altersstruktur und den damit verbundenen
Präferenzen. Aber auch hier wehte frischer Wind mit der neuen
Idee einer Jugend-Akademie: 20 junge musikliebende Stipendiaten
als „Festival-Fellows“ nahmen begeistert am Festival-Leben
teil, hatten einprägsame Begegnungen mit den Musikern und den
langjährigen „Hitzackeranern“. Daneben ist die
Konzert begleitende Hörer-Akademie an den Nachmittagen im nahe
gelegenen romantischen Jagdschlösschen Göhrde wieder ein
Hit des gleichermaßen anspruchs- und lustvollen Info-Karussells
geworden.
Fünf Ur-Aufführungen standen bis zur Halbzeit zur Debatte:
Peter Gülke, renommierter Dirigent und Musikschriftsteller,
hatte Debussys Mallarmé-Vertonungen für das exzellente
„ensemble recherche“ aus Freiburg eingerichtet und vervollständigt;
beim international renommierten Kompositionswettbewerb des Festivals
stellte das „ensemble recherche“ als wahrer Spezialist
im Bereich Neue Musik auch die drei gekürten Werke vor. Trotz
vehement diskursiver, mit Buhs garnierter Diskussion ging der Publikumspreis
erstmals konform mit der Jury-Entscheidung, die drei individuelle
Tendenzen des breiten internationalen Kammermusik-Spektrums aus
70 Bewerbungen gewählt hatte. Insgesamt gingen Preisgelder
von 6.000 Euro an Christopher Burns (USA, 1. Preis), Juliana Hodkinson
(GB, 2. Preis) und Olga Rajewa (Russland, 3. Preis). Auch vom diesjährigen
„Composer in Residence“ Heinz Holliger, der sich als
Komponist, Dirigent, Pianist und Oboist ins Festival einbrachte,
gab es ein neues Werk, die Miniatur für Kontrabass solo (Johannes
Nied) „Unbelaubte Gedanken zu Hölderlins Tinian“.
Dazu präsentierte Holliger eine Themen bezogene Werk-Palette,
allen voran der beklemmende Zyklus „Beiseit“ auf Texte
von Robert Walser, auch die „Mileva-Lieder“, „Lieder
ohne Worte“, „Trema“ in der Solo-Violinen-Fassung
und die Partita für Klavier – bei aller Verschiedenheit
Werke intensiver Stille und zutiefst auf die menschliche Natur und
ihre Existenz aus dem Atembogen bezogen.
Auffallend war die ausführende Präsenz überwiegend
junger, schon hoch professioneller Musikerinnen und Musiker, die
mit viel unverbrauchter Frische brillante Interpretationen von Bach
über Michael Denhoff bis Zelenka gaben: so die sprühende
Schweizer Sopranistin Sylvia Nopper, die hochdramatische, großartige
Chistiane Iven – winkt da nicht schon Bayreuth?, der britische
Counter David James, die vorzügliche Geigerin Muriel Cantoreggi,
das Rosamunde-Quartett und nicht zu vergessen die vielseitige Pianistenriege
mit Evgeni Koroliov an der Spitze.
Gefeierter Publikumsmagnet blieb über die gesamte Festspielzeit
jedoch der „Pianist mit Stern“ Anatol Ugorski. Dem auratischen,
facettenreichen und humorvollen Künstler hatten die „Sommerlichen“
ein umfangreiches Interpreten-Porträt gewidmet. In seinen Rezitals
faszinierten Meilensteine der Klavierliteratur wie Beethovens op.
111 und Liszts h-Moll-Sonate in der typisch abgeklärten, spätromantisch-russisch
geschulten Stilvariante des „Klangmagiers“, der diesen
Titel mit berückender Vielfalt an singenden Nuancen und Farbvaleurs
erneut bestätigte.
Hitzacker macht süchtig – das sagen alle, die einmal
da waren: aber das anspruchsvolle Festival ist immer noch ein Geheimtipp.