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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 34
51. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Dialoge, Fragen, Märchen, Klangreden und Gebete
Begegnungen mit dem Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös
in den Kölner „Musik-der-Zeit”-Konzerten des WDR
Gewichtiger Saison-Auftakt für die Neue Musik beim Westdeutschen
Rundfunk Köln: In vier Konzerten wurde das Schaffen des Komponisten
und Dirigenten Peter Eötvös anhand charakteristischer
Werke präsentiert. Kom-positionen von Charles Ives, Leos Janácek
und Gerhard Rühm sowie Uraufführungen von vier jungen
Komponisten fügten sich thematisch sinnvoll in das Eötvös-Programm
ein, das zu Beginn ein instruktives, sensibel fotografiertes Filmporträt
von Peter Eötvös brachte, das Judit Kele gestaltete.
Die Form des Komponistenporträts erscheint als eine geeignete
Methode, speziell in der zeitgenössischen Musik Person und
Schaffen eines Künstlers einem oftmals unvorbereiteten Publikum
nahe zu bringen. Die Anwesenheit des Komponisten, die Gespräche
und Diskussionen mit ihm, leisten für die Vermittlung seiner
Musik eine bemerkenswerte Hörhilfe: Der gutwillige, gleichwohl
womöglich noch skeptische Musikinteressierte hört wenigstens
erst einmal ruhiger und konzentrierter zu, bevor er sein Urteil
fällt. In das Routineprogramm eines Abonnementskonzertes gleichsam
als Konterbande und ohne Komponistenpräsenz „eingeschmuggelt”,
verfällt die ungewohnte Novität oft allzu rasch der am
Beifall abzulesenden Teilnahmslosigkeit.
Wie informativ und sinnstiftend ein so gestaltetes Komponistenporträt
sein kann, das zeigte die erste „Musik-der-Zeit”-Veranstaltung
des Westdeutschen Rundfunks Köln zum Auftakt der neuen Saison.
Es war dem ungarischen Komponisten Peter Eötvös gewidmet,
der spätestens seit der fulminanten Uraufführung seiner
Oper „Trois Soeurs” 1998 in Lyon zu einem der meistgefragten
Komponisten der Gegenwart avancierte.
Die vergleichsweise späte Hinwendung zur großen Opern-Form
– Eötvös wurde 1944 geboren – überrascht
nicht weiter. Eötvös offenbart in seinem gesamten Schaffen
eine ausgeprägte Affinität zum Wort, zur Sprache. Sprache
wird dabei nicht im tradierten Sinne vertont und mit Musik unterlegt.
Sie wird vielmehr in Musik gleichsam „übersetzt“:
ihre Bewegungen, Gesten, ihr Rhythmus, ihr theatralischer Ausdruck
finden sich entsprechend in musikalisierter Gestalt wieder, wobei
sprachliche Rudimente, Wortfetzen oder Stimmlaute wiederum in die
Kompositionen zurückkehren, in instrumentalisierter Funktion
sozusagen. Eötvös’ Werke enthalten in der Regel
ein ausgeprägtes dialogisches Element. Solo-Instrumente, Stimmen
und Ensemble korrespondieren miteinander „wie in einem gesprochenen
Theaterstück”. Der Zuhörer hört nicht nur,
er sieht förmlich die Musik, beobachtet die lebhafte, plastische
Gestik der Musik-Sprache, die zwischen Instrumentalisten und Vokalisten
„gesprochen” wird.
Eötvös hat in seinen jungen Jahren in Budapest viel
für das Theater komponiert. Diese Erfahrungen mögen sein
Komponieren beeinflusst haben, doch eher existierte von Beginn an
schon eine besondere Affinität zum Theatralischen, Bildhaften,
Gestischen, zur gespielten Bewegung. Schon das frühe Klavierstück
„Kosmos” (1961) überträgt mit Trillern und
heftigen Klang-Explosionen die Entstehung des Universums: die Musik
erhält eine optische Dimension, zumal in der in Köln gespielten
Fassung für zwei Klaviere, die asynchron agieren und dadurch
eine changierende Räumlichkeit suggerieren. Angeregt zu der
Komposition wurde Eötvös durch den ersten Weltraumflug
des russischen Astronauten Juri Gagarin – ein Beleg, wie stark
Eötvös‘ Imaginationen auch durch sogenannte Tagesereignisse
evoziert werden können.
Peter Eötvös betont, wie wichtig für sein Komponieren
das „Rituelle” ist: Gestik und Klang erscheinen dabei
in „absoluter Einheit”. Aus dieser Einheitlichkeit erwächst
auch das Faszinosum der „Trois Soeurs”. Doch erstaunlich
bleibt, wie variabel der Komponist dabei dieses „Rituelle”
anwendet, wie er Hochartifizielles und Stilisiertes, subtiles Klangtheater
oder Meditatives mit elegant Witzigem und leichtem Chansonton zu
verbinden weiß. In den „Snatches of a Conversation”
führen eine equilibristisch die Farben wechselnde Doppeltrichter-Trompete
(virtuos Marco Blaauw) und ein Instrumentalensemble unter Leitung
des Komponisten eine geistreiche musikalische Konversation.
Eine scheinbar kontroverse Art der „Klang-Rede” erscheint
in Eötvös‘ Komposition „Windsequenzen”
für Ensemble, die zwischen 1975 und 2002 entstand: Ein klanglich
äußerst sublimierter meditativer „Dialog”
zwischen Bewegung und Ruhe. Von faszinierender innerer Kraft zeugt
auch die neueste Komposition von Eötvös, die in Köln
uraufgeführt wurde: „IMA” (Gebet) für großen
gemischten Chor und Orchester auf Texte von Sándor Weöres
und Gerhard Rühm. Das Werk knüpft an Eötvös’
„Atlantis”-Komposition an, nur verkehrt sich die Perspektive:
Der Chor blickt aus unserer Zeit zurück auf eine magisch-verklärte,
geheimnisvolle Kultur. Die Texte von Rühm und Weöres entfalten
in Duktus, Sprechrhythmus und Sprachklang einen imaginären
Gebets-Tonfall, der von der Musik, vor allem im Klang des Chorgesangs,
geschmeidig aufgenommen, gleichsam transzendiert wird. WDR-Rundfunkchor
(Anton Marik) und WDR-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling
war eine ungemein ausdrucksdichte, gleichwohl klar strukturierte
Wiedergabe des Werkes zu danken.
Kompositionen von Charles Ives und Janácek sowie Melodramen
des Wiener Dichters und Musiker Gerhard Rühm komplettierten
die Eötvös-Werkschau, öffneten weitere Perspektiven
zum Thema Sprache und Musik. Auch ehemalige Schüler von Eötvös
erhielten Gelegenheit, sich in die “Dialoge mit Peter Eötvös”
einzubringen, wobei vor allem der Litauer Vykintas Baltakas mit
seiner Komposition “Poussia” für Soloinstrumente
und Orchester Aufmerksamkeit erregte: Ein durch das Instrumentarium
kreisendes Klangfeld, das hohe Energien abstrahlt und wechselnde
Hörereignisse evoziert. Aber auch die uraufgeführten Stücke
von Bruno Mantovani, László Tihanyi und Pedro Amaral
verrieten ausgeprägte individuelle kompositorische Handschriften.
Die Kölner „Musik-der-Zeit”-Zyklen bieten immer
wieder interessante Neuheiten und anregende thematische Fragestellungen.