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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 44
51. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Von der Hysterie des Versagens
„Angela – eine Nationaloper“ von Frank Schwemmer
in der Neuköllner Oper
Eine politische Oper über noch lebende Politiker ist immer
eine Mutprobe. Die Berliner „Neuköllner Oper“,
die das Stück in Auftrag gab und herausbrachte, geht noch einen
Schritt weiter. Ihre Oper handelt von der Vorsitzenden einer Partei,
die sich mitten im Wahlkampf befindet. Die Idee dazu hatte der Regisseur
der Produktion, Michael Lehmeier und verwirklicht werden konnte
sie eben nur mit dem agilsten, geistig beweglichsten der Berliner
Off-Musiktheater. Das Drahtseil, auf dem getanzt, musiziert und
gesungen werden musste, spannt sich irgendwo zwischen Beleidigungsklage
und Wahlagitation. Man hatte es über gute zwei Stunden sicher
unter den Füßen.
Veritable Wahnsinnsarie:
Kathrin Unger in der Rolle der Titelheldin Angela Merkel.
Foto:Neuköllner Oper
In 17 Szenen lässt das Stück die politischen Karrierestationen
der Titelheldin Angela Revue passieren. Ihre Bühne befindet
sich im Untergrund der Macht; Spielort ist der unfertige U-Bahnhof
Reichstag mitten im Berliner Nirgendwo zwischen Bundeskanzleramt,
Reichstagsgebäude und dem großen Bürohaus der Abgeordneten.
Das mit quietschbuntem Teppichboden belegte und mit Schauvitrinen
im Öffentliche-Gebäude-Stil und braunen Freischwingersesseln
aus dem weiland Palast der Republik bestückte Spielpodium ist
sichtbare Geschichte der letzten 13 Jahre.
Revue ist auch als musiktheatralisches Genre wörtlich gemeint.
Derartigen Charakter hat das Werk, wenn der Chor in der Rolle der
DDR-Bewohner – „Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn“
–, der Medien – „Tüchtig, tapfer authentisch“,
später „Kein Profil, graue Maus“ – oder des
niederen CDU-Parteivolkes – „Angie, Angie, Angie“
– seine Kommentare gibt. Es klingt ein wenig nach modernisiertem
Weill, nicht zum Schaden des Werkes. Das Kammerorchester verstärkt
diese Assoziationen durch die Besetzung mit vier Saxophonen, drei
Celli, Kontrabass, Klavier und Schlagwerk. Hans-Peter Kirchberg
hatte die richtige Hand für die schwierige Klangbalance im
überhalligen Underground.
Im ironischen Revueton treten auch Angelas singende und swingende
Politik- und Parteifreunde auf. Westerwelle: „Ich bin der
Giudo, ich bin mobil“; Michael Glos (Joachim Fuchs) darf sich
in zwei passacagliaförmigen „Verkündigungen“
vollmundig hören lassen. Roland Koch (Michael Bielefeldt) mit
komischem Schnutenmund und quäkiger Spieltenor-Stimme, räsoniert
im Untergrund. Wolfgang Schäuble (Dieter Goffing) tangiert
die Heldin näher, als Partner und Widerpart.
In wirklich opernhaftem Ton mit ausgesponnenen Parlandi, Duetten,
gar einer veritablen „Wahnsinnsarie“, dürfen nur
die Titelheldin und ihre Büroleiterin Beate Baumann singen.
Regine Gebhardt ist die Baumann, mit weichem Sopran, dabei doch
kühl distanziert. Kathrin Unger in der Titelrolle wurde zu
Recht ausgiebig gefeiert. Sie hat die Schärfe der Machtbesessenheit
in der Stimme, ebenso die Hysterie des Versagens in der K-Frage,
aber auch die Intensität der großen Soloszene „Ich
bin Physikerin“. Diese „Opern“-Stellen in ihrer
spätmodernen Normalität prägen sich dennoch musikalisch
am wenigsten ein. Glanzstück ist das Duett „Du Mädchen
vom Lande“ auf die Melodie von „Bald gras’ ich
am Neckar“ in einer sehr fern an Gustav Mahler erinnernden,
wehmütigen Harmonisierung. In einer Angela-Oper kann ein Friseur-Witz
– „Was ist er eigentlich von Beruf?“ – nicht
fehlen; Kathrin Unger sieht perfekt aus, furchterregend gar, wenn
sie im Dragonerschritt die Breite der Riesenbühne abschreitet.
In der Neuköllner Oper herrscht die richtige Mischung von
Witz, Mut und Ernsthaftigkeit, die ein solcher Wurf benötigt.
Dem Thema selbst hätte man trotzdem ein großes Haus gewünscht.
Denn, von tagespolitischer Unterhaltsamkeit entkleidet, ist die
Figur der Angela eine Opernheroine von verdischem Ausmaß.
Wie Abigaile kommt sie nicht aus den politischen Königsgeschlechtern,
sondern von irgendwoher. Vom Talent zum Herrschen und der Entschlossenheit
zur Macht hat sie trotzdem mehr als die anderen. Und ebenso wie
im archaischen Babylon des 19. Jahrhunderts wird diese Frauengestalt
vom tradierten männerdominierten politischen Gespinst eingehüllt
und neutralisiert. Edmund Stoiber, Stephan Korves in einer Sprechrolle
(!), labert sie, im Finale unkaputtbar, einfach zu. Es bleibt der
Weg zum Backblech. Pflaumenkuchen gelingt Angela immer gut. In diesem
Punkt sieht man sich mit der Unentschiedenheit des Stücks konfrontiert
und bedauert die Grenzen der Komposition Frank Schwemmers und des
Unternehmens Neuköllner Oper.