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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 34
51. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Auf den Bahnen eines gegenwärtigen Musiktheaters
Peter Ruzickas erste Festspiel-Saison: In Salzburg entscheidet
die Oper über Erfolg und Misslingen
Über die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen der neue
künstlerische Direktor der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka,
die Nachfolge von Gerard Mortier angetreten hat, wurde schon in
der letzten Ausgabe der neuen musikzeitung berichtet. Im folgenden
sollen noch die wichtigsten neuen Operninszenierungen der ersten
Ruzicka-Saison in gedrängter Form bewertet werden. Über
das nicht weniger bedeutsame Thema der Neuen Musik bei den Festspielen
werden wir im Zusammenhang mit Ruzickas Plänen für die
kommenden Jahre in einer der nächsten Ausgaben referieren,
auch über den diesjährigen im Umfang zwar kleinen, jedoch
instruktiven Auftakt mit heutigen österreichischen Komponisten
sowie mit der umfassenden, intellektuell brillant gestalteten Lachenmann-Hommage,
die Vorbild für weitere Komponisten-Darstellungen sein sollte.
Die ersten vier Ruzicka-Visitenkarten liegen vor: Mozarts „Don
Giovanni“, Zemlinskys „König Kandaules“,
Puccinis „Turandot“ und von Richard Strauss „Die
Liebe der Danae“. Die Beurteilungen der Aufführungen,
in Kritik und im Publikumsurteil, schwankten mitunter gewaltig zwischen
Jubel und strikter Ablehnung, vor allem bei den Inszenierungen.
Die Frau als Kunstwerk:
Robert Brubaker und Nina Stemme in „König Kandaules“.
Foto: Charlotte Oswald
Günter Krämers „Danae”-Inszenierung näherte
sich dem Werk nicht im Antiken-Kostüm wie weiland die Salzburger
Uraufführung 1952, sondern retierte intelligent die kuriose
Aufführungsgeschichte der Oper: 1944 Generalprobe in Salzburg
– die Verkündung des „Totalen Krieges” verhinderte
die Premiere –, dann 1952 die nachgeholte Premiere, und jetzt,
fünfzig Jahre später, die erneute Auseinandersetzung in
Salzburg: Was könnte alles in dem Stück sich verbergen?
Das Künstlerdrama, die Flucht vor der Wirklichkeit damals,
als Strauss die „Liebe der Danae” komponierte, Altersresignation,
aber womöglich auch die dunkle Ahnung vom Ende einer bestimmten
Form spätbürgerlicher Kultur? Aktuell auch und immer noch:
Die Geldgier, wenn die Gläubiger den Palast des verschuldeten
Pollux plündern – Krämer inszeniert das als Börsencrash
sehr witzig. Krämer entwirft für diese Perspektiven ruhige,
einprägsame, subtil ausgeleuchtete Bilder (Gisbert Jäkel,
Reinhard Traub). Fast etwas zu schön, um immer die denkbare
Tiefenschärfe zu gewinnen, aber doch von einer Eindringlichkeit.
Fast totaler Ablehnung verfiel David Pountneys „Turandot”-Inszenierung.
Gewiss, was Pountney und sein Bühnenbildner Johan Engels auf
die Bühne des Großen Festspielhauses wuchteten, erinnerte
an fürchterlichste Karajan-Inszenierungen. Doch enthielt Pountneys
Konzept durchaus zutreffende Überlegungen.
Diese gingen von Puccinis Musik aus, in der sich viele Einflüsse
der damals in den zwanziger Jahren aktuellen Musik wiederfinden,
rhythmisch, harmonisch, in der Klanggestaltung. Pountney assoziiert
auch Filmisches und Bildnerisches: Chaplins „Modern Times”,
wo der Komiker im Zahnräderwerk sich verfängt, Fritz Langs
„Metropolis”, die Bilder von Leger. Diese Optik mischt
Pountney virtuos unter die Chinoiserien der Vorlage. Die zuckenden,
maschinenartig agierenden Massen entfalten eine magisch-groteske
Wirkung. Man könnte auch an die Mechanistik des Puppentheaters,
die Apparate des Physikers Spalanzani denken. Die Herkunft des Stoffes
legt solche Assoziationen nahe. Vielleicht hätte der Regisseur
auch die Handlung ganz aus China nach Europa verpflanzen sollen:
Turandot als verklemmte, hochmütige Industriellentochter, ein
Fall für Doktor Freud. Das hätte sicher einen Skandal
gegeben, andererseits aber auch besser zum neuen Berio-Finale sich
gefügt. Luciano Berios Musik versucht sehr differenziert, die
Wandlung der Prinzessin zu beschreiben – ein von Puccini vorgesehenes
sinfonisches Intermezzo für diesen Prozess wird von Berio faszinierend
einfühlsam in Klänge übersetzt.
Überwiegend Zustimmung fand dagegen Zemlinskys „König
Kandaules”, vielleicht auch deshalb, weil kaum jemand das
Werk je auf der Bühne gesehen hat, es sei denn in Hamburg oder
Wien. Christine Mielitz inszenierte die vordergründig leicht
konfus-komplexe Handlung sozusagen „textgetreu”. Eine
seltsame Geschichte: Ein König verbirgt seine Frau, deren Schönheit
sprichwörtlich sein soll. Schließlich folgt der Augenblick
der „Entschleierung” auf einem Fest. Kandaules überlässt
die Frau dem Fischer Gyges, den er zum Freund erhebt. Ein goldener
Ring, den ein Gast in einem von Gyges gelieferten Fisch findet,
orakelt Seltsames über das „Glück”. Schließlich
überwältigt Gyges in der Gestalt des Kandaules die Königin,
die, als sie die Wahrheit entdeckt, Gyges auffordert, Kandaules
zu töten und mit ihr den Thron zu besteigen.
Hinter der Geschichte verbergen sich komplexe Themen, das Künstlerdrama,
die Beziehung des Schöpfers zu seinem „Werk” in
Gestalt der verschleierten Königin, das Cardillac-Motiv: der
Künstler, der sich von seinem Werk nicht zu lösen vermag
und die Käufer seiner Kunst deshalb ermordet. Schließlich
auch die motivischen Verschlingungen von Macht und Liebe, Kunst
und Verbrechen: eine naheliegende faschistische Perspektive. Das
könnte, müsste eine aktuelle Inszenierung zu zeigen versuchen.
Christine Mielitz‘ realistischer Zugriff blieb da etwas zaghaft
außen vor.
Mozarts „Don Giovanni”: Dirigent Nikolaus Harnoncourt,
Regisseur Martin Kusej, Bühne: Martin Zehetgruber. Das „Team”
wird in den kommenden Jahren auch „La Clemenza di Tito”
und den „Figaro” für Salzburg erarbeiten, deshalb
lag auf dem „Don Giovanni” ein besonderer Erwartungsdruck.
Kusejs „Verführer” (Thomas Hampson) zeigt wenig
Neigung zum erotischen Supermann, er strebt dem Tod entgegen. Das
ist das beherrschende Motiv, das Kusej und sein Bühnenbildner
sowie die Kostümbildnerin Heide Kastler in ein modernes Outfit
kleiden. Kaltes Weiß dominiert auf der sich unentwegt drehenden
Rundbühne, die dabei unzählige Kabinette eröffnet,
in denen kleine Szenen sichtbar werden. Staksende Models in weißen
Bikinis suggerieren kalten Sex, auf dem Friedhof sieht man alte
Weiber in zerrissenen Strümpfen, im Finale tragen die Damen
die Unterwäsche in Schwarz: Proserpinas Schwestern. Wenig teuflisch,
eher albern.
Kusejs Inszenierung agiert oft virtuos (die Verführung Zerlinas),
ebenso oft ziemlich kindsköpfig, insgesamt in den Bilderfindungen
und „Übersetzungen” ins zeitgenössische Kostüm
auf seltsame Weise unverbindlich. Denselben Eindruck gewann man
vor zwei Jahren auch bei Peter Brooks „Don Giovanni”
für Aix-en-Provence: ein Spiel im leeren Raum im heutigen Anzug.
Brillant inszeniert kann das durchaus Wirkung machen, aber: Werden
die Geschichte und die Figur Don Giovanni dabei auch einsehbar?
Lässt sich das geschichtliche und gesellschaftliche Umfeld,
in dem Giovannis Treiben so verheerende Wirkungen zeitigt, ohne
Verluste einfach ausblenden? Bleibt die Musik: Harnoncourt dirigiert
mit den Wiener Philharmonikern einen in Temporelationen und plastischer
Formulierung bestechenden Mozart, dem es im Gesamtzusammenhang etwas
an dramatischer Kontinuität mangelt. Ein vorzügliches,
homogenes Ensemble sorgt für vokales Glück: Hampson, Anna
Netrebko (Anna), Michael Schade (Ottavio), Magdalena Kozena (Zerlina),
Melanie Diener (Elvira) ragen hervor.
Ohne Einschränkungen grandios der musikalische Part im „Kandaules”:
Kent Naganos Kompetenz sorgt mit dem Deutschen Symphonie-Orchester
Berlin dafür, dass Antony Beaumonts ein wenig schematisch wirkende
Instrumentation der Partitur fast Zemlinsky-süffig klingt.
Robert Brubaker (Kandaules), Wolfgang Schöne (Gyges) und Nina
Stemme (Königin Nyssia) singen und agieren überwältigend.
In „Turandot” dominiert Gabriele Schnaut, während
Johan Botha als Kalaf Strahlkraft vermissen lässt. In der „Liebe
der Danae” beherrscht Franz Grundheber als Jupiter die Szene:
Er singt die originale, etwas höher liegende Bariton-Partie
mit umwerfender Präsenz und Intensität, während Deborah
Voigts Danae ein wenig farblos blieb.