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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 14
51. Jahrgang | Oktober
Deutscher Kulturrat
Berichte aus dem Deutschen Bundestag
Nachrichten und Schlagzeilen aus Berlin · Von Gabriele
Schulz
Demokratie als Bauherr. Nachdem der Deutsche Bundestag
zu Beginn der neunziger Jahre die Entscheidung über die künftige
Gestaltung des Reichstags als Sitz des Parlaments zu treffen hatte
und in einer emotionalen Debatte das Für und Wider einer Rekonstruktion
oder Modernisierung diskutiert wurde, befasste sich am 4. Juli 2002
das Parlament mit einer minder schwierigen Frage: der Gestaltung
der historischen Mitte Berlins. In der Öffentlichkeit wurde
das Thema zumeist unter der schlichten Begrifflichkeit Stadtschloss:
ja oder nein abgehandelt. Ebenso verkürzend ist auch der Vorwurf
an die Befürworter des Schlosses, rückwärts gewandt
zu sein, oder aber der Vorwurf an diejenigen, die eine moderne Architektur
bevorzugen, die in der Mitte Berlins steingewordene Geschichte nicht
ernst zu nehmen.
Der Deutsche Bundestag folgte in der Plenardebatte um die Historische
Mitte Berlins und bei der anschließenden Abstimmung einer
seiner besten Traditionen, dass die Abgeordneten tatsächlich
nur ihrem Gewissen verpflichtet sind und daher erfolgte die Abstimmung
ohne Fraktionszwang.
Als erster Redner lobt Eckhardt Barthel (SPD), dass der Ausschuss
für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags nach den langjährigen
Diskussion in seiner Beschlussvorlage eine beschlussfähige
Vorlage erstellt hat. Weiter hat die Internationale Expertenkommission
Historische Mitte seines Erachtens ein schlüssiges Nutzungskonzept
vorgelegt, auf deren Grundlage über die Gestaltung entschieden
werden kann. Barthel macht deutlich, dass das zu errichtende Gebäude
aus privaten und aus öffentlichen Mitteln errichtet werden
muss. Da Berlin sich aus den bekannten Gründen finanziell kaum
beteiligen wird, ist ein Vorzug einer Teilrekonstruktion des Schlosses,
dass es leichter sein wird, private Geldgeber zu finden. Dennoch
plädiert Barthel dafür bei aller finanziellen Not, die
Tür jetzt noch nicht zu zuschlagen und auf der Grundlage des
vorgelegten Nutzungskonzeptes einen Architekturwettbewerb auszuschreiben,
um sowohl Ideen für eine moderne Architektur oder für
eine Teilrekonstruktion Raum zu geben.
Ebenso klar wie sich Barthel für einen Wettbewerb ausgesprochen
hat, plädiert Dietmar Kansy (CDU/CSU) für eine Teilrekonstruktion
des Stadtschlosses. Er erinnert daran, dass Berlin eine lebendige
Architektur hat. An der Gestaltung des Schlossplatzes festzumachen,
ob Berlin moderner Architektur zugewandt ist oder nicht, führt
seiner Meinung nach nicht weiter. Wichtiger ist, so Kansy, dass
bereits die DDR im Bereich der westlichen Spreeinsel in der Architektur
den Weg der Rekonstruktion vorhandener Bauten und nicht des radikalen
Neubaus gegangen ist. Der Gendarmenmarkt, die Neue Wache, das Alte
Museum und andere Gebäude verweisen auf das Schloss, dass als
gestalterisches Herz jedoch verloren ist. Die vorgeschlagene Teilrekonstruktion
kann seines Erachtens die Wunde in der Mitte Berlins schließen.
Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) setzt sich
in ihrem Redebeitrag mit der Frage auseinander, ob der Erhalt architektonischer
Tradition nach rückwärts gewandt sein muss. Sie erinnert
daran, dass ganz in der Nähe der historischen Mitte am Alexanderplatz
die moderne Architektur zu ihrem Recht kommen wird. Zugleich verdeutlicht
sie, dass Berlin im Unterschied zu anderen europäischen Metropolen
ein zentrales Moment einer geschlossenen architektonischen Tradition
fehlt. Zentral ist ihres Erachtens das Schloss, denn mit Blick auf
dieses Gebäude wurden alle anderen benachbarten Bauwerke geschaffen.
Diese Bauwerke stehen für Kultur, für Bildung und Forschung.
Das Stadtschloss ist inmitten dieser Bauwerke ein Ort der politischen
Macht. Zusammen wird daraus ein Ensemble, eine politische Landschaft.
Zur Zukunft bekennen und die Tradition aufnehmen, soll nach Meinung
von Günter Rexrodt (FDP) das zu errichtende Gebäude. Und
dieser Idee wird, so Rexrodt, am ehesten der Vorschlag einer Teilrekonstruktion
gerecht. In diese Teilrekonstruktion könnten so schlägt
er vor, auch herausragende Teile des Palastes der Republik integriert
werden. Er erinnert weiter an das bereits von Barthel vorgetragene
Argument der Finanzierung des neuen Gebäudes. Wie sein Vorredner
hält er nur eine privat-öffentliche Finanzierung für
möglich. Und ebenso wie Barthel ist er der Auffassung, dass
eine Teilrekonstruktion am ehesten geeignet ist, private Mittel
in nennenswerter Größenordnung zu akquirieren.
Der Berliner Senator für Kultur, Wissenschaft und Forschung
Dr. Thomas Flierl (PDS) macht mit Nachdruck die Parlamentarier darauf
aufmerksam, dass sie sich mit der Entscheidung für eine Gestaltung,
bereits bevor sie sich zum Bauherrn erklärt haben, das Vorhaben
zu eigen machen. Er plädiert daher dafür, die Reihenfolge
von Nutzungsbestimmung, städtebaulicher Einordnung, Finanzierbarkeit
und zum Schluss erst der Architektur des Neubaus einzuhalten. Da
bislang erst Vorschläge für die künftige Nutzung
vorliegen, sollte nach der Abarbeitung der anderen „Hausaufgaben”
über die Gestaltung entschieden werden. In einem dann stattfindenden
Wettbewerb hätte auch eine Teilrekonstruktion ihre Chance.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) führt insgesamt
fünf Gründe für die Teilrekonstruktion an. Auch er
bezieht sich auf die notwendige Akquirierung privater Mittel, die
am ehesten durch eine Teilrekonstruktion zu gewährleisten ist.
Gewichtiger sind nach seinen Ausführungen aber historische,
städtebauliche, nutzungsbezogene und architektonische Gründe.
Er vertritt die Auffassung, dass der demokratische Souverän
als Bauherr sich nach den langandauernden Diskussionen festlegen
kann und eine Entscheidung treffen sollte. Die Entscheidung für
die Teilrekonstruktion ist dabei keine Entscheidung gegen moderne
Architektur, sondern eine für einen bewussten Umgang mit der
Geschichte.
Auf den Symbolgehalt der historischen Mitte Berlins geht Dr. Norbert
Lammert (CDU/CSU) ein. Er verweist auf die historischen Linien,
die mit dem Platz verbunden sind und misst dem Schloss den Rang
eines nationalen Denkmals zu. Zugleich macht Lammert aber auch klar,
dass das heutige demokratische Deutschland einen anderen Kristallisationspunkt,
nämlich den Reichstag und die umliegenden Gebäude, hat.
Gerade weil dies so ist, kann das Parlament die Souveränität
besitzen, ein Votum für eine Teilrekonstruktion des Schlosses
abzugeben und damit einen „Beitrag zur Wiederherstellung des
Gesichts und des Selbstbewusstsein unserer gemeinsamen Hauptstadt”
leisten.
Ideologische Abrüstung in der Bildungspolitik?
In seiner Abschiedsrede im Deutschen Bundestag am 4. Juli 2002
plädierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium
für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen (SPD) für
ideologische Abrüstung in der Bildungspolitik. Seines Erachtens
bieten sowohl die Ergebnisse der TIMMS- als auch der PISA-Studie
die Chance die Grabenkämpfe zu überwinden und eine konsistente
Bildungspolitik zu entwickeln.
Dabei reicht es seiner Meinung nach nicht, allein die Schule in
den Blick zu nehmen. Was gebraucht wird, ist eine Positionsbestimmung
zur Schulbildung, der beruflichen Bildung, dem lebenslangen Lernen
und auch der Hochschulbildung. Hilfreich kann in diesem Zusammenhang
eine nationale Bildungsberichterstattung sein, die der eigenen Standortbestimmung
dient, kontinuierliche und systematische Informationen zum Bildungswesen
liefert und gegenüber dem Ausland ein gesamtes und differenziertes
Bild des Bildungswesens vermittelt.
Ganz und gar nicht auf Abrüstung sondern eher auf mannhafte
Verteidigung war die Präsidentin der Kultusministerkonferenz,
Ministerin Dagmar Schipanski, gestimmt. Nachdem sie zunächst
darauf verweist, dass die unionsregierten Länder im PISA-Ländervergleich
besser abgeschnitten haben, als die SPD-regierten und gravierende
Unterschiede zwischen den Ländern bestehen, kommt sie zu dem
Schluss, dass nun aber die Kultusministerkonferenz die erforderlichen
Schritte eingeleitet hat und bereits längst die Erarbeitung
nationaler Bildungsstandards beschlossen hat.
Nicht den Blick nach innen sondern nach draußen sollten die
Bildungspolitiker nach Auffassung von Dr. Reinhard Loske (Bündnis
90/Die Grünen) richten. Loske nimmt damit das auf, worauf der
Leiter des deutschen PISA-Konsortiums, Prof. Dr. Baumert, bei der
Vorstellung der Ländervergleiche abgehoben hat. Maßstab
für deutsche Bildungspolitik darf nicht der Vergleich der Länder
untereinander sondern das Messen mit den erfolgreichsten Ländern
in der Internationalen PISA-Studie sein. Loske plädiert wie
schon Catenhusen für einen unabhängigen Sachverständigenrat,
der regelmäßig eine nationale Bildungsberichterstattung
vorlegt.
Als peinlich bezeichnet die Vorsitzende des Ausschusses für
Bildung und Forschung des Deutschen Bundestags, Ulrike Flach (FDP),
den derzeitigen Streit der Kultusminister, wer unter den blinden
der einäugige Kultusminister ist. Das Augenmerk sollte ihres
Erachtens viel mehr darauf gerichtet werden, wie Chancengleichheit
für Kinder und Jugendliche herzustellen ist, denn derzeit weichen
die Ergebnisse zwischen den Ländern gravierend voneinander
ab. Hierzu wird es erforderlich sein, in allen Ländern deutliche
finanzielle Akzente in der Bildungspolitik zu setzen und sich auf
nationale Bildungsstandards zu einigen.
Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU) bringt in seinem Redebeitrag den
Kern der Ablehnung auf den Punkt, in dem er sagt: “Bei anderen
Debatten waren wir uns doch bereits darüber einig, dass wir
nicht wollen, dass die Ministerpräsidenten zu reinen Verwaltungspräsidenten
der Länder und die Landtage zu reinen Petitionsausschüssen
werden.”
Und genau hierin liegt eine der Ursachen für die derzeitige
hitzige Debatte um die Kulturhoheit der Länder. Sowohl die
Bildungs- als auch Kulturpolitik sind die letzten Rückzugsgefechte
der Länder, in denen sie ihre Eigenständigkeit verteidigen.
Die Kultusministerkonferenz wirkt dabei manchmal wie die letzte
Trutzburg, in der die Wunden geleckt, der Streit zunächst untereinander
und dann in aller Schärfe vereint nach außen geführt
wird. Ob so ideologische Abrüstung gelingen kann, sei dahingestellt.
Kulturpolitiker gegen den Rest der Welt
Zu später Stunde wurde am 4. Juli 2002 im Deutschen Bundestag
die Debatte um die Bildungs- und Kulturhoheit der Länder fortgesetzt.
Zur Diskussion standen die Anträge „Nationale Verantwortung
des Bundes für Kunst und Kultur stärken” (Drucksache
14/9098) der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, „Systematisierung
der Kulturförderung von Bund und Ländern” (Drucksache
14/8736) der CDU sowie „Kulturföderalismus in Deutschland
erhalten (Drucksachen 14/4911 (neu), 14/7702) der FDP. Die Drucksachen
können in puk 2/2002 nachgelesen werden.
Den Auftakt zu dieser Debatte machte Staatsminister beim Bundeskanzler
Dr. Julian Nida-Rümelin. Gleich zu Beginn macht er deutlich,
dass die kulturpolitische Gestaltungsaufgabe in Deutschland in erster
Linie bei den Ländern und den Kommunen angesiedelt sein sollte.
Die zentrale kulturpolitische Aufgabe des Bundes ist, so Nida-Rümelin,
die Gestaltung des Ordnungsrahmens. Bei Beachtung des Vorrangs der
Länder und Kommunen setzt sich Nida-Rümelin in seinem
Beitrag für das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen
in der Kulturpolitik ein und warnt vor einem Konkurrenzkulturföderalismus.
Daraus folgt auch, dass der Bund den Anspruch auf seine Kompetenz
für Einrichtungen und Projekte von nationaler Bedeutung nicht
aufgeben sollte.
Sehr viel pointierter geht Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) das Thema
an. Unmissverständlich macht Lammert klar, dass seines Erachtens
die Entflechtungsdebatte nicht hinter verschlossenen Türen
in Kommissionen geführt werden darf, sondern in die Parlamente,
d.h. den Deutschen Bundestag und die Landtage gehört. Die Mitverantwortung
des Bundes für herausragende Kultureinrichtungen ist seines
Erachtens unverzichtbar und darf sich, so Lammert, nicht auf die
Hauptstadt Berlin und die Bundesstadt Bonn erstrecken. Im Gegenteil,
gerade die Länder sollten ein massives Interesse an einer Beteiligung
des Bundes, um eine einseitige Konzentration zu verhindern. Dieses
gilt insbesondere für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz geht auch Bundestagsvizepräsidentin
Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) in ihrem Redebeitrag
ein. Sie teilt das Unverständnis ihres Vorredners über
den geplanten Rückzug der Länder aus der Verantwortung
für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo doch „Ruhm
und Ehre der Stiftung Preußischer Kulturbesitz” darin
bestehen, das Kulturerbe eben nicht nur in der Hauptstadt zu pflegen.
Vollmer rückt die derzeitige Diskussion um die Entflechtung
in den größeren Kontext einer Reform des Föderalismus,
der ihres Erachtens angesichts des größer werdenden Europas
bevorsteht.
Hans-Joachim Otto (FDP) bittet um Verständnis für die
Empfindlichkeiten der Länder, wenn es um die Kulturhoheit geht.
Sie ist das Letzte, was ihnen noch geblieben ist, nachdem ihre Kompetenzen
in den vergangenen Jahren vom Bund beschnitten wurden.
An die gemeinsame Verantwortung der Länder für Kultureinrichtungen
und die Kulturförderung appellierte Dr. Heinrich Fink (PDS).
Er sieht nicht allein den Bund gefordert, sich hierfür einzusetzen,
sondern misst dem Zusammenspiel der Länder eine wichtige Bedeutung
zu. Seines Erachtens birgt die einseitige Zuweisung von Kompetenzen
an den Bund die Gefahr in sich, dass die Kulturhoheit der Länder
„in einen bedenklichen Provinzialismus mündet”.
In diesem Sinne darf der Kulturföderalismus nicht als unantastbar
gelten, sondern muss den Erfordernissen des Sozial- und Kulturstaats
Bundesrepublik Deutschland angepasst werden. Folgerichtig spricht
sich Fink für eine Ausdehnung der Gemeinschaftsaufgabe nach
Art. 91bGG auf den Kulturbereich aus.