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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 45-46
51. Jahrgang | Oktober
Dossier: Kulturstiftungen
Der Welt Gutes tun
Stiftung ist nicht gleich Stiftung
Stiftungen sind en vogue. Man lobt sie, man kritisiert sie und
man braucht sie in Zeiten knapper Staatsmittel scheinbar mehr denn
je: Gab es in den 80er-Jahren rund 100 neugegründete Stiftungen
pro Jahr, so hat sich die Zahl der jährlichen Neugründungen
– laut dem in Berlin ansässigen Maecenata Institut –
bis heute verzehnfacht. Die Gründe dafür sind vielfältig:
die veränderte Alters- und Vermögensstruktur spielt eine
große Rolle, die Wohlstandsentwicklung, die Reform des Stiftungssteuerrechts,
die Arbeit von Beratungsinstitutionen wie Maecenata Management,
dem Bundesverband Deutscher Stiftungen oder kulturpolitischen Foren
wie dem Arbeitskreis Kunst- und Kulturstiftungen (im Kulturkreis
der deutschen Wirtschaft) und nicht zuletzt die positiv besetzte
Diskussion in Presse und Politik.
Der Europäische Musik
Sommer Berlin (young euro classic) ist ein Festival europäischer
Jugendorchester und fand im August 2002 zum dritten Mal
statt. Mit seinem diesjährigen Programm kam das Festival
unter die Förderpreisträger der Ernst von Siemens
Musikstiftung, über deren Arbeit Reinhard Schulz auf
Seite 50 berichtet. Unser Foto zeigt das Orchestra Giovanile
Italiana unter Gabriele Ferro. Foto: Kai Bienert
Für die Musik engagieren sich viele Stiftungen. Wie viele
genau das sind, ist unklar – verlässliche Zahlen gibt
es nicht. Aktuelle Schätzungen besagen, dass von den rund 12.000
existierenden Stiftungen in Deutschland rund 20 Prozent in den Bereichen
Kunst, Kultur und Denkmalpflege aktiv sind. Dabei unterscheidet
man zwischen fördernden und operativen Stiftungen. Die Mehrzahl
ist rein fördernd, führt also keine eigenen Projekte durch.
Ein beträchtlicher Teil ist sowohl fördernd als auch operativ
tätig und ein weniger großer Teil ist rein operativ.
(Der Musikalmanach führt rund 90 Stiftungen für den Bereich
Musik auf, auch wenn Musik als Begriff sicherlich bei wesentlich
mehr Stiftungen erscheint.)
Es ist ein weites Feld: Gibt es über die genaue Anzahl von
Stiftungen keine verlässlichen Zahlen, so ist noch weniger
das Vermögen festzulegen; selbst das Wort Stiftung birgt ein
weites Spektrum an Vereinigungen: von der gemeinnützigen GmbH
bis zum Verein wie zum Beispiel dem „Freundeskreis Anne Sophie
Mutter Stiftung e.V.“. Wenige Mega-Stiftungen wie die Bayerische
Landesstiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Ernst von Siemens
Musikstiftung, die vor rund einem Jahr gegründete Allianz Kulturstiftung
(die nmz berichtete in der Ausgabe 06/02), die Kultur-Stiftung der
Deutschen Bank oder die Stiftung Weimarer Klassik, um nur einige
zu nennen, stehen im Rampenlicht. Der überwiegende Teil der
Stiftungen wirkt ohne großes Aufsehen und geht auf das Engagement
einzelner Individualisten zurück, die genügend Mittel
zur Hand haben, nicht nur ihr eigenes Engagemant zu institutionalisieren,
sondern – wie Jan Philipp Reemtsma es formuliert hat –
„sich Berufe leisten zu können, die Geld kosten“.
Stiftung ist nicht gleich Stiftung. Dient im allgemeinen Sprachgebrauch
das Etikett „Stiftung“ wohl dazu, die Gemeinnützigkeit
dieser Gesellschaft oder Vereinigung zu verdeutlichen, verbirgt
sich juristisch hinter dem Begriff „Stiftung“ in der
Regel die rechtsfähige – oder selbstständige –
Stiftung des Privatrechts. Im Gegensatz zu anderen privatrechtlichen
Vereinigungen wie dem Verein, der AG, der GmbH oder einer Genossenschaft
hat eine Stiftung keinerlei Mitglieder, keine Gesellschafter und
keine dritte Person als Eigentümer oder Inhaber. Das ist einer
der großen Vorteile. Eine Stiftung muss nicht sterben, sie
ist auf ewig angelegt zur Verwirklichung der Stiftungsziele.
Von der rechtsfähigen Stiftung des Privatrechts abzugrenzen
sind unselbstständige oder treuhänderische Stiftungen
sowie öffentlich-rechtliche Stiftungen wie zum Beispiel die
„Bayerische Landesstiftung“ oder die „Kulturstiftung
des Landes Schleswig-Holstein“. Das verstärkte Interesse
der öffentlichen Hand an Stiftungen lässt Kritiker argwöhnen,
Länder und Städte könnten sich auf diese Weise langfristig
von finanziellen Pflichten entbinden. So hat beispielsweise Hamburg
vor gut zwei Jahren seine sieben staatlichen Museen in Stiftungen
überführt. Da diese nicht über eine eigene Kapitalausstattung
verfügen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, ist es umstritten,
ob es sich rechtlich um Stiftungen oder um Anstalten des öffentlichen
Rechts handelt. Auch die Berliner Philharmoniker haben vor über
einem Jahr einen Stiftungsvertrag unterzeichnet. Die Umwandlung
in eine Stiftung verstehen die Philharmoniker als Herausforderung:
Nach amerikanischem Vorbild sollen in den kommenden Jahren so viele
Spendenmillionen angeworben werden, bis sich aus den Zinsen die
laufenden Kosten decken lassen.
Das Spektrum von Stiftungen, die sich für die Musik engagieren,
ist bunt und reicht von A wie Alexander von Humbolt-Stiftung bis
Z wie ZEIT-Stiftung. Dahinter verbergen sich ganz unterschiedliche
Konstruktionen, Ziele und Möglichkeiten. Unterstützt werden
musikwissenschaftliche Projekte, medienübergreifende Konzepte,
Komponisten und Musiker einzelner Länder, Nachlässe einzelner
Komponisten; Preise, Stipendien, Projekt- und Studienbeihilfen werden
vergeben, Hilfe in Notfällen geleistet, Instrumente verliehen,
Wettbewerbe ausgetragen, Veranstaltungen finanziert und vieles mehr.
Häufige Vokabeln sind international, hochbegabt, Jugend und
Nachwuchs.
Um nur einige – unabhängig von Rechtsform und Vermögen
– herauszugreifen: Die Bertelsmann Stiftung entwirft und initiiert
ihre Projekte selbst. In der Musik verfolgt sie zwei Schwerpunkte:
die Förderung der Musikerziehung an Kindergärten und Schulen
sowie die Professionalisierung der Gesangsausbildung durch den internationalen
Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“. Die Deutsche Stiftung
Musikleben fördert – wie sie es nennt – den musikalischen
Spitzennachwuchs in Deutschland. Die Stiftung selbst hat eine unglaubliche
Zahl von 41 Kuratoriumsmitgliedern sowie 600 Förderer und Spender.
Kontinuität ist groß geschrieben bei der Stiftung Musikleben:
Seit den 60er-Jahren beteiligt sie sich an der Grundfinanzierung
des Bundeswettbewerbs “Jugend musiziert”, unterstützt
das Bundesjugendorchester und verleiht Instrumente aus dem Deutschen
Musikinstrumentenfonds, einem gemeinsamen Projekt der Deutschen
Stiftung Musikleben und des Bundes. Die Ernst von Siemens Musikstiftung
vorzustellen, hieße Eulen nach Athen tragen. Vor wenigen Wochen
hat die Stiftung 1.300.000 Euro Preisgelder vergeben, der mit 150.000
Euro dotierte Ernst von Siemens Musikpreis ging in diesem Jahr an
Nikolaus Harnoncourt. Der Belmont-Preis für zeitgenössische
Musik der Forberg-Schneider-Stiftung ist mit 25.000 Euro dotiert
und ging bisher an den Komponisten und Klarinettisten Jörg
Widmann sowie den in Paris lebenden Pianisten Florent Boffard. Die
1997 gegründete und nach ihren Stiftern benannte Forberg-Schneider-Stiftung
hat sich zum Ziel gesetzt, herausragende Leistungen auf dem Gebiet
der Neuen Musik sowie der Landschaftsgestaltung, der Bau- und Gartenkunst
zu fördern. Ganz anders sieht beispielsweise die Arbeit der
Gema-Stiftung aus, neben der Vergaben von Preisen werden Komponisten
und Textdichter – auch in Not geratene – unterstützt.
Eine sogenannte Unternehmensstiftung ist die Günter Henle Stiftung
München. Die Stiftung ist Eigentümerin des Henle Verlags
und soll die Herausgabe von Urtexten und wissenschaftlichen Editionen
langfristig sichern. Die in Leipzig ansässige Internationale
Mendelssohn-Stiftung ist ein Verein, der als Träger des Museums
im Mendelssohn-Haus fungiert, das kulturelle Erbe von Mendelssohn
fördert, aber auch Konzerte im Museum veranstaltet. Die inhaltliche
Begleitung und finanzielle Förderung von sächsischen Kulturprojekten
mit zeitgenössischer Ausrichtung bildet den Arbeitschwerpunkt
der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, einer Stiftung des öffentlichen
Rechts. Auch Karlheinz Stockhausen hat seine eigene Stiftung: die
Stockhausen-Stiftung für Musik, die unter anderem sein geistiges
Erbe verbreiten soll. Die Stiftung Villa Musica wurde 1986 vom Land
Rheinland-Pfalz (einem Bundesland ohne eigene Musikhochschule) mit
Beteiligung des Südwestrundfunks gegründet und erfüllt
zwei Aufgaben: die Förderung des musikalischen Nachwuchs und
die Veranstaltung von Konzerten. Für ein flächendeckendes
Kulturprogramm arbeitet Villa Musica mit über 50 lokalen Veranstaltern
zusammen. Konzerte ganz anderer Art organisiert die Yehudi Menuhin
Stiftung Deutschland: Konzerte mit jungen Künstlern in sozialen
Einrichtungen werden durchgeführt und das Projekt „mus-e“,
ein multikulturelles soziales Schulprojekt, gefördert, das
durch Musik, Tanz et cetera Rassismus und Gewalt an Schulen abbauen
will.
Im Vergleich zu den Ausgaben der öffentichen Hand für
Kunst und Kultur liegt der Anteil privater Mittel momentan bei drei
bis fünf Prozent. Das scheint wenig, ist aber – zumal
in Zeiten knapper werdender Mittel – ein zunehmend wichtiger
und kaum noch zu unterschätzender Bestandteil der Kulturarbeit.