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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 51
51. Jahrgang | Oktober
Dossier: Kulturstiftungen
Mit Offenheit und Wachheit am Puls der Zeit
Anmerkungen zur Ernst von Siemens Musikstiftung
Es versteht sich im Grunde von selbst, dass in einer Gesellschaft,
in der Kapitalschöpfung auf der Basis von Kapital (etwa über
Aktien, Zinsen, Mietzins et cetera) zu einem wesentlichen wirtschaftlichen
Standbein wurde, auch das Stiftungswesen an Bedeutung gewinnt. Ein
gewisser Kapitalsockel steht zur Verfügung: Nicht er freilich,
sondern die daraus erwirtschafteten Erträge, werden zweckgebunden
zur Förderung von Kunst oder auch anderen gesellschaftlichen
Aktivitäten eingesetzt. Eine der weltweit bedeutendsten Stiftungen
für Musik ist fraglos die 1972 etablierte Ernst von Siemens
Musikstiftung.
In den Statuten ist festgehalten: „Die Stiftung verfolgt
ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke.
Die Stiftung bezweckt die Förderung der Kunst, insbesondere
a) die Heran- und Fortbildung des künstlerischen Nachwuchses
auf dem Gebiet der Musik, unter anderem auch durch Zuwendungen an
Institutionen und Einzelpersonen, die auf dem Gebiet der Musik tätig
sind, jedoch verbunden mit der ausdrücklichen Auflage, die
Zuwendung ausschließlich für die erwähnten Zwecke
zu verwenden, b) den Gedankenaustausch zwischen schweizerischen, deutschen
und anderen Musikkünstlern oder Musikwissenschaftlern, c) die Verleihung von Preisen an produzierende oder reproduzierende
Musikkünstler oder Musikwissenschaftler, die auf ihrem Gebiet
besondere Leistungen vollbringen, insoweit dadurch ihr künstlerisches
Schaffen gefördert und wertvolle Kunstwerke der Allgemeinheit
zugeführt werden. Die Musikpreise werden unter der Bezeichnung
Ernst von Siemens Musikpreis verliehen.“
Noch ein Jugendorchester
der von der Siemens-Kulturstiftung geförderten Veranstaltungsreihe
young euro classic: das Philharmonisch Jeugdorkest van Vlaanderen
aus Belgien gastierte im August in Berlin. Foto: Kai Bienert
Die jährliche Verleihung dieses Musikpreises in München
trifft auf breite öffenliche Resonanz. Die Bezeichnung als
Nobel-Preis der Musik gibt einen Eindruck von der weltweiten Wertschätzung.
Ausgezeichnet wird jeweils eine bedeutende Person des gegenwärtigen
Musiklebens (Komponist, Interpret, Musikwissenschaftler) und daneben
wird eine große Anzahl von Projekten in Bezug auf zeitgenössisches
musikalisches Arbeiten gefördert. Die Mittel für die Förderprojekte
überschreiten die des Hauptpreises um ein Vielfaches. Der Stiftungsbetrag
ist derzeit auf 1,3 Millionen Euro angewachsen, allein für
die Fördermaßnahmen stehen mehr als eine Million Euro
zur Verfügung. Hildegart Eichholz, verantwortlich für
die Öffentlichkeitsarbeit der Siemens Musikstiftung, merkte
in einem Gespräch dazu an: „In der Presse wird der Preis
zumeist ausschließlich verbunden mit dem Hauptpreisträger.
Das ist verständlich, ich finde es aber trotzdem schade. Die
150.000 Euro für ein Lebenswerk sind ja nur ein Bruchteil,
derzeit ein Zehntel der ganzen Preissumme. Alles andere geht an
Institutionen, an Ensembles, an junge Komponisten. Immer mehr versuche
ich es in meiner Öffentlichkeitsarbeit klar zu machen, dass
dies der eigentliche Sinn der Stiftung ist. Junge Komponisten werden
unterstützt. Die können einmal ein Jahr aussetzen und
sich ausschließlich ihrer schöpferischen Arbeit widmen.
Das finde ich besonders wichtig.“
Und über die Anfänge der Stiftungsidee äußerte
sich Frau Eichholz folgendermaßen: „Ernst von Siemens,
der Enkel des Gründers der Siemens AG, hatte damals 1972 eine
Kunststiftung ins Leben gerufen. Er war ein großer Freund
der Kunst und vor allem der klassischen Musik. So beschloss er,
sein privates Vermögen in diese Stiftung einzubringen, um das
Lebenswerk eines Komponisten oder Interpreten anzuerkennen. Es sollte
das Lebenswerk sein, das wollte Ernst von Siemens so. Heute wird
uns oft vorgeworfen, dass die Ausgezeichneten den Preis gar nicht
nötig hätten. Darum aber geht es nicht und die meisten
geben denn auch das Geld weiter – an junge Musiker, an Institutionen.
Ernst von Siemens wollte zunächst daraus keine groß aufgezogene
öffenliche Angelegenheit machen. So war die Stiftung über
zwanzig Jahre lang kaum bekannt. Zu Beginn wurde der Preis ganz
intern in kleinem Rahmen in der Bayerischen Akademie der Schönen
Künste verliehen. Ernst von Siemens wollte mit dem Preis auch
seine Vorstellung von musikalischem Wirken gewürdigt sehen.“
Sowohl was die Summe betrifft, die seit der Gründung kontinuierlich
anwuchs, als auch was die inhaltliche Stoßrichtung betrifft,
befindet sich die Ernst von Siemens Musikstiftung immer behutsam
im Wandel. Ein Kuratorium registriert gesellschaftliche oder ästhetische
Veränderungen im Musikbetrieb und sucht darauf – freilich
immer im Sinne des Stifters – einzugehen. Die Vorgaben von
Ernst von Siemens waren hierfür offen genug. So wurde die Idee
der Auszeichnung eines Lebenswerks ungeschmälert beibehalten,
zugleich entwickelte man Spielraum für anderweitige Unterstützungen,
die auf Antrag, neuerdings auch über Vorschläge von „Scouts“
in jährlich jeweils zwei Ländern gewährt werden.
Es darf gesagt werden: Ohne die Ernst von Siemens Musikstiftung
wäre das weltweite Musikleben wohl um einige ambitionierte
Projekte ärmer.
Auch hierzu merkte Frau Eichholz an: „Das Hauptverdienst
der Ernst von Siemens Stiftung ist es, dass zum Hauptpreis eben
auch das künstlerische Umfeld, und zwar in ganz besonderem
Maße, berücksichtigt wird. Auf der einen Seite steht
die Repräsentation und das ist wichtig und gut so, auf der
anderen aber steht die Fülle von ganz direkten Arbeitsförderungen.
Dass das öffentlich mehr anerkannt wird, ist meine eigentliche
Aufgabe. Und hier liegen noch große Potenziale. Bei den Förderpreisen
für junge Komponisten wird zum Beispiel sehr genau aufgepasst,
dass es sich hier nicht um schon etablierte Persönlichkeiten
handelt. Junge Komponisten, die bereits mit vielen großen
Kompositionsaufträgen bedacht sind, werden dann lieber zurückgestellt.“
Mit dieser inhaltlichen Ausrichtung, mit seiner professionell
gesichteten Gegenwartsnähe steht die Ernst von Siemens Musikstiftung
singulär im musikkulturellen Leben. Im Jahr 1995 konnte man
noch ein weiteres Projekt aus der Taufe heben: die schwerpunktmäßig
zeitgenössische Konzertreihe im Berliner Magnus-Haus. In den
Angaben der Stiftung ist hierüber zu lesen: „Die Magnus-Haus-Konzerte
wurden im Jahr 1995 von der Ernst von Siemens Musikstiftung als
‚Musikalischer Salon‘ eingeführt an einem frühen
Mittelpunkt des Berliner Kulturlebens, dem seinerzeit auch Werner
von Siemens angehörte: im Haus des Physikers und Entdeckers
der ‚Querkraft‘ Heinrich Gustav Magnus (1802–1870).
Hier laden die Ernst von Siemens Musikstiftung, das Siemens Arts
Program und die Siemens AG Berlin Persönlichkeiten aus Kultur,
Politik und Wirtschaft zu einem Abend ein mit ausgesuchten Musikprogrammen,
vornehmlich der zeitgenössischen Musik.
Neben dem jährlich zuerkannten großen Musikpreis und
den Förderpreisen gehört diese Begegnung mit der internationalen
Musikszene zu den herausragenden mäzenatischen Aktivitäten
der Ernst von Siemens Musikstiftung.“
So verwirklicht die Ernst von Siemens Musikstiftung beispielgebend
diverse Punkte eines modernen Stiftungsgedankens: Offenheit, Weite,
Perspektivenreichtum und (nicht zu unterschätzen) Großzügigkeit.
Das ist die Fortsetzung alten Mäzenatentums ohne dessen personale
Einschränkung.