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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 21
51. Jahrgang | Oktober
Internet/Computer
„Il faut être absolument moderne!“
Die neuen alten Medienkünste: Computer sind nicht mehr wegzudenken
Medienkunst alias Kunst der Neuen Medien ist in die Jahre gekommen.
Computer haben sich als Inkarnation des eben noch en vogue gefeierten
Informationszeitalters mit unerwarteter Geschwindigkeit und von
vielen unbemerkt in den meisten Bereichen des täglichen und
nicht alltäglichen Lebens eingenistet. Das einstige Air des
Neuen, Utopischen kann der Informationstechnologie oder den mit
ihr hergestellten Produkten durch deren gewöhnliche Allgegenwart
nicht mehr attestiert werden. Dennoch scheint der Geist, die Speerspitze
der (digitalen) Revolution verkörpern zu wollen, wie es in
Rimbauds Gedicht bereits 1873 bedingungslos gefordert wird, auch
heute ungebrochen zu wirken.
Abbildung aus dem Kunstwerk
„web of life“ (Beschreibung unter http://www.web-of-life.de)
unter Beteiligung von Torsten Belschner
Diese ursprünglich als Verdacht geäußerte Beobachtung
hat sich seit der andauernden Krise der Medienbranche in mehreren
ihrer Bereiche zur Tatsache verfestigt. Sei es das Massensterben
der dot.com Firmen, der massive Stellenabbau in der ITK-Branche,
die Auflösung von Imperien der Unterhaltungsindustrie, die
gesättigten Mobiltelefonie- und PC-Märkte oder in summa
der seit Frühjahr 2000 kontinu- ierlich anhaltende Niedergang
insbesondere der technologienahen Börsenindizes – viele
Zeichen sprechen für das sich ankündigende Ende eines
Innovationszykluses, der eine gute Zeit lang möglicherweise
von überhitzten Hoffnungen auf ewig währendes Wachstum
getrieben wurde.
Eine Kunstform, die sich des Mediums der Stunde als Material ihrer
Wahl bedient, schließt unausweichlich einen Pakt mit denjenigen
Kräften, die dessen Wohl auf Gedeih und Verderb steuern. Inhärent
ist jenen der Innovationscharakter, der Zwang zur fortwährenden
Steigerung der technischen Leistungsfähigkeit, die sich Moores
Gesetz zufolge bis auf weiteres exponentiell steigert, auf dass
sie, mathematisch korrekt, eines Tages wird unendlich schnell wachsen
müssen.
Es besteht eine große Versuchung, aufgrund des zur zweiten
Natur gewordenen atemlosen Updatens die Materialität, die immanenten
Funktionsmechanismen des Mediums zum Gegenstand der Konzepte und
Produktionen zu machen. Ein Indiz dafür ist die Leichtigkeit,
mit der mediale Produktionen abstrakt bleiben können, ohne
unmittelbar zu langweilen. Oder defizitär ausgedrückt,
wie mühelos, spielerisch und unterhaltsam sie die Absenz von
Inhalt, „Content“, mit Aktivität kaschieren können.
Dennoch kann nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass
die starke Faszination für Medienkunst qua eines Neuen, Unerhörten,
durch die bisher nicht gekannte Universalität ihres Mediums
vieles, wenn nicht gar alles Versprechende nach einer bestenfalls
zwei Jahrzehnte währenden Blüte stark nachgelassen hat.
Dem zeitgenössischen Stromkünstler stehen in dieser
Situation zwei Möglichkeiten offen: A-, er wendet sich als
fachfremder Quereinsteiger der „Schlüsseltechnologie“
der Saison zu und repliziert den bisherigen modus operandi. Die
nächste als neu bewertete Technologie wird in Zusammenhängen,
die ihrer zweckrationalen Verwendung enthoben sind, auf eine mehr
oder minder sinnliche Art dem staunenden Publikum vorgeführt.
Der Künstler schlüpft hierbei nicht ungern in die Rolle
des Dompteurs, der als Avantgardist den staunenden Zurückgebliebenen
seinen Wissensvorsprung zu präsentieren und diesen in Form
genialischen Ruhms zu genießen gewillt ist.
Oder B-, der Fokus wird vom Material auf den Inhalt verschoben.
Der Anspruch des abstrakten, Inhalte nur noch formalisiert enthaltenden
Werks wird aufgegeben, das Material wird mit außermedialen
Diskursen in Beziehung gesetzt und so mit Lebensweltlichem aufgeladen.
Produktionen, die mit derartigem Content ausgestattet wurden, tendieren
schnell dazu, gewollt, überfrachtet, in ihrer Narrativität
seltsam antiquiert zu wirken und schaffen es gewöhnlich nicht,
das Medium hinter der Message vergessen zu machen.
Als Beispiel sei die Technologie der „Virtual Reality“
genannt, deren Paradigma in der medienkünstlerischen Produktion
umfassend rezipiert und adaptiert wurde. Zentral ist diesem die
Trennung von körperlicher und sinnlicher Welt, die mit dem
Begriff der Out-of-Body-Experience auf den Punkt gebracht werden
kann. Für das Kunst rezipierende und oft auch mit ihr agierende
Subjekt besteht während des Rezeptionsaktes keine unmittelbare
Verbindung zwischen dem Wahrgenommenen und dem Träger dieser
Wahrnehmung sowie dessen raumzeitlicher Stelle. Dem Verschwinden
des Körperlichen stellt sich in letzter Zeit verstärkt
eine Bewegung entgegen, die sich dem vormals als „real“
bezeichneten zuwendet. Das Virtuelle wird bewusst dem „Echten“
gegenübergestellt, zum Beispiel durch Integration von Tänzern,
Schauspielern, Performern, Instrumentalmusikern. Diese Verknüpfung
wird konsequent ins Extrem gesteigert, indem Künstler ihre
Körper über Elektroden an die weltweiten Datenleitungen
ankoppeln, durch die es jedem Interessenten offensteht, dessen Muskelströme
per Browser fernzusteuern und dadurch rasante, konvulsivische Körperverbiegungen
auszulösen. Das fatale Ergebnis dieses multi-user Veitstanzes
kann von den Marionettenspielern freilich per Web-Cam in Echtzeit
mitverfolgt werden. So mögen die letzten Zuckungen, die zur
Apotheose gesteigerten Agonien des Virtuellen aussehen. Es bleibt
spannend.