[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 27
51. Jahrgang | Oktober
Jeunesses Musicales Deutschland
Kreativität durch Überbewusstsein
„Üben im Flow“ – Erfahrungen in Weikersheim
mit Andreas Burzik
Vom 28. bis 30. Juni fand in Schloss Weikersheim – der Musikalischen
Bildungstätte der Jeunesse Musicales Deutschland – das
Seminar „Üben im Flow“ unter der Leitung von Diplom-Psychologe
Andreas Burzik statt.
Die beiden Artikel in der nmz über Flow-Erfahrungen –
von Nicolai Petrat, Juni 2001 und Andreas Burziks „Üben-im-Flow“
Methode, Januar 2002 – hatten mich derart fasziniert, dass
ich, so bald ich die Ankündigung des Seminars in Weikersheim
las, unbedingt daran teilnehmen wollte. Auf meine Anfrage per e-mail
ob Herr Burzik diese Methode je mit Sängern ausprobiert hätte,
kam die offene und freundliche Antwort: „Nein, aber ich bin
sehr neugierig auf das Experiment.“ Also habe ich mich quasi
als Versuchskaninchen für das Seminar angemeldet. Es hat sich
mehr als gelohnt!
Der Kurs begann am Freitag nach einem „Kennenlern“-Abendessen
im Haus der Musik. Herr Burzik gab eine Einführung in das Konzept
der Flow-Erfahrung und stellte die Arbeit von Mihaly Csiksentmihalyi
(sprich: Tschick-ßent-mihaji) vor, der in den 70er Jahren
dieses Phänomen bei hochbegabten Malern, Komponisten, Musikern
und Sportlern entdeckt und erforscht hat. Im Anschluss daran erklärte
er die Grundkonzepte seiner „Üben-im-Flow“ Methode
und erläuterte, wie dieses Phänomen beim Üben und
Musizieren am Instrument entsteht. Spätestens da wurde klar,
dass diese Methode kein „Quick Fix“ – also keine
„schnelle, billige Lösung“ – darstellt, sondern
ein fundierter, nachweisbarer, neurophysiologisch erklärbarer
Vorgang ist, der Kreativität, Konzentration und Feingefühl
des Ausführenden fordert und fördert. Nach dieser spannenden
Einführung in der Theorie ging es in den folgenden zwei Tagen
um die Praxis.
Die fünfzehn Teilnehmer im Alter von 16 bis 80 Jahren bekamen
die Möglichkeit, eine sehr konkrete Erfahrung zu machen, wie
sich ein Flow-Zustand anfühlt und wie er auf die eigene Wahrnehmung
beim Üben wirkt. Wir waren eine bunte Gruppe von allen möglichen
Instrumenten: Klarinette, Geige, Bratsche, Cello, Flöte, Gitarre,
Klavier und Gesang. Erstaunlich war, wie die Erfahrungen sich von
einem Instrument auf das andere übertragen ließen. Für
mich als Sängerin war es darüber hinaus faszinierend zu
beobachten, wie Instrumentalisten im Detail arbeiten und gleichzeitig
zu spüren, dass wir alle – ob Sänger oder Instrumentalist
– ähnliche Schwerpunkte und Schwierigkeiten haben. Schließlich
geht es bei uns allen um lebendiges Musizieren und den bestmöglichen
Umgang mit unserem Instrument!
„Üben-im-Flow“ eröffnet die Möglichkeit
durch erhöhte Konzentration und eine Art „Überbewusstsein“
ein kreatives, fließendes Gefühl beim Musizieren zu finden.
Dieses bewusste Fokussieren der Wahrnehmung erlaubt ein sinnvolles
und sinnliches Eintauchen in die Arbeit, ohne hemmende Bewertung
und mechanische Zielstrebigkeit, was wiederum eine tief greifende
Befriedigung hervorruft. Herr Burzik hat durch seine humorvolle
und offene Art einen geschützten und entspannten Raum geschaffen,
in dem diese Gruppe von suchenden, sehr unterschiedlich aber irgendwie
auch gleichgesinnten Menschen sich für diese Erfahrungen und
Anregungen öffnen konnte. Die tolle Atmosphäre des Gärtnerhauses
im Schloss Weikersheim trug sehr zu unserem Wohlbefinden bei.
Neben der Praxis am Instrument fanden viele Diskussionen und ein
reger Austausch über wichtige Themen statt, wie zum Beispiel
Vertrauen in das Körpergefühl, Vertrauen in die Intuition,
Nähe und Distanz zwischen Schüler und Lehrer, das Genuss-Prinzip
beim Üben und über „pädagogische“ Flow-Erlebnisse.
Am Sonntag Nachmittag endete das Seminar nach einer kurzen Pause
über Mittag mit Zeit für die Fußball-Weltmeisterschaft
(ob die Mannschaften im Flow waren?). Wir gingen ungern auseinander
– es war eine tolle Erfahrung unter fremden Menschen so viel
Unterstützung und Offenheit zu erleben. Wir freuen uns auf
einen Aufbaukurs – vielleicht sogar eine ganze Woche vom Flow
mit anschließendem Kammerkonzert? Unser Wunsch an Andreas
Burzik: mehr über das wichtige Thema Lampenfieber zu erfahren
beziehungsweise – wie gelingt ein „Aufführen-im-Flow“?
Wie wir gehört haben, ist das in Vorbereitung! Zum Schluss
ein herzliches Dankeschön an die tolle Organisation der JMD
in Weikersheim. Und noch eine Anekdote von mir nach meiner ersten
Wochen von „Unterrichten-im-Flow“: Eine 17-jährige
Schülerin lächelt mich beseelt an, nachdem ich sie habe
suchen und spüren lassen, und sagt, „Das hat mir gut
gefallen, es fließt so schön“! (Nächster Kurs:
27. bis 29. Juni 2003).