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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 6
51. Jahrgang | Oktober
Musikwirtschaft
Das Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht
Die Digitalisierung brachte der Tonträgerindustrie blühende
Gärten und ihre größten Probleme
Anfang der 80er-Jahre bescherte die Digitalisierung der Musik
und ihr Vertrieb auf Compact Disk der Tonträgerindustrie nach
einer Zeit der Dürre wieder blühende Gärten. Der
Tonträgerumsatz war zuvor allmählich zurückgegangen,
und nun kurbelte das neue Medium die Konjunktur kräftig an.
Mit der CD wurde eine Audioqualität erreicht, die nur durch
die Abhörbedingungen und nicht mehr wie bei LP und MC durch
den Tonträger selbst begrenzt war. Ein Quantensprung in Wiedergabequalität
und Abspielzeit war mit dem optischen Medium erreicht und entfesselte
beim Konsumenten eine neue Kauflust für Musik. Der Umsatz im
Tönträgerbereich stieg in den kommenden Jahren nahezu
um das Dreifache und erreichte 1997 mit 2.587 Millionen Euro einen
Höhepunkt.
Wenn auch die silberne Scheibe bis heute nichts von ihrer Attraktivität
eingebüßt hat – es werden mit ihr immer noch die
meisten Umsätze erzielt, 2001 waren es 85 Prozent des gesamten
Tonträgerumsatzes –, hat sich auf Herstellerseite der
Enthusiasmus inzwischen gelegt. Die Probleme, die das Wirtschaftswundermittel
mit sich bringt, sind nunmehr nicht zu übersehen, und wer mit
den technischen Eigenschaften der CD vertraut war, hatte die Schwäche
des Mediums bereits bei ihrer Einführung erkannt: Die Compact
Disk lässt sich verlustfrei und ohne Einschränkungen reproduzieren.
Ein Kopierschutz war bei dem verwendeten Audioformat nicht implementiert.
Eine banale Erkenntnis, doch ein einfacher Grund dafür, warum
sich das CD-Brennen so großer Beliebtheit erfreut. Die Gerätehersteller
erkannten darin einen lukrativen Markt, was zu einem Interessenskonflikt
führte, der bis heute noch nicht gelöst ist: Der Verbraucher
möchte Musik möglichst günstig erwerben, die Hersteller
von CD-Brennern und Aufnahmemedien stärken diesen Wunsch durch
immer preiswertere Angebote. Das alles auf Kosten der Tonträgerindustrie,
die allmählich aufgerieben wird. Sie geht davon aus, dass der
schwindende Tonträgerabsatz auf das Brennen von CDs zurückzuführen
ist. 2001 wurden laut einer GfK-Studie (Gesellschaft für Konsumforschung)
erstmals mehr CD-Rohlinge mit Musik bespielt als CD-Alben verkauft.
Das Medium CD hat mit ihrer PCM-Codierung (Pulse Code Modulation)
eine weitere für die Musikwirtschaft problematische Eigenschaft:
Sie ist nicht nur leicht und verlustfrei zu kopieren, sie bietet
zudem einen Musikgenuss auf Lebenszeit. Während analoge Aufnahmen
eine begrenzte Haltbarkeit haben – mehrmaliges Abspielen führt
zu einer hörbaren Verschlechterung der Klangqualität –,
ist deren digitale Speicherung keinen Alterungs- und Abnutzungsprozessen
unterworfen. Wer sich einmal eine CD zugelegt hat, wird sich die
darauf enthaltenen Titel nie wieder in seinem Leben kaufen müssen.
Ein erneuter schwerer Schlag für die Musikindustrie kam mit
der Irrelevanzreduktion von Audiodaten, die durch die Digitalisierung
der Musik möglich wurde. Bei diesem Verfahren werden nicht
hörbare, d.h. irrelevante, Audiodaten aus dem Signal entfernt,
wodurch sich die Datenmenge eines Musiktitels drastisch reduzieren
lässt. Bislang erforderten digitale Audiosignale große
Speicher- und Kanalkapazitäten. Eine Übertragung der Daten
via Telefon war daher ausgeschlossen. Mit der Einführung von
Reduktionsverfahren änderte sich das schlagartig. Eine entscheidende
Rolle spielte dabei die vom Frauenhofer Institut für Integrierte
Schaltungen entwickelte Audiocodierung MPEG (Motion Picture Expert
Group) Layer 3, bekannter unter dem Namen MP3. Mit ihrer Einführung
Anfang der 90er wurde eine grenzenlose Mobilität von Musik
erreicht. Das Reduktionsverfahren öffnete Musikdateien das
Tor ins Internet. Zu kleinen Datenpaketen geschnürte Songs
traten ihre Reise in eine virtuelle Welt an. Auch wenn bei einem
Irrelevanzreduktionsverfahren wie MP3 die Qualität leiden kann,
überwiegt die Faszination über die Möglichkeit, Musik
kostenlos aus dem Internet herunter laden und auf CD brennen zu
können. Ein Kopierschutz war wie bei der CD auch hier nicht
implementiert. Der Online-Handel mit Musik florierte, ohne dass
die Tonträgerhersteller daran partizipieren konnten.
Das Dilemma ist groß. Die Talfahrt im Tonträgermarkt
hat vor fünf Jahren begonnen, ein Ende scheint nicht in Sicht.
Nun wird die Schuldfrage gestellt. Wer sie im eigenen Lager sucht
und zum Beispiel in der schlechten Qualität der Musikprodukte
findet, wird von einigen Branchenteilnehmern als Nestbeschmutzer
gebrandmarkt. Stattdessen werden CD-Brennen, Online-Piraterie und
die politischen Rahmenbedingungen als Ursachen genannt.
Hätte sich die Politik früher für die Musikwirtschaft
eingesetzt und eine entsprechende Gesetzgebung geschaffen, in der
CD-Brennen und Online-Piraterie strafrechtlich verfolgt werden können,
so der Vorwurf, wäre alles gar nicht erst so weit gekommen.
Und einige Politiker bekennen sich freiwillig schuldig und versprechen
eine Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen. Natürlich
ist eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes sinnvoll, die es
den Rechteinhabern erlaubt, gegen unauthorisiertes Kopieren ihrer
Musik vorzugehen. Doch ob mit Gesetzen das Problem gelöst werden
kann, ist fraglich. Denn das eigentliche Problem liegt weniger in
der Politik als vielmehr in der Digitalisierung.
Alle Bestrebung, das durch Digitalisierung außer Kontrolle
Geratene wieder kontrollierbar zu machen, scheint im Audiobereich
aussichtslos– selbst mit technischen Schutzmechanismen. Denn
auch wenn es gelänge, den absolut sicheren Kopierschutz zu
entwickeln und ein hundertprozentig wasserdichtes DRM-System zu
schaffen, gäbe es immer noch eine einfache Möglichkeit,
jeden digitalen Schutzmechanismus auszuhebeln. Der Schlüssel
zur Musik, der immer passt, heißt DA/AD. Die Abkürzung
steht für die Wandlung Digitaler Daten in Analoge und anschließende
Wandlung der Analogen in Digitale Daten. Jedes digitale Abspielgerät
hat analoge Audio-Ausgänge; fast alle Rechner bieten analoge
Audioschnittstellen – die keine haben, können einfach
und kostengünstig mit einer Audiokarte nachgerüstet werden.
Also verbindet man Player und Rechner über die analoge Audioschnittstelle
und nimmt die Musik mit einer Harddiskrecording-Software auf –
die entsprechenden Programme sind als Shareware im Netz erhältlich
–, um sie anschließend auf CD zu brennen. Für jeden,
der Musik auf CD brennt, ist dies ein Kinderspiel. Der Qualitätsverlust,
der durch die DA- und anschließende AD-Wandlung entsteht,
kann als akzeptabel, bei entsprechend guten Wandlern sogar als unmerklich
betrachtet werden. Gegen diese Radikalmethode ist jeder Kopierschutz
macht- und jedes DRM-System wirkungslos. Kann hier das Urheberrecht
bemüht werden und Paragraph 95a des Referentenentwurfs der
EU-Urheberrechtrichtlinie greifen, nach dem „wirksame“
technische Maßnahmen nicht umgangen werden dürfen?
Will man auf effektive Weise verhindern, dass Musik digital gespeichert
und vervielfältigt wird, reichen also Gesetze allein kaum aus.
Um dies zu erreichen, kann man entweder durch Erziehung und Bildung
beim Gewissen ansetzen, das dem Verbraucher das Anfertigen von Raubkopien
verbietet, oder man bietet ihm keine Geräte mehr an, die ihm
ein unkontrolliertes digitales Speichern und Vervielfältigen
von Musik erlauben. Bei der letzten Frage können nur die Gerätehersteller
eine Lösung bringen, indem sie auf die in diesem Marktsegment
erwirtschafteten Gewinne verzichten. Lösung eins ist, wenn
überhaupt, nur langfristig möglich, Lösung zwei eher
unrealistisch, obwohl denkbar.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Vision von Tim
Renner, Chef von Universal Music Germany. Danach müsse sich
der Verbraucher in Zukunft von dem Gedanken Musik zu besitzen verabschieden.
Musik liege dann auf zentralen Servern vor, auf die von überall
zu jederzeit zugegriffen werden kann. Wenn ich mir von einer zentralen
Jukebox jeden Titel der Welt für einen geringen Betrag vorspielen
lassen kann, wird das Speichern und Vervielfältigen von Musik
obsolet. Statt an Speichermedien besteht dann ein Bedarf an leistungsstarken
Sendern und Empfängern, die den Grundsatz „All acces,
anytime, anywhere!“ ermöglichen. Breitbandnetze und UMTS
(Universal Mobile Telecommunications System) bilden dafür eine
technische Grundlage. Voraussetzung für Renners Vision ist
das Bedürfnis des Verbrauchers nach solchen Angeboten. Doch
wird es möglich sein, ihn davon zu überzeugen, dass der
uneingeschränkte Zugriff auf Musik besser ist als deren Besitz?
Schon heute erlauben winzige Player eine Speicherung von über
tausend Titeln. Die Kapazitätsfrage wäre kein Argument
für den neuen Service. Der Preis dagegen schon eher. Vorausgesetzt
das neue Angebot funktioniert, ist leicht bedienbar und die Bezahlsysteme
vertrauenswürdig, dann könnte ein günstiger Preis
verlockend sein. Ein kleiner Betrag für das Abspielen eines
Titels oder ein günstiges Abo könnten den Kunden vielleicht
von dem neuen Angebot überzeugen. Der Preis spielt auch bei
dem Verkauf von Tonträgern eine wichtige Rolle. Ein niedriger
Preis könnte dazu führen, dass sich das Beschaffen und
Kopieren von CDs allein wegen des hohen Zeitaufwands nicht mehr
lohnt.
Ein entgegengesetzter Ansatz, um Raubkopien einzudämmen,
setzt gerade bei der Lust, etwas zu besitzen, an. Der Verbraucher
soll bei seiner Sammlerlust gepackt werden. Der Besitz einer „Original“-CD
erhält dabei einen eigenen Wert. Der Vorteil dieser Lösung
liegt darin, dass diese CD nur käuflich erwerbbar ist und nicht
kopiert werden kann. Special-Editions mit aufwändigem Booklet
und Shape-CD in einer außergewöhnlich gestalteten CD-Box
steigern den Originalitätswert. Diese Lösung setzt eine
Fangemeinde voraus, die die Original-CD um jeden Preis haben will.
Nachteilig ist allerdings, dass der Aufbau einer solchen Fanbase
zeit- und kostenintensiv ist. Auf die Sammlerleidenschaft hat Sony
Music bei der Special Edition des Star Wars Soundtracks für
Episode II gesetzt. Der Major konnte seine Marketingstrategie auf
eine bereits bestehende große Fangemeinde aufbauen. Für
Sammler bot er den Soundtrack zu „Die Klonenkrieger“
mit drei unterschiedlichen Covern an, wodurch ein Star-Wars-Fan(atiker)
drei CDs mit gleichem Inhalt kaufen konnte.
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass eine wesentliche
Ursache für die derzeit sinkende Ertragsfähigkeit von
Musik ihre Digitalisierung ist. Kopierschutzsysteme werden das Kopieren
von CDs nicht verhindern können. DRM-Systeme bieten nur Schutz
auf einer rein digitalen Ebene – eine DA/AD-Wandlung macht
sie wirkungslos. Solange es möglich ist, auf digitale Datenströme
zuzugreifen, werden diese Systeme auch weiterhin der „Knacklust“
von Hackern ausgeliefert sein. Die Politik dort zu bemühen,
wo technische Schutzmaßnahmen nicht greifen, kann nicht die
letzte Lösung sein. Sollten sich keine weiteren Lösungen
finden lassen, könnte dies schlimmstenfalls das Ende der Popkultur
bedeuten. Dann hieße es Abschied nehmen: Popkultur Ade!