[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 25
51. Jahrgang | Oktober
Pädagogik
Geständnisse eines Musikschulleiters a. D.
Jugend musiziert
Gerne würde ich denjenigen ein Denkmal setzen, die den grandiosen
Einfall hatten, für ganz Deutschland eine Einrichtung wie den
Wettbewerb “Jugend musiziert” zu kreieren. Für
uns an der Lahrer Musikschule war “Jugend musiziert”
die ersehnte Hilfe im rechten Moment. Natürlich hatten wir
unsere regelmäßigen Vortragsstunden, unsere Kammermusikformationen
und die Orchesterarbeit. Aber wir waren allein und sahen uns ständigen
Anfeindungen in unserer kleinen Stadt ausgesetzt. Nun konnten sich
unsere Eltern und die Musikpädagogen in unserer Stadt selbst
davon überzeugen, dass es nicht nur möglich, sondern nützlich
und sinnvoll ist, schon als Kind mit dem Unterricht eines Musikinstrumentes
zu beginnen. Da kamen plötzlich Kinder aus allen Ecken der
Bundesrepublik zusammen und bewiesen, dass das Musizieren in der
Gemeinschaft, sei es in Familie oder Schule, beflügelt, dass
der Wunsch nach Leistung keineswegs zu Frust oder seelischer Krankheit
führen muss. “Jugend musiziert” gab von Anfang
an den bedeutendsten Impuls für das musikalische Leben unseres
Landes nach dem Kriege. Das, was keine einzige Musikhochschule in
Deutschland schaffte, den Aufbruch zu neuem Engagement und neuer
Qualität, der Einrichtung “Jugend musiziert” gelang
es in wenigen Jahren mühelos. Die Erklärung für diesen
überwältigenden Erfolg mag darin zu finden sein, dass
hier unbürokratisch und relativ freizügig das eigene Engagement
unserer Jugendlichen zum Tragen kommen konnte. Undogmatisch und
zum Erstaunen der Fachwelt zeigten uns die jungen Musiker, wie man
vom Überlieferten und Bewährten den Weg zu Neuem und Ungewohntem
mit ungeteilter Begeisterung finden kann. Glaube niemand, ich hätte
nicht auch die Schattenseiten und Entartungen dieser Einrichtung
kennen gelernt: Den krankhaften Ehrgeiz von Eltern und Lehrern,
den ausschließlich auf “Jugend musiziert” beschränkten
Horizont so vieler Teilnehmer und der für sie Verantwortlichen,
das ausschließliche Denken in Preiskategorien und vieles andere
mehr. Aber wo viel Licht ist, ist eben auch viel Schatten, und jede
gute Sache lässt sich trefflich missbrauchen. Doch seien wir
ehrlich: Auch unsere überregionalen Jugendorchester wie Landesjugendorchester,
Bundesjugendorchester, Junge Deutsche Philharmonie und viele andere
konnten nur auf dem Fundament von “Jugend musiziert”
entstehen. Ohne die Initialzündung von “Jugend musiziert”
gäbe es heute wahrscheinlich nicht ein einziges überregionales
Jugendorchester von Rang. Es ist kaum zu beschreiben, mit welcher
Begeisterung und welchen Glücksgefühlen unsere Schüler
nach den jeweiligen Arbeitsphasen wieder zu uns zurück kamen!
Und wo könnten junge Instrumentalisten über ihre eigenen
Leistungen und die der anderen ein besseres und objektiveres Bild
gewinnen, als gerade dort? Natürlich sind mit der Fortentwicklung
dieses Wettbewerbes und im Verlaufe der Zeit neue Fragen aufgetaucht.
Ursprünglich als Wettbewerb gedacht, der dem damaligen notorischen
Mangel an Orchesterinstrumenten abhelfen sollte, hat sich “Jugend
musiziert” zu einem bunten Spiegel unseres gesamten musikalischen
Spektrums entwickelt. Wie in vielen anderen Bereichen dominiert
auch hier inzwischen der Bereich Klavier zu Lasten der Orchesterinstrumente
und mit der Einführung des Dreijahresrhythmuses auch zu Lasten
einer sinnvollen pädagogischen Berücksichtigung im täglichen
Unterricht. Für Kinder, die ein Blasinstrument, vor allem aber
ein Streichinstrument spielen, ist ein Zwischenraum von drei Jahren
zu lang! Dazu kommt, dass sich der Wettbewerb “Jugend musiziert”
im Laufe der Zeit zu einem Wettbewerb zweier Sparten entwickelt
hat: Auf Regionalebene, schon weniger auf Landesebene, noch ein
Wettbewerb für Laien, der Musizierenden, auf Landesebene größtenteils
und auf Bundesebene schon lange ein Wettbewerb der Profis mit Berufsambitionen.
So etwas muss zu Spannungen führen. Vor allem auf Regionalebene
sollen Dinge miteinander verglichen werden, die nicht zu vergleichen
sind. Die Opfer dieser Entwicklung sind vor allem unsere Laienmusiker,
aber auch diejenigen, die mit falschen Voraussetzungen und Hoffnungen
Jahr für Jahr ihr Glück versuchen, um doch noch den Sprung
in den „Olymp” zu schaffen. Vielleicht ließe sich
diese Situation entschärfen durch eine Aufteilung von Beginn
an in die Bereiche A und B. Der Bereich A wie bisher mit freier
Werkwahl, der Bereich B mit einem nicht zu einfachen Pflichtprogramm.