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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 24
51. Jahrgang | Oktober
Pädagogik
„Response“ – Komponisten im Musikunterricht
Komponieren mit Kindern einer 7. Klasse – eine Projektbeschreibung
· Von Burkhard Friedrich
Die Idee ist nicht neu: Ausübende Künstler/-innen und
Komponisten/-innen besuchen die allgemeinbildenden Schulen und präsentieren
im jeweiligen Fachunterricht sich selbst und ihre künstlerische
Arbeit. Es geht dabei nicht ausschließlich um Selbstdarstellung,
sondern auch und immer öfter um die Vermittlung der künstlerischen
Disziplin, sei es nun bildende Kunst, Komposition oder Literatur.
Die Projekte tragen Namen wie “Response” (Antwort, Widerhall,
Reaktion) oder „Eine Reise in die Musik des 21. Jahrhunderts”,
mit denen bereits der zentrale Inhalt umschrieben ist: Es geht um
unmittelbares Wahrnehmen, Erkennen, Begreifen und nicht zuletzt
auch Reagieren auf die Kunst und Musik unserer Zeit.
Der zentrale Gegenstand des folgenden Textes ist das Fach Komposition
und sein möglicher Stellenwert im Musikunterricht der allgemeinbildenden
Schule anhand einer Projektbeschreibung „Komponieren mit Kindern
einer 7.Klasse” des Gymnasiums Ohlsted/Hamburg mit kurzer
Vergleichsanalyse zu der Arbeit mit Abiturienten eines Leistungskurses
Musik des Goethe-Gymnasiums /Hamburg. Zuvor jedoch eine Situationsbeschreibung.
War es bisher üblich, im Musikunterricht den Schüler
anhand von Referaten, Overhead-Folien, Klangdokumenten, Klausuren
und vereinzelten Konzertbesuchen „den Komponisten” und
seine Epoche zu vermitteln, so steht heute an einigen Gymnasien
und Gesamtschulen die Frage im Raum, wie der Unterricht anschaulicher
und gegenständlicher gestaltet werden kann. Im konventionellen
Musikunterricht erfährt die Schülerschaft in erster Linie,
welchen historischen Stellenwert der jeweilige Komponist hatte,
welche epochalen Merkmale in seiner Musik wiederzufinden sind und
welche Interpreten seine Musik heutzutage auf welche Weise interpretieren.
Wohlgemerkt: Es geht im Musikunterricht in der Regel um die vergangenen
Jahrhunderte und nur im speziellen und sehr rar gesäten Falle
um Musik des 20. Jahrhunderts und dann meist nur bis 1945. In diesem
Zusammenhang wird das jeweilige kompositorische Schaffen als gegeben
hingenommen und keineswegs untersucht, wie die musikalische Ausbildung
in der Zeit des jeweiligen Komponisten beschaffen gewesen ist, ganz
zu schweigen davon, auf welche Weise der Komponist zu seinem Handwerk
gelangt ist. Das geniale Schaffen des Komponisten und seine historische
Bedeutung gelten als eine Art Status quo, werden als gegeben hingenommen.
„Der Komponist” steht außerhalb jeglicher Bewertung
seines kompositorischen Schaffens: Seine Musik hat per se eine hohe
Qualität, die nicht differenziert betrachtet wird; man kann
sogar soweit gehen, zu konstatieren, dass die Musik unserer Kollegen
aus den vergangenen Jahrhunderten grundsätzlich unantastbar
ist, wie an der Art der Rezeption und der Kommerzialisierung unschwer
zu erkennen ist. Das Negativ dazu findet sich in der mehr oder weniger
(ablehnenden) einseitigen Haltung gegenüber der Musik des 20.
und 21. Jahrhunderts. Repräsentiert die Musik vergangener Jahrhunderte
das „Eigene” und die des derzeitigen Jahrhunderts das
„Fremde”?
Der gängige Musikunterricht jedenfalls hat ohne Zweifel seinen
Anteil an dieser einseitigen Art des Umgangs mit der abendländischen
Musikkultur. Ob fremd oder eigen, es steht fest, dass der historische
Autor musikalischer Werke den Lehrern, den Schülern und den
Rezipienten fern und nicht greifbar ist. Trotzdem ist im Lehrplan
festgehalten, dass der Schüler lernen soll, den Komponisten
und seine Zeit zu erkennen, zu verstehen und in Zusammenhang zu
dessen kompositorischen Schaffen setzen zu können. Dagegen
ist im einzelnen auch nichts zu sagen . Die Allgemeinbildung verlangt
es, die Musikepochen zu kennen und bestimmen zu können. Jedoch
erlischt dieser Anspruch an die Allgemeinbildung, wenn es um die
Musik der zweiten Hälfte des 20. und der des 21. Jahrhunderts
geht, ohne dass es dafür nachvollziehbare Gründe gibt.
Erloschene Allgemeinbildung
Richard Wagner, Hector Berlioz, Claude Debussy, Richard Strauss
beispielsweise dürften die letzten Komponisten sein, denen
eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil wird. Aber auch deren Werk wird
als gegeben hingenommen, die Komponisten zu „unbekannten Größen”
stilisiert. Das eine oder andere Stück wird der Schülerschaft
mittels Klangbeispielen, Partituranalysen und Anekdoten über
den Komponisten nahegebracht; aber das war es dann auch schon mit
der Betrachtung des kompositorischen Schaffens. Auch hier fehlt
das Interesse für den künstlerischen Werdegang des jeweiligen
Komponisten, für die musikhistorischen Folgen, sprich: die
Komponisten unserer Zeit. Sicherlich liegt der Grund hierfür
nicht nur darin, dass es an sicherem Wissen mangelt, sondern auch
darin, dass man das Bild vom Genie, das jenseits von Gut und Böse
Epigonales geschaffen hat, nicht antasten möchte. Der „lebendige”
Komponist, gar die “lebendige” Komponistin erscheinen
zu unmittelbar, zu real, als dass sie mit der geschilderten Betrachtungsweise
in Einklang zu bringen wären, in der sich eine Sehnsucht nach
Vergangenem widerspiegelt; ähnlich der Sehnsucht der Romantik
nach der Antike. Aus diesen Gründen darf der historische Komponist
auch keine reale Gestalt annehmen, weil damit die Sehnsucht nicht
mehr erfüllt werden könnte. Im Zentrum dieser Sehnsucht
steht sicherlich die „Harmonie”, die ein tiefes Erfüllt-sein
bewirken soll. Und wo ist diese Harmonie leichter zu finden als
in den vertrauten, den „eigenen” musikalischen Traditionen?
Diese Haltung bewirkt ungünstigerweise aber auch die reservierte
und unsichere Position gegenüber den heutigen Komponisten,
die sich immer wieder damit konfrontiert sehen müssen, dass
ihrem Schaffen kein ernst zu nehmender Stellenwert beigemessen wird.
Die Unsicherheit entspringt der Angst vor Unverständnis und
„Fremdheit” obwohl die Musik der heutigen Zeit genauso
Bestandteil unserer abendländischen Kultur ist wie beispielsweise
auch das Opus 133 von Ludwig van Beethoven, auf das in seiner Zeit
– speziell bei diesem Werk – in ähnlicher Weise
reagiert wurde. An welchen Institutionen, wenn nicht an den allgemeinbildenden
Schulen kann eine effektive Bewusstseinsbildung in Form des direkten
Kontaktes mit Komponisten betrieben werden, an deren Ende eine selbstverständliche
Haltung der Schülerinnen, der Rezipienten, der Medien et cetera
gegenüber der heutigen Musik und ihren Autoren stehen würde?
Lediglich noch in den Musikschulen kann von Beginn der elementaren
Musikerziehung und des Instrumentalunterrichts an die zeitgenössische
Musik auf eine Weise integriert werden, die den Musikunterricht
an den Schulen mit diesem Thema gewinnbringend ergänzt.
In den letzten Monaten hat die Fragestellung, auf welche Weise
klassische Musik Kindern und Jugendlichen zielgruppenorientiert
vermittelt werden kann unter dem Oberbegriff „Konzertpädagogik”
zunehmend an Bedeutung gewonnen. Auch wenn es in diesem neuen Bereich
der Rezeption überwiegend um konventionelle klassische Musik
geht, bleibt die Frage, welchen Stellenwert in diesem Zusammenhang
die zeitgenössische Musik hat, nicht unberührt. Renommierte
Festivals bieten bereits einerseits eine Konzertschiene für
Kinder an, in der die Neue Musik in seltenen Fällen einen festen
Platz erhält, andererseits werden offene Formen von Konzertveranstaltungen
propagiert, in denen Workshop-artige Inhalte im Vordergrund stehen.
Auch Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen in Form von „Response”-Projekten
findet man vereinzelt, wie etwa im Rahmen des „musikfest hamburg”
2002. Trotzdem muss festgestellt werden, dass zum Beispiel die Theaterpädagogik
der Konzertpädagogik weit voraus ist: Wird an jedem größeren
Theater ein Theaterpädagoge beschäftigt, der dafür
zuständig ist, Schulklassen ins Theater zu bringen, so fehlt
im Festivalmanagement bisher gänzlich ein pädagogischer
Ansprechpartner, der für eine Kooperation des Festivals mit
den Schulen zuständig wäre. Somit leisten „Response”-Projekte
eine wertvolle Pionierarbeit, die hoffentlich insofern Kreise ziehen
wird, als Komponisten und Komponistinnen auch unabhängig von
Festivals im Alltag des Musikunterrichts präsent sein werden.
Komponisten als Pädagogen?
Bevor ich detailliert auf die Arbeit mit den Schülern eingehe,
sei noch angemerkt, dass es leider von der Seite der Komponisten
aus ebenfalls nicht selbstverständlich ist, im pädagogischen
Bereich tätig zu sein . Es fehlt an den Hochschulen das Fach
„Didaktik der Komposition”, das den Studierenden im
Fach Komposition eine pädagogische Ausbildung ermöglichen
würde, so wie es im Instrumentalbereich seit eh und je üblich
ist. Es sei hier auf einen Artikel von mir in „Musik &
Ästhetik” (Juli 2002) unter dem Titel „Komposition
und Musikerziehung – Versuch einer Annäherung”
verwiesen, der sich speziell mit dieser Fragestellung auseinandersetzt.
Das „musikfest hamburg” hat sich – neben teils
sehr unkonventionellen Konzerten mit zeitgenössischer Musik
– zur Aufgabe gemacht, neue Inhalte und Konzeptionen mit einem
pädagogischen Anspruch zu verbinden und mit allgemeinbildenden
Schulen zu kooperieren. Mir wurde eine Bläserklasse eines Hamburger
Gymnasiums – zusammengesetzt aus zwei 7. Klassen – angeboten,
mit der zusammen ich unter Mitarbeit des Musiklehrers und zwei Musikern
des „Ensembles Resonanz” eine Komposition über
den Zeitraum eines knappen halben Jahres erarbeiten konnte. Die
Voraussetzungen seitens der Schüler erschienen optimal: Alle
spielten bereits ein Blasinstrument (Flöte ,Saxophon ,Klarinette
,Trompete, Posaune), die Mehrzahl der Schülerinnen erhielt
nach wie vor Unterricht auf dem Instrument, die Lehrkraft hatte
bereits sporadisch mit Neuer Musik anhand von grafischen Partituren
gearbeitet und die Schüler kannten sich seit drei Jahren. Der
Arbeitsschwerpunkt des Kurses lag jedoch eindeutig auf Bläsersätzen
der klassischen und der Unterhaltungsmusik.
Wahrnehmung von Klängen
Die zentrale Frage ist in solch einem Projekt immer, wie der Einstieg
in die kompositorische Arbeit zu bewältigen sei, ohne die Schüler
zu überfordern, zu unterfordern oder abzuschrecken. Ich habe
den Weg über die Wahrnehmung von Umweltklängen gewählt,
ohne der Klasse diese Methode im Vorfeld kompositionsästhetisch
zu erläutern; Kinder der 7. Klassenstufe sind zwischen 12 und
13 Jahre alt, äußerst vital, ungeduldig und neugierig
auf das „Machen”, das „Handeln”, was unbedingt
berücksichtigt werden muss. Die Arbeitsprozesse haben sich
natürlich über mehrere Unterrichtsstunden in einem Zeitraum
von vier Monaten verteilt. Im folgenden verzichte ich auf eine Beschreibung
jeder einzelnen Unterrichtseinheit.
Die Klasse wurde in drei Gruppen aufgeteilt und für 15 Minuten
mit einem Aufnahmegerät in verschiedene Richtungen geschickt
mit der Aufgabe, eine 10-minütige Aufnahme von ihrer jeweiligen
Umgebung zu erstellen. Vor dem Start war es unerlässlich, darauf
hinzuweisen, dass absolutes Redeverbot auf dem Weg herrscht (es
wurden Verständigungszeichen vereinbart) und keine lauten Schritte
zu hören sein dürfen, es sei denn, diese sollten Bestandteil
der Komposition werden, obwohl auch das erst einmal vermieden werden
sollte. Die drei Aufnahmen wurden angehört, wobei es im Anschluss
eines jeden Hörens Aufgabe der anderen war, mündlich zu
beschreiben, was sie wahrgenommen hatten. Da der wesentliche Anspruch
darin liegt, den Kindern zu vermitteln, wie mit musikalischen Parametern
komponiert werden kann, mussten die doch sehr gegenständlichen
Be- und Umschreibungen der aufgenommenen Klänge in die musikalische
Terminologie übersetzt werden: Zu diesem Zweck habe ich Formblätter
angefertigt, auf denen die einzelnen Parameter eingetragen und zugeordnet
werden sollten. Dabei stellte sich heraus, dass die Schüler/-innen
in der musikalischen Terminologie nicht ausreichend Bescheid wussten,
so dass ich kurze Improvisationsübungen über einzelne
Parameter durchführte, welche die theoretischen Begriffe praktisch
veranschaulichen sollten. Bei diesen Improvisationsübungen
ging es auch um unkonventionelle Spieltechniken, die später
beim Ausarbeiten der Komposition eine wichtige Rolle spielten.