[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 37
51. Jahrgang | Oktober
Jazz, Rock, Pop
Im Schnittpunkt von Orient und Okzident
1.500 Jahre Tradition: Geistliche Gesänge aus Armenien
2001 feierte Armenien die 1.700-Jahr-Feier der Christianisierung,
wofür zahlreiche Kirchen und Klöster renoviert wurden
– erwartete man doch Tausende von Pilgern aus Frankreich,
dem Libanon und aus den USA, wo zusammen etwa doppelt soviele Armenier
leben wie in ihrer Heimat. Und auf einem Hügel in Yerevan wurde
– städtebaulich geschickt vom neoklassizistischen Platz
der Republik (ehemals Leninplatz) aus zu sehen – eine besonders
große neue Kathedrale mit modernen Elementen und historischen
Zitaten errichtet. Der beeindruckende Bau gewährt wie alle
armenischen Kirchen im Unterschied zu den Gebäuden der anderen
Orthodoxien freien Blick in den Altarraum; die Ikonostasen scheinen
die Erfindung jüngerer orthodoxer Kirchen zu sein.
Wendet man sich dem Ausgang zu, sieht man etwas Erstaunliches,
nämlich eine Orgel. Dies ist zweifellos ein bauliches Votum
für die Ökumene, denn in einem orthodoxen Gotteshaus haben
Instrumente eigentlich nichts zu suchen.
Dafür bestehen die Gottesdienste fast ausschließlich
oder zumindest zu großen Teilen aus Liturgie. Und so ist es
kein Wunder, dass die älteste christliche Nation der Welt Sharakans,
Hymnen bis zurück zum fünften Jahrhundert kennt und pflegt.
Diese sind wie bei allen anderen autokephalen, das heißt von
einander unabhängigen Orthodoxien (mit Ausnahme der georgischen
mit ihrer Polyphonie) durchweg monodischen Ursprungs.
Insofern sind die Begleitinstrumente auf „Anna Mailian: Treasures
of light“ (CCn’C/Note 1) ebenso wenig authentisch wie
eine zweite Gesangsstimme; allerdings wurden diese publikumsfreundlichen
Beigaben meist dezent verwendet, wobei die hervorragenden Musiker
etwa mit Kamancha (Spießgeige) und Tar (Langhalslaute) überzeugend
demonstrieren, dass die armenische Musik – wie man es auch
von Chatschaturjan kennt – tonal und rhythmisch ziemlich exakt
im Schnittpunkt von Orient und Okzident steht. Dennoch sind die
a-cappella-Gesänge der faszinierenden Sängerin der eigentliche
Reiz der CD. Zwei Gesänge übrigens stammen von Mesrop
Mashtots, dem Schöpfer der armenischen Schrift (5. Jahrhundert).
Auch die Musik des „armenischen Bartóks“ ist
nur bedingt authentisch, wohl aber nationaler Stolz. Der Männerchor
der Oper in Yerevan singt sehr dynamisch die „Armenian Holy
Mass“ von Soghomon Soghomonian (1869-1935), der sich nach
einem gleichnamigen Oberhaupt der armenischen Kirche aus dem 7.
Jahrhundert Komitas nannte. Zwar liefert die CD (über: www.hollywoodmusiccenter.
com) nur wenig Informationen, doch das Hörerlebnis der Messe
mit (monodischer) Liturgie und polyphonem Chorgesang ist faszinierend.
Komitas hat in überzeugender Weise Überliefertes arrangiert,
ohne dabei den Charakter armenischer Musik anzutasten; schließlich
stammt von ihm die wichtigste Volksliedsammlung des Landes.
Auch im Gottesdienst werden diese und andere Bearbeitungen gesungen,
je nach vorhandenem Gesangspotenzial. In vielen armenischen Kirchen
ist die eigens für 2001 produzierte Kassette „Les chants
de la liturgie armenienne“ in der Fassung eines M. Yekmalian
mit recht kurzer Spielzeit erhältlich. Informationen gibt es
dazu keine, nicht einmal eine Hersteller-Adresse. Doch die Hymnen
des Armenischen Akademie-Chores lassen sich durchaus hören.
Und ein beachtliches Kopfstimmen-Solo erst recht.