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nmz-archiv
nmz 2002/10 | Seite 22
51. Jahrgang | Oktober
Bücher
Rosenkavalier, Tannhäuser, Otello und Elektra
Die selbstgerechten Erinnerungen des Hans Mai
Max Gerd Schönfelder: Meine Jahre mit der Semperoper,
Taurus Verlag Leipzig 2002, Herausgegeben von Elke Therese Schönfelder
und Otto Werner Förster, 126 Seiten.
„Meine Jahre mit der Semperoper“ – schon der
Titel wirkt zwiesinnig. Er deutet an, dass es auch die Jahre anderer
mit der Semperoper gibt, aber auch, dass es sich um ein Erinnerungsbuch
handelt. – Doch erinnert sich der Autor richtig? Und welche
Rolle spielt die Zusammenstellung der Texte des an den Folgen eines
Verkehrsunfalles im Oktober 2000 verstorbenen Schönfelder durch
dessen Witwe und durch den Mitherausgeber, Verlagsinhaber und Schönfelder-Familienfreund
Otto Werner Förster?
Das Nachwort könnte die Absicht der Herausgeber verdeutlichen,
die Geschichtsschreibung in ihrem (und Schönfelders) Sinne
zu beeinflussen. Immerhin – der biografische Teil des Nachwortes
verschweigt Pikantes! Dass Schönfelder nach der politischen
Wende aufgrund der entsprechenden Auskunft der „Gauck-Behörde“
am 13. April 1992 durch die zuständige Personalkommission als
Inoffizieller Mitarbeiter (Registriernummer XII 72/83) enttarnt
wurde und dass er – auch wegen der Schwere seines Falles –
sofort an der Dresdner Musikhochschule Hausverbot erhielt, dass
ihm aus demselben Grunde verboten wurde, den Professorentitel weiter
zu führen, bleibt unerwähnt. Was aber ist ein Erinnerungsbuch
wert, das all die Schönfelder-Spitzeleien, die in den „Gauck“-Akten
dokumentiert sind, nicht enthält?
Das Buch hat neun Kapitel, und eitle Histörchen um die Inszenierungen
von Rosenkavalier und Tannhäuser, von Otello und Elektra und
anderen Opern mehr füllen die Seiten, und alle sind sie anscheinend
mit der Grundhaltung geschrieben, dass immer die anderen die Schlechten,
die Charakterlosen, die weniger Fähigen, die politisch Subalternen
sind. Ein roter Faden der Selbstgefälligkeit zieht sich durch
den gesamten Text und als Leser gewinnt man zunehmend den Eindruck,
als wären die gesamten Dresdner Opernverhältnisse ohne
Schönfelder – den Ritter gegen Dummheit und Dreistigkeit
– längst in der Gosse kultureller Niederungen gelandet...
Und dort, wo Schönfelder diesem Buch zufolge seine Kämpfe
(teilweise) verloren hat, waren es eigentlich gar keine Niederlagen,
denn zumindest moralisch fühlte sich der bauernschlau wirkende
Marionettenspieler überlegen.
Schönfelder, das scheint ein Resümee des Buches, inszeniert
sich als unschuldiges Opfer aller möglichen Leute, die ihm
– nach seinen Maßstäben – auf diese oder
jene Art eigentlich nicht das Wasser reichen können. Nicht
Schönfelder, nein – der gewisse Kapellmeister, der „polnische
Wessi oder wessische Pole“ – intrigierte gegen die Staatskapelle
und Schönfelder war – natürlich! – das Opfer.
Nicht Schönfelder legte es unter raffinierter Ausnutzung der
Differenzen zwischen SED-Bezirksleitung, ZK, Kulturministerium und
Staatssicherheit darauf an, aussichtsreiche Mitbewerber auszuschalten,
um selber Semperoper-Intendant zu werden – nein! Schönfelder
erhielt seinem Buch zufolge vom Minister regelrecht die Anweisung,
dieses Amt zu übernehmen – Wiederspruch zwecklos! Und
wenn Hans Mai – diesen Decknamen hatte Schönfelder mit
seiner eigenen Unterschrift unter der Verpflichtungserklärung
akzeptiert – sich doch mal als kleiner, gewitzter Gewinner
fühlte, dann doch nur, weil die Gegenüber – selbstverständlich!
– dümmer waren, als der Zoll erlaubt – die DDR-Zöllner
waren ja nicht mal in der Lage, illegalen österreichischen
Wein zu beschlagnahmen. Wes Geistes Kind Schönfelder war, verrät
dessen kurze Beschreibung einer Rückreise von Wien, wo er fürstlich
getafelt hatte, nach Dresden: „Ich jage zurück. Über
Preßburg bin ich nicht gefahren. (sic! Schönfelder hätte
wohl jedem seiner Studenten eine ideologische Standpauke gehalten,
wenn sie „Preßburg“ anstatt „Bratislava“
gesagt hätten – M. B.) Ich glaube, ich fuhr auf elenden
Landstraßen über Budweis und Pilsen durch trostlos verelendete
Dörfer. Einen Eid möchte ich darauf nicht leisten. Aber
doch darauf schon, dass ich hier um alles in der Welt nicht hätte
Station machen wollen.“ Klar, auf dieser Strecke winkte weder
Kärtnerstraße noch Kranzler-Torte. Beim Blick auf die
Landkarte stellt sich dann die Frage: Warum eigentlich ist er nicht
über Preßburg und Prag gefahren?
Insgesamt ist das Buch für den Musikfreund völlig entbehrlich.
Welchen Nutzen sollte die Veröffentlichung der selbstgefälligen
Tiraden eines sich ungerecht behandelt fühlenden Kleinkönigs
nach der Entthronung bringen? Eines aber muss dennoch angemerkt
werden: Das Verfahren der Herausgeber, viele der betroffenen Personen
anonymisiert in den Text aufzunehmen, ist unter ethischem Gesichtspunkt
unfair und damit mehr als problematisch. Im Mikroklima auch der
heutigen Musik- und Opernszenerie weiß fast jeder, wer mit
„Herrn L.“, „eine Sekretärin“, dem
„polnischen Wessi oder wessischen Polen“, „Else“
oder dem „tollkühnen Staberlschwinger“ des Wiener
Tannhäuser gemeint ist – aber die Betroffenen haben auf
diese Weise kaum Chancen, sich juristisch zu wehren.