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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 33
51. Jahrgang | November
Oper & Konzert
In der Reduktion liegt der Reichtum
Georg Katzers oratorische Szenen „Medea in Korinth“
in Berlin uraufgeführt
Pessimismus ist angesagt. In eine „dunkle Richtung“
hat sich die Erde in den letzten 50 Jahren weitergedreht, glaubt
die Schriftstellerin Christa Wolf. Hoffnung kann da nur etwas Ungewisses,
schwer zu Fassendes sein. Auch Kunst kann nur Denkanstöße
geben, nicht verändern. Dieses Lebensgefühl hat sich gerade
bei denjenigen verbreitet, die wenigstens Sand ins Getriebe streuen
wollten, darunter auch die hellsichtigeren Augenzeugen des für
gescheitert erklärten Experiments Sozialismus. Wie Christa
Wolf ist auch Georg Katzer nicht mehr von einer Aufwärtsbewegung
der Geschichte überzeugt – eine Gemeinsamkeit der Autorin
und des Komponisten, der dem historischen Sujet ihrer „oratorischen
Szenen“ „Medea in Korinth“ eine seltsam zeitlose
Aktualität verleiht und Text und Musik in seltener Übereinstimmung
zusammenführt.
Der blutige Stoff war schon immer äußerst beliebt: Komponisten
aus drei Jahrhunderten, von Francesco Cavalli („Giasone“,
1649) über den Callas-Favoriten Cherubini bis zu Darius Milhaud
(„Medée“, 1939), zeigten sich vom Drama um die
Frau fasziniert, die ihre verratene Liebe furchtbar rächt,
sogar mit dem Mord an den eigenen Kindern. Dabei stützten sie
sich ausnahmslos auf die Version des Euripides. Schon im Roman „Medea.
Stimmen“ von 1996, nach dem das Libretto entstand, vertritt
Wolf eine „emanzipiertere“ Lesart, nach der nicht die
hysterische Megäre einfach durchdreht, sondern eine Frau sich
weigert, ihr Denken und Fühlen zum Schweigen zu bringen. In
Korinth, wohin es die kolchische Königstochter und Jason, für
den sie das Goldene Vlies raubte, verschlug, ist dies die Beschwichtigung
eines Aufruhrs – Machterhalt – durch ein Menschenopfer.
Die Kinder werden von der hasserfüllten Menge gesteinigt, Medea
verjagt. Ausgrenzung Andersdenkender, der Sündenbock, auf den
eigenes Fehlverhalten projiziert wird, Verdrängung und Erinnerung
sind so die Themen, welche die antike Gestalt „zu unserer
Zeitgenossin“ machen.
In zweifacher Hinsicht ist Katzer mit seiner Vertonung ein wichtiges
Werk gelungen, eines, das der von ihm gewohnten Musiksprache zunächst
wenig entspricht: Äußerste Reduktion der Mittel trägt
ebenso der textlichen Verknappung wie den Aufführungsbedingungen
Rechnung. Denn es handelt sich hier um das Auftragswerk eines Laienchores:
Mit seiner Uraufführung beging die traditionsreiche Berliner
Singakademie ihr 200-jähriges Bestehen, zugleich eine mutige
Saisoneröffnung im Berliner Konzerthaus unter dem Motto „Mythen
und Musik“. Die Herausforderung neuer ungewohnter Singtechniken,
schwer zu verortender atonaler Klänge und eines reichhaltigen
Geräuschspektrums bestanden die Sänger und Sängerinnen
unter ihrem Chordirektor Achim Zimmermann mehr als glänzend.
Da wird gezischt und geflüstert, im Sprechgesang verwickeltes
rhythmisches Geflecht angesteuert, ausladendes Glissando mit Aufschreien
durchsetzt. Denn der Chor ist nicht nur Kommentator, sondern auch
Handlungs- und Ausdrucksträger. Er stellt die korinthische
Volksmenge dar, deren „Stopf ihr den Mund“ dem alten
„Kreuziget ihn“ entspricht. In hoch expressiven, weit
gespannten Akkorden besingt der Chor die Kernaussage: „Was
geschehen soll, ist ohne uns beschlossen. Wir sehen keinen Ausweg,
der nicht neues Unheil brächte“, in sanft schmelzendem,
in engen Reibungen gesetztem Choral die absolute Resignation und
Echolosigkeit zum Schluss: „Es bleibt der Himmel stumm und
auch die Erde schweigt.“ Äußerste Reduktion und
Sparsamkeit prägt auch den Orchesterpart – was Virtuosität
des vorzüglichen Berliner Sinfonie-Orchesters durchaus einschließt.
Klangsensibel, dabei äußerst wirkungsvoll den jeweiligen
emotionalen Ausdruck treffend, ist alles gehalten, von hervorragender
Balance. Doch Reduktion bedeutet hier noch mehr. Die Katzersche
Vitalität, die sich noch im letzten Musiktheaterwerk „Der
Maschinenmensch“ so farbenprächtig und mitreißend
aggressiv aussprach, erscheint gebrochen, gleichsam eingedampft,
nach innen gewendet. Ein Anspruch auf Modernität, auf Innovation
wird nicht mehr erhoben. Und doch bleibt ein „zeitgenössischer“
Tonfall gewahrt. Traditionelle Anklänge durchziehen das ganze
Werk, ohne direktes Zitat zu sein. Die fallende Sekunde, an Brennpunkten
wie leitmotivisch eingesetzt und häufig von der Oboe vorgetragen,
gibt ihm den Klageton. „Geradezu unanständig melodiös“
nannte Katzer den Part der Medea, den Annette Markert mit melancholischer
Wärme erfüllte. „Störfall“ – auch
musikalisch – ist Medea gerade durch ihr Streben nach Harmonie.
Besonders anrührend ihr Dialog mit der Königstocher und
Rivalin Glauke, die sich in fieberhaften Sprüngen und Spitzentönen
(herausragend: Julie Moffat) der schmerzhaften Erinnerung stellt,
während Jason sich mit Heldentenor (Robert Künzli) in
die bewusstlose Brust wirft. Das schwankt zwischen Distanz und Identifikation.
Mit viel Raffinement setzt der Komponist seine avancierten Mittel
zur unmittelbaren Verständlichkeit ein. Dass wir uns in immer
gleichen Bahnen wie Sisyphos mit dem Stein des Fortschritts abmühen,
teilt sich darin umso nachdrücklicher mit.