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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 35
51. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Ludwig van Beethoven trifft neue Komponistenkollegen
Uraufführungen von Manfred Trojahn, Jürg Baur, Pascal
Dusapin, Mauricio Sotelo und Özkan Manav beim Beethovenfest
Im Jahre 1999 wurde das traditionsreiche Bonner Beethovenfest
organisatorisch und programmatisch umgestaltet. Das Attribut „international“
im Namen des Festivals markiert auch äußerlich den Neubeginn.
Wichtigster Partner der Stadt Bonn bei dieser Umgestaltung war die
Deutsche Welle, die als Mitgesellschafter mit drei Vertretern im
Aufsichtsrat das Festival mitträgt. Der wichtigste Beitrag
der Deutschen Welle besteht darin, dem Beethovenfest im wahrsten
Sinne des Wortes „weltweite Ausstrahlung“ zu geben.
Im Programm des Beethovenfests schlägt sich das Engagement
der Deutschen Welle vor allem auf dem Sektor der Nachwuchsförderung
nieder: in Verbindung mit dem großen Projekt des Orchestercampus,
das in diesem Jahr initiiert wurde, steht hier der Kompositionswettbewerb
der Deutschen Welle, der ebenfalls zu einer festen Einrichtung werden
soll. Der Gewinner erhält einen mit 5.000 Euro dotierten Kompositionsauftrag,
das Werk wird im Rahmen des Beethovenfests uraufgeführt und
dann von der Deutschen Welle ausgestrahlt. In diesem Jahr wurde
der türkische Komponist Özkan Manav ausgewählt. Außerdem
vergab das Beethovenfest Kompositionsaufträge an Manfred Trojahn,
Jürg Baur, Pascal Dusapin und Maricio Sotelo. ugon
Musikfeste, die nur einem einzigen toten Komponisten huldigen,
werden nicht dadurch lebendiger, wenn unduldsame Apologeten die
Reinheit des Programms bis zur Aufkündigung ihrer Teilnahme
einfordern. Bach und sonst nichts, Beethoven ausschließlich,
Mozart pur. Tiefere Erkenntnisse vom und bessere Einsichten in das
Schaffen eines Komponisten erge-
ben sich häufig erst aus dramatur-gisch sinnvollen Zusammenstellungen,
Querverbindungen zu anderen Komponisten oder zur Musik der Gegenwart.
So nimmt der italienische Komponist Luigi Nono bei seinem Streichquartett
„Fragmente – Stille. An Diotima” ausdrücklich
Bezug auf Beethovens a-Moll Streichquartett opus 132, und Nonos
Schüler Mauricio Sotelo wiederum verweist auf die Vorlagen
Beethoven und Nono, deren Quartette für die Konzeption seines
ersten Streichquartetts „Degli Eroici Furori” wichtige
Ausgangspositionen markieren, ebenso wie Giordano Brunos Schrift
„Von den heroischen Leidenschaften” aus dem Jahre 1595,
deren Gedanken das historische Bewusstsein nicht zuletzt Luigi Nonos
prägten. Sotelos Beethoven-Adaption erschöpft sich nicht
in der Übernahme von Vortragsbezeichnungen („...mit innigster
Empfindung”), vielmehr werden schon aus den Noten des Anfangs
bei Beethoven die „Klangstrukturen” abgeleitet und entwickelt.
Das geschieht nicht als „Zitat”, vielmehr handelt es
sich um ein eigenständiges Weiter-und Neukomponieren, das im
Verlauf des Werkes immer stärkere Stringenz gewinnt, in der
Expression und in der Variierung des Klangmaterials. Das Artemis
Quartett war für die Uraufführung ein engagierter Interpret.
Einen direkten Bezug auf Beethoven nimmt auch Manfred Trojahn in
den „Fünf italienischen Arietten”, für die
er eine Orchesterfassung erstellte. Trojahn drängt sich dabei
in keinem Augenblick vor Beethoven, vielmehr nimmt er sensibel den
italienisierenden Gestus der Vorlage auf, umschlingt ihn mit fein
komponierten instrumentalen Setzungen.
Der Beethoven-Bezug bleibt auch in den in Bonn uraufgeführten
„Occhi mie” auf Texte Michelangelos für Tenor und
Orchester erhalten: in der Besetzung des Orchesters, die der in
der „Eroica” entspricht. Trojahn vergewaltigt die Texte
nicht, lässt sie vielmehr in einem ruhigen, fast deklamatorischen
Tonfall vortragen, wie eine „Erzählung”, die dann
von der Musik in eigenständiger „Sprache” aufgenommen
wird.
Den Weg zu Beethoven über den Dichter Paul Celan zu nehmen,
erscheint auf den ersten Blick kompliziert. Wer aber erlebt hat,
wie zum Beispiel ein Michael Gielen die „Neunte” dirigiert
hat, mit Schönbergs „Überlebendem aus Warschau”
konfrontiert, der weiß, das Beethovens fast wütende Utopie
gar nicht fern von der dichterischen Härte Celans entfernt
ist. Jürg Baur hat für Bonn seinen 1967 geschriebenen
Liederzyklus „Mit wechselndem Schlüssel” auf sieben
Gedichte Celans für Orchester gesetzt: auch hier wieder der
Respekt vor dem Text, die Singstimme (der Bariton Christian Gerhaher)
führt ihn in „eigener Spur”, während das kammermusikalisch
behandelte große Orchester den inneren Bewegungen der Gedichte
in differenzierter Klanglichkeit nachspürt: Ein Werk von hohem
Ernst und von innen leuchtender Schönheit, die hier nichts
als die Wahrheit ist.
Pacal Dusapins Klavierkonzert „A quia” (mit Ian Pace
als Solisten, Christoph Eschenbach und dem Orchestre de Paris) ist
ein Stück agiler kompositorischer Beredtheit, eine kreiselnde,
springende musikalische „Konversation zwischen Orchester und
Solist, effektvoll, voller Überraschungen, sehr virtuos. Beethovens
Dialogisieren findet kaum statt, stattdessen „reden”
Klavier und Orchester oft munter und heftig einfach für sich
hin: Keiner scheint auf den anderen hören zu wollen.
Özkan Manavs im Auftrag der Deutschen Welle komponiertes Orchesterstück
„Portamento lento” fügt in ein wenig bedächtig
komponierte musikalische Gesten auch anatolische Volksmusik ein,
nicht als Zitat, sondern in idiomatischen Einfärbungen.
Vom Orchester des Staatlichen Konservatoriums Istanbul gespielt,
klingt es in einer CD-Einspielung farbig, sogar apart, manchmal
auch leicht monochrom im Tonfall. Immerhin eine interessante und
informative Begegnung, die nicht die letzte bleiben sollte.