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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 34
51. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Musik für Venedigs Markusdom gemeißelt
Die Junge Deutsche Philharmonie mit Werken von Haydn, Wagner,
Adams, Weill und Rihm
Joseph Haydns Orchestermusiker litten unter dem verlängerten
Aufenthalt auf Schloss Esterházy. Um seinem fürstlichen
Arbeitgeber die Abreise aus der Sommerresidenz ans Herz zu legen,
komponierte Haydn eine Sinfonie, in deren Finale die Musiker einer
nach dem anderen ihren Platz verlassen. Das taten in der Alter Oper
auf jeweils individuelle Weise nun auch die Musiker der Jungen Deutschen
Philharmonie, einschließlich des Dirigenten Markus Stenz,
und es wirkte bei aller Voraussehbarkeit ziemlich spontan.
Bei aller Komik der Situation liegt dahinter ein tiefer Ernst.
Zu vehement und zu unkonventionell kam in Stenz‘ klarer Interpretation
die in der seltenen Tonart fis-Moll stehende „Abschiedssinfonie“
daher, als dass man sie als bloßen Witz goutieren könnte:
Brüsk bricht das rasante Finale auf der Dominante ab und mündet
in den langsamen Epilog. In diesem Effekt gipfelt ein an Vorahnungen
reicher Gesamtverlauf, denn von Anfang an legen sich leidenschaftliche
Akzente über die vorwärtstreibende Dynamik; abrupt schließen
der erste und dritte Satz; unerwartet und beklemmend tritt plötzlich
der pulsierende zweite Satz auf der Stelle. Und wenn dann am Ende
ein Abgang dem nächsten folgt und der immer weiter ausgedünnte
Rest des Orchesters den musikalischen Faden noch tapfer weiterspinnt,
beginnt man sich vor der gähnenden Leere zu fürchten,
die unweigerlich eintritt, wenn die beiden letzten Geigen die Bühne
verlassen haben. Was der couragierte Haydn seinem Fürsten zeigte,
gilt auch heute in dem vom kulturellen Exodus bedrohten Frankfurt:
Die zerbrechliche Sache Musik wird von Menschen für Menschen
gemacht.
Gewaltige melodische Anläufe:
Blick aufs komplette Blech der Jungen Deutschen Philharmonie.
Foto: Charlotte Oswald
Wagners Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ imponierte
durch ruhige und sichere Klangentfaltung, wirkte aber auch von vornherein
auf Abschied gestimmt und ließ nur noch ganz dezent die gewaltig
drängende Sehnsucht hineintönen. Stimmig war jedoch die
Verklammerung zum Ende hin: Hier erklang das Ende von Tristan und
Isolde, der Liebestod. Auch die erste Zugabe, Kurt Weills zupackend
unheim- liche Ouvertüre zum „Silbersee“ passte.
Das im Februar 1933 uraufgeführte „Wintermärchen“
wurde zum Vermächtnis des Komponisten vor seiner Flucht ins
amerikanische Exil. Hintersinnig war auch die zweite Zugabe: John
Adam´s rasantes „Short Ride on a Fast Machine“
nicht als Abschied, sondern als Ankunft.
Eine Orchesterkomposition Wolfgang Rihms aus dem Jahr 1995 war
der Beitrag des Orchesters zum Komponistenportrait der Alten Oper.
„In-Schrift“ beginnt mit einem heftigen Orchesterschlag,
es folgt eine längere Passage flatternder und reibender Klanggeräusche
der dreifach besetzten Flöte, in die zweimal Röhrenglocken
krachend hineintönen. Erst danach melden sich mit vielen kurzen
Einwürfen die tiefen Streicher und die übrigen Holzbläser
zu Wort. Später erheben sich hinter ihnen gewaltige, melodische
Anläufe des tiefen Blechs; Schlagzeug und Pauke sind mit sechs
Spielern stark besetzt, Geigen und Bratschen fehlen ganz. „In-Schrift“,
das provoziert Assoziationen. Die kurzen und geräuschhaften
Impulse aus dem Orchester wirken, als ob jemand mit Hammer und Meißel
eine Inschrift in Stein meißelt; und die choralartigen Blechbläserpassagen
vermitteln den Anschein, als ob sich eine sinntragende Aussage herausschält.
Rihms Stück entstand für den Markusdom in Venedig; ein
sakraler Unterton schwingt in dieser sehr räumlich empfundenen
Musik mit; von fern klingt Olivier Messiaens gewaltige Freiluft-Musik
„Et expecto resurrectionem mortuorum“ heran.
„In-Schrift“ kann man aber auch verstehen als Anspielung
auf den Prozess des Komponierens, den Wolfgang Rihm immer wieder
als heikle Angelegenheit beschreibt. Wie erwächst mit Hilfe
eines gespitzten Bleistifts auf leerem Papier Sinn? Und wie weit
trägt dann eine Idee?
Der anwesende Komponist, der auf die Bühne geholt wurde, wirkte
sichtlich glücklich über die Aufführung.