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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 33
51. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Schreiten, Weiten, Streiten
Die Donaueschinger Musiktage stellen sich der Sinnfrage
Donaueschingen ist im Gespräch. Für manchen ist dies
ein Affront gegen die Institution. Es mögen die sein, die einst
die Ghettoisierung der Neuen Musik mit dem Hinweis auf die Zurückgebliebenheit
der Allgemeinheit beklagten, die sich aber ebenso in der Splendid
Isolation sonnten und wohl fühlten. Donaueschingen freilich
ist kein Schweizer Nummernkonto, das unter dem Mantel des (Ver-)Schweigens
lebt. Es sollte, es muss der Platz sein, wo neues Musikdenken umfassend
zur Debatte steht, wo Positionen errichtet und auch wieder umgestürzt
werden. Im Gespräch zu sein ist Lebenselixier für Tage
der Neuen Musik. Früher war man im Gespräch, weil sich
die Bastion wie eingekesselt mit ehernen Prinzipien gegen die Trägheit
des Bewusstseins zu verteidigen hatte. Heute ist vieles offener.
Diese neuen Bedingungen diktieren neue Denkansätze, neue Strukturen.
Die aber entstehen am besten in einer diskursiven Atmosphäre,
in der auch heilige Kühe zur Schlachtung freigegeben sind (und
die Kühe müssen sich beharrend wehren dürfen).
Väter und Töchter:
Szene aus der Uraufführung von George Lopez’
Musiktheater „Schatten vergessener Ahnen“ in
Donaueschingen. Foto: Charlotte Oswald
Wir, damit ist die Gemeinschaft gemeint, die radikal neues Denken
über musikalische Kommunikation als unabdingbar für ein
Fortbestehen musikalischer Kultur ansieht, dürfen, was Donaueschingen
betrifft, nicht jammern. Vieles hat sich getan seit dem Amtswechsel
von Josef Häusler zu Armin Köhler. Und vieles wurde zur
Tat gerade in der permanenten Auseinandersetzung mit kritischen
Positionen, die immer wieder auf Insuffizienzen der Gesamtstruktur,
der ästhetischen Disposition, der inhaltlichen Stoßrichtung
reagierten. Die Landschaft, gerade die diesjährigen Musiktage
stellten dies nachdrücklich unter Beweis, ist offener geworden,
der Horizont weiter.
Musiker, die vormals wohl kaum eine Chance gehabt hätten,
stellen sich selbstbewusst zur Debatte. Das Publikum, erfreulich
jung, drängt in bunter Abmischung – nicht aseptisch,
vergleichbar der Darmflora, ohne die jeder Organismus trotz Nahrung
verhungert – in die Veranstaltungen. Armin Köhler hat
zu dieser Situation gewichtig seinen Teil dazu beigetragen, erreicht
aber wurde sie dadurch, dass man kritische Akzente letztlich nicht
als Angriff gegen die Institution begriff, sondern als Nährboden,
als kreative Unruhe. Diese Unruhe, sei es eine aufbegehrende, eine
sich verweigernde, eine der Positionierung von Gegenmodellen, ist
es, die ein so singuläres Festival wie Donaueschingen am Leben
erhält. Es wäre ja ohnehin eine letztlich zum Scheitern
verurteilte Hybris des Abgehobenen, wenn man einer Gesellschaft
der Orientierungslosigkeit, des spielerischen Austauschs von Kräften,
der punktuellen Isolierung im massenhaft verordneten Entertainment
einen Hort der Reibungslosigkeit verordnen würde. Wo es gegenwärtig
lang geht, weiß niemand.
Wir können darüber weinen und mit den Tränen die
Nivellierung noch weiter bewässern, wir können aber auch
das verdiktfreie Gewusel aus Einpassung und Aufbegehren zu energetischer
Potenz bündeln. Zweiteres muss der Weg sein für ein Festival,
das von der Geschichte den Auftrag maßgeblicher Positionsbestimmung
mit auf den Weg bekam.
Armin Köhler hat in einem programmatischen Aufsatz drei Punkte
einer Standortbestimmung genannt. Sie sind abgezogen von alter Definition
des Donaueschinger Treffens, nicht um sie zu retten, sondern um
sie mit den neuen Bedingungen zu konfrontieren: das Festival der
Genie-Autoren, das Spezial(isten)festival, das Arbeitsfestival.
Manches wird sich von selbst erledigen beziehungsweise erweitern.
Es wird zum Beispiel spannende musikalische Aktionen geben, die
vom Begriff des Meisterwerks nicht mehr tangiert sind, die Spezialisten
werden sich sortieren und zwangsläufig Alleinvertretungsansprüche
abgeben. Eine weitere Aufgabe aber wird zuwachsen: die der sinnstiftenden
Verknüpfung von Kräften. Diskussion, Streit, Unversöhnliches
und überraschende Kongruenzen gehören vital dazu.
Solange in Donaueschingen Positionen aufeinander prallen, solange
Energien der Begeisterung und der entschiedenen Ablehnung aufeinander
treffen und die resultierenden Vektoren Richtungen in Zukünftiges
angeben, solange wird Donaueschingen unverzichtbar bleiben.
Streiten wir also furchtlos weiter: rücksichtslos im Detail,
gemeinsam getragen von der Utopie einer sich fortwährend erneuernden
musikalischen Kommunikation.