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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 35
51. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Don Giovanni oder Die Rückkehr nach Spanien
Mozarts Oper bei der Ruhr-Triennale, inszeniert von Klaus-Michael
Grüber und Eduard Arroyo
Gerard Mortier kommt von Mozarts „Don Giovanni“ nicht
los. In seiner Salzburger Zeit als Festspielintendant verkündete
er die „Jahrhundert-Aufführung“: Patrice Chéreaus
ingeniöse Inszenierung in den Bühnenbildern Riccardo Peduzzis
löste das Versprechen szenisch ein, doch Daniel Barenboim mit
den Schön-Spielern von der Wiener Philharmonie verhinderten
den avisierten Höhenflug: Der zweite Anlauf, ebenfalls noch
in Salzburg, mit Lorin Maazel und Luca Ronconi, erbrachte eine nicht
uninteressante Darstellung, aber beileibe nicht einmal einen „Jahrzehnt-Giovanni“:
Solides Operntheater. Dabei hatte Mortier einst in seinen Brüsseler
Jahren mit den Herrmanns einen fast grandiosen, auf jeden Fall hochinteressanten
„Don Giovanni“ auf die Bühne des Théàtre
de la Monnaie gebracht.
Jetzt also für den ersten kleineren Durchlauf der neuen Ruhr-Triennale
der nächste „Don Giovanni“. Nach den oben schon
genannten Künstlern verpflichete Mortier diesmal ein seit Jahrzehnten
aufeinander eingespieltes „Team“ für die neue Inszenierung
im Festspielhaus Recklinghausen: den Regisseur Klaus Michael Grüber
und den Bühnenbildner Eduardo Arroyo. Wer Grübers Arbeitsweisen
kennt, weiß, dass dieser Regisseur sich ungern in die Reihe
derjenigen einfügt, die sich bemüßigt fühlen,
die Rezeptionsgeschichte eines Werkes um eine weitere mehr oder
minder originelle „Interpretation“ zu bereichern. Grüber
und in diesem Fall auch Bühnenbildner Arroyo halten sich an
einige Grundregeln: Auch „Don Giovanni“ ist in erster
Linie ein Theaterstück, wenn auch mit grandioser Musik von
Mozart. Also spielt die Handlung auf dem Theater. Warum Illusionen
erwecken? Etwa mit einem illusionistischen Bühneraum, mit szenischem
Realismus? Grüber und Arroyo präsentieren die Versatzstücke,
aus denen sich Theater zusammensetzt: Eine rötliche Ziegelmauer
mit Löwenkopf, eine blau-weiße Kachel im surrealen Überformat,
ebenso riesige Kerzenhalter, einen unendlich langen Herrschaftstisch
für das finale Mahl mit dem Komtur, eine graue breite Schiebewand,
auf der in der Friedhofsszene illuminierte Totenköpfe thronen.
In dieser Ambience entfaltet sich das Dramma giocoso in oft surrealen,
unwirklichen, verrätselten Bildern und Aktionen. Unschwer ist
zu erkennen, dass dieser „Don Giovanni“ nach Spanien,
in das Land seines poetischen Ursprungs zurückgekehrt ist.
Spielen Don Giovanni und Leporello nicht auch gleich Don Quichotte
und Sancho Pansa mit? Erinnert die bäuerliche Hochzeitsgesellschaft
in ihrer grellen Kostümfarbigkeit nicht an Genreszenen von
Goya, an das wunderbar lebendige Bild vom „Blindekuhspiel“?
Zitate über Zitate.
Wer Grüber kennt, weiß auch, dass er kein purer Aktionist
ist: Er lässt die Figuren in Arie und Duett und Ensemble auch
immer wieder ruhig verharren: Die Gestik folgt aus der Gestik der
Musik, der vokalen Linie. Man muss nicht jede gesungene Note mit
einem Purzelbaum garnieren. Und auch der finale Auftritt des Komturs
bedarf nicht des szenischen Brimboriums: die Friedhofsgestalt in
einer weißen Mönchskutte wird einfach hereingeschoben
und bleibt ruhig stehen: wie im „einfachen“ Theater.
Grüber wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch noch
etwas hinzuerfinden würde: Eine stumme Figur mit langem Mantel
und Hut geistert geheimnisvoll durch die Szenen, beobachtet, macht
Notizen, fotografiert sogar einmal mit „Blitz“: den
getöteten Komtur. In Spanien hatten immer schon die Mauern
Ohren und Augen. Die Figur mag als Chiffre dafürt stehen, sie
erinnert aber auch an Hitchcock-Filme, an die Schnüffelnase
Polonius – Grübers Affinität zu Shakespeare scheint
in dieser Aufführung auch durch: wirkt Don Ottavio nicht wie
ein Bruder Hamlets: Der große Zauderer, der im ersten Finale
die überdimensionierte Pistole zieht und nicht abdrückt?
Und erscheint nicht Giovanni selbst mit Zügen des Dänenprinzen:
Wenn er am Ende an dem langen Tisch vor den eben übergroßen
Weingläsern auf dem hohen Thronstuhl hockt: Ein ungezogener
großer Junge, ein rotzfrecher Lümmel, der die ganze Umwelt
mit ihren seltsamen Ritualen von Liebe, Tod, Treue und Ehre zum
Narren hält? Grübers Darstellung verweist gleichsam spielerisch
und wie unbeabsichtigt auch auf die geschichtliche Bedeutung der
Don-Giovanni-Figur: Ein Immoralist sprengt eine überlebte Gesellschaftsordnung,
das Ancien Régime, in die Luft. Dass er damit sich selbst
liquidiert, weil er doch selbst dieser Sozietät angehört,
interessiert ihn nicht: Ein Nihilist will nur noch das Ende und
dabei seinen Spaß haben, wozu vor allem die erotischen Abenteuer
und die Erniedrigung der Frauen gehören.
Die Aufführung nimmt sich auch musikalisch Zeit: Hans Zender
setzt sich souverän auf das richtige Andante, in dem die Handlung
unaufhörlich und zwingend voranschreitet. Zenders Don Giovanni
hetzt nicht, auch nicht in der sogenannten „Champagner-Arie“
– wer vokale Linien präzise modelliert, wirkt ohnehin
stets rascher: Eine Frage der Rezeptionsfähigkeit des Zuhörers.
Zum durchbrochenen Theatergestus der Inszenierung gehört auch
das gesprochene Rezitativ, das Puristen bedenklich finden mögen:
Hier ergibt das einen theatralischen Sinn.
Stéphane Degout, ein sehr junger, agiler Verführer,
mehr Spieler als erotischer Dämon, singt die Partie mit plastischer
Linearität, sehr beweglich und kantabel, in der Stimmklangfarbe
passend zur Figur eher hell timbriert. José Fardilha kehrt
neben ihm in zeitlosem Arbeitslook mit Pudelmütze wahrhaft
den Sancho Pansa heraus: ein prächtiger Schauspieler, der zudem
noch markant und kantabel singt. Die weiteren Besetzungen hinterließen
durchweg vorzügliche Eindrücke: ein „komponiertes
Ensemble“ ohne Schwachstellen.