[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 37
51. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Musik im Dialog mit Bewegungen
Klangspuren Schwaz 2002 – ein Festival hinterlässt
Eindrücke
Wohl kaum ein schöneres Umfeld für die Begegnung zwischen
europäischer und japanischer Musik könnte man sich vorstellen
als die Klangspuren in Schwaz, die sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig
der Begegnung zwischen Japan und Tirol widmeten. Durch die zeitliche
Ausdehnung auf nahezu zwei Wochen und die räumliche Ausdehnung
auf Veranstaltungsorte in der ganzen Tiroler Region gewinnen die
einzelnen Begegnungen mit alter und neuer japanischer und europäischer
Musik eine andere Qualität als auf konzentrierten dichtgedrängten
Wochenendveranstaltungen. Die Anfahrten im (kostenlosen!) Shuttlebus
nach Rotholz, Innsbruck oder Jenbach vermitteln das Gefühl,
dass man sich gemeinsam wirklich auf Reisen zu verschiedenen musikalischen
Orten begibt, die es zu entdecken gilt.
Wenn man dann als Besucher einzelne Konzertblöcke herausgreift
und sich auf die unterschiedlichen Hörabenteuer einlässt,
wird vielleicht erst besonders deutlich, wie sorgfältig der
Gründer und künstlerische Leiter Thomas Larcher (seit
2 Jahren nun zusammen mit Peter Paul Kainrath) das Programmnetz
knüpft und die passenden Veranstaltungsorte dazu sucht.
Der Hörsaal des Institutes für Sozialwissenschaften
in Innsbruck war mit seiner bestechend klar anmutenden modernen
Architektonik der ideale Raum für die in wunderschöne
Gewänder gekleideten Gagaku-Musiker des Ensembles Reigakusha.
Selten genug hat man in Europa Gelegenheit, ein zwanzigköpfiges
Ensemble zu hören, dass sich darauf spezialisiert hat, alte
japanische Musik der Vergessenheit zu entreißen. Spannend
für Japanische-Musik-Unkundige, dass man dann doch Unterschiede
in den kompositorischen „Konzepten“ und Klanggestaltungen
hört, wenn die luziden Kompositionen unterschiedlichen Jahrhunderten
angehören. Vor diesem Hintergrund hört man dann auch Werke
von Takemitsu oder Hosokawas poetische Klangflächen als staunenswert
biegsam-stabil gearbeitete Brücken zwischen östlicher
und westlicher Tradition.
Der Albtraum eines jeden Veranstalters muss es sein, wenn ausgerechnet
die als Höhepunkt des Festivals geplante Uraufführung
scheitert. George Lopez geplante Zusammenarbeit mit der Aktionskünstlerin
Marina Abramovic wurde zur harten Geduldprobe für das Publikum.
Lopez’ Versuch, in dem Werk „Hin zur Flamme!“
Rhythmen und Farben von Licht und Musik in eine neue Art musikalischen
Dialoges zu setzen und eine synästhetische Wahrnehmungsebene
zu öffnen, wurde so banal umgesetzt, dass das Lichtgeflimmer
teilweise schlicht an Discobeleuchtung erinnerte und das optische
Ergebnis in keinem Verhältnis zum Aufwand der gigantischen
Lichtapparatur stand. Marina Abramovics fragmentarische Performance
mit bunt kostümierten Phantasiefiguren erinnerte da mehr an
lustige Zirkusspielunterhaltung, denn an optische Ergänzung
des zersplittert-spätromantisch anmutenden Klangbildes . In
diesem Kontext war die sorgfältige musikalische Ausgestaltung
der Partitur durch die Basel Sinfonietta unter der Leitung von Emilio
Pomarico der einzige wirkliche „Lichtblick“ des Abends.
Werkstattgespräch als
umstrittene Performance: Marina Abramovic (mit Schlange)
inszeniert George Lopez’ Werkeinführung. Foto:
Klangspuren
Im zweiten Teil dann ließ Marina Abramovic unter dem Titel
„The composer“ den Komponisten sein eigenes Werk „Hin
zur Flamme!“ erläutern und vorsingen, mit der Begründung,
sie wäre von dem Vortrag, den er ihr im Vorfeld über sein
Werk gehalten hatte, so fasziniert gewesen, dass sie daraus eine
Performance machen wollte. Ein klassisches Werkstattgespräch
also, zu dem Abramovic die bedauernswerten Mitglieder des Orchesters
eine Stunde lang unbeweglich in Auftaktstellung verharren ließ,
während sie selbst sich nur stumm hinstellte, mit einer lebendigen
Schlange um den Oberkörper drapiert. So war es nicht verwunderlich,
dass viele der Konzertbesucher irgendwann im Laufe dieses zweiten
Teiles enttäuscht den überfüllten Saal verließen;
es drängte sich das Gefühl auf, dass Abramovic mangels
Einfallsreichtum hier mit einer Mogelpackung gearbeitet hat.
Zu einem der eigentlichen Höhepunkte wurde dagegen die Zusammenarbeit
des japanischen Tänzers Saburo Teshigawara mit dem österreichischen
Komponisten Wolfgang Mitterer. Unter dem Titel „Oxygen“
enstand eine Performance, bei der die Musik von Xenakis und Mitterer
sich im Dialog mit Saburo Teshigawaras kunstvoll ausgearbeiteten
Bewegungen zu einem Energiefeld höchster Intensität verwoben.
Mit geradezu neidischem Blick auf die Klangspuren kann man sich
für jede Region nur so viele engagierte Sponsoren – wie
beispielsweise Swarovski – wünschen, die mit geduldigem
Vertrauen auf das künstlerische Gespür des Festivalleiters
die anspruchsvollsten Grenzgänge unterstützend begleiten,
ohne programmatische Verbiegungen in kommerzielle Regionen einzufordern.
Wenn man sieht, dass die meisten Konzerte der Klangspuren ausverkauft
sind und das Publikum sich nur zum geringsten Teil aus den „üblichen
Verdächtigen“ des Insider-Musikbetriebes zusammensetzt,
umso mehr aber aus interessierten Einwohnern der Region, entsteht
der Eindruck, dass die „Klangspuren“ ihren Namen tragen,
weil das Festival wirklich Spuren hinterlässt.