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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 4
51. Jahrgang | November
Cluster
Geldschneider
Ein sehr bekannter und auch sehr guter Dirigent übernimmt
die Leitung eines sehr guten deutschen Rundfunk-Sinfonieorchesters.
Dann kommt ein anderes, noch viel bekannteres, ja berühmtes
sinfonisches Orchester in Holland und trägt unserem Dirigenten
ebenfalls die Chefposition an. Was tun? Selbstverständlich
beides nehmen: Was man hat, hat man. Auch finanziell: doppelt verdient
sichert in Zeiten hoher Steuerabgaben wenigstens ein ordentliches
Gehalt. Ist das verwerflich? Etwa so wie eine zerstückelte
Parteienspende? Man kann das so sehen, muss es aber nicht so sehen:
Schließlich arbeitet der Dirigent ja auch das doppelte Quantum.
Würde er nur ein Orchester leiten und statt des anderen überall
in der Welt gastieren, würde er noch viel mehr Geld einnehmen.
Also! Was soll die Aufregung? Natürlich entsteht bei solchen
Postenkumulierungen leicht Neid. Dieser versteckt sich gern hinter
moralisierenden Bedenken: Ist es in Zeiten öffentlicher und
auch privater Geldnot noch moralisch vertretbar, derart raffgierig
zu erscheinen? Nun ist Mariss Jansons – um ihn handelt es
sich im vorliegenden Fall – bestimmt kein Raffke-Typ. Eher
mag ihn die künstlerische Perspektive gereizt haben: Hier das
„moderne” Sinfonieorchester einer Rundfunkanstalt, des
Bayerischen Rundfunks. Dort das altehrwürdige Concertgebouw
Orkest in Amsterdam mit seinem wunderbaren, dunkel getönten
Klang, das unter Riccardo Chaillys langjähriger Führung
allerdings auch zu einem für die Moderne aufgeschlossenen Ensemble
geworden ist. Die Frage stellt sich dabei anders: Ist es für
das Musikleben insgesamt vorteilhaft, wenn zwei renommierte Orchester
mit durchaus unterschiedlichen Profilen sich in einer Dirigentenpersönlichkeit
gleichsam verschmelzen?Man darf bei dieser Frage aber nicht unterschlagen,
dass beiden Orchestern ein hohes Selbstbewusstsein eigen ist.
Das wird sich von keinem Dirigenten der Welt unterbuttern lassen.
Außerdem gibt es in der Musikszene ärgere Geldschneidereien
als im vorliegenden Fall, doch auch hierbei sollte man – wie
sagen doch gern die Wirtschaftsexperten – die Regulierung
den Kräften des Marktes überlassen. Die großen Konzertveranstalter
beginnen allmählich, die Not-Bremse zu ziehen. Wer zu unverschämt
auftritt, wird künftig nicht mehr eingeladen und hieße
er (oder sie)... X oder Ypsilon. Andererseits garantieren teure
Stars meist ausverkaufte Säle bei hohen Eintrittspreisen. Die
Stars finanzieren sich gleichermaßen selbst und von allein,
und der Veranstalter hat danach oft mehr Geld in seinen Kasse als
beim Vertrieb von Billigangeboten.
Die Wege des Marktes sind auch in der Kunst verschlungen und schwer
überschaubar.