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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 49
51. Jahrgang | November
Dossier: Musikbuch / Noten
Der Musik die Würde zurückgeben
Aphorismen, Sottisen, Attacken: Sergiu Celibidache im Zitat
Stefan Piendl, Thomas Otto (Hg.): Stenographische Umarmung.
Sergiu Celibidache beim Wort genommen. 157 Seiten. ConBrio 1155,
Regensburg 2002,14,80 Euro.
„Wenn
Fachamateure sagen, dass das Tempo richtig war, so sprechen sie
von einer von ihnen in die physikalische Welt projizierte, unprojizierbaren
Flut trockenen Wassers, das den Bürgersteig des Schwachsinns
entlang aufwärts fließt.“ – Wer so einen
Satz, selbst wenn er ihn sich als Replik auf was komme und wolle
zurechtgelegt hat, gnadenlos trocken über den Kehlkopf auf
die Lippen bringt, kann nicht ganz sprachlos sein. Sergiu Celibidache
war nie ganz sprachlos, auch wenn ihn Ereignisse des kulturellen
Lebens immer wieder dazu drängten. Vor zehn Jahren ist er gestorben
und konnte sich nicht mehr wehren gegen die CD-Veröffentlichungen
der Mitschnitte seiner Aufführungen. Sicher hat der Listige
solches vorausgesehen, als Schwäche der Menschheit gegenüber
den ehern festgelegten Prinzipien. Die hießen: Musik ereignet
sich, sie entsteht und vergeht in einem Raum, ist an ihn und mit
ihm an die Zeit des Klingens gebunden. Jede Konserve davon hinterlässt
schalen Geschmack, ist Betrug an der Musik und am Menschen.
Widersprüche allenthalben. Kritiker waren für Celibidache
„Nullitäten“ oder Analphabeten der schlimmen Sorte,
die schreiben und lesen können. Gleichwohl lag ihm die Hälfte
der Kritik zu Füßen, während die andere nichts lieber
tat, als ihm auf dieselben zu treten. Mit verbalen Gesten verscheuchte
er sie wie lästige Fliegen. Widersprüchlich auch dies:
Celibidache ist einer der wenigen Musiker (den Begriff Interpret
hasste er wie ein Krebsgeschwür), deren Bedeutung nicht am
hinterlassenen Werk zu messen ist (hier beißt sich ohnehin
die Katze in den Schwanz, denn Celi leugnete, dass man Aufführungen
hinterlassen kann). Was Celibidache den Menschen zu geben versuchte,
war ein Begriff davon, was Musik überhaupt sein kann. Mit dem
Ingrimm der Allesverachtung verteidigte er ihre Würde, ihre
flüchtige Entität, die nur ein klebriges Bewusstsein zu
archivieren und zu verwalten sucht.
Viel von diesem Ingrimm ist in dem kleinen Buch festgehalten. Piendl
und Otto haben aus Interviews mit Celibidache markante und markige
Zitate gesucht und es nimmt nicht wunder, dass sie in reichem Maße
fündig wurden. Die Zitate wurden zu einem lockeren Strauß
gebunden, nach thematischen Umfeldern wie „Celi über
Kollegen, Celi über Komponisten , Celi über die Orchester“
et cetera (insgesamt 17 Themenbereiche) zu einem Bukett scherz-
wie schmerzhafter Äußerungen gebunden. Celis Gegner werden
weiterhin sagen: alles ist falsch, seine Parteigänger hingegen:
alles trifft den Punkt. Celi, der Fischprediger wie der heilige
Antonius (aber Mahler mochte er ja auch nicht). Macht nichts, vielleicht
kann man einfach immer wieder in dem Bündel der spitzen Anmerkungen
herumstöbern. Um sich über den Wortwitz zu freuen oder,
weit besser, um mitzukriegen, dass hier ein besessen Begeisterter
von Musik spricht. Denn unser Musikleben braucht nichts mehr, als
dem klingenden Ereignis seine Würde zurückzugeben. Viele
der losen Anmerkungen Celibidaches fordern tiefgründig dazu
auf.