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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 10
51. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Musikunterricht Voraussetzung für Hochkultur
Eine Tagung in Leipzig versucht das Desinteresse Jugendlicher
zu ergründen
Nicht nur die Musentempel der Stadt Leipzig haben mit dem hinlänglich
bekannten Problem der Überalterung ihres Publikums zu kämpfen.
Das hat nicht ausschließlich demographische Gründe. Auch
die Kluft zwischen Jugendkultur und sogenannter etablierter Kultur
scheint unüberwindbar. Hier Brücken zu bauen setzte sich
die Tagung „Jugendkultur : kontrapunkt : e-kultur“ zum
Ziel, die im Oktober in Leipzig stattfand. In Zusammenarbeit mit
der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. lud die Stadt Vertreter
von kommunalen Kulturverwaltungen, von Kulturbetrieben und Veranstaltern
aber auch Schüler und Studenten, als Vertreter der „Szene“,
in das Technologiezentrum für Jugendliche „GaraGe“
im Leipziger Industriegebiet Plagwitz zur Diskussion ein. Auf der
Teilnehmerliste waren zirka 130 Namen zu lesen, etwa ein Viertel
von ihnen waren der Kulturpolitik zuzuordnen. Hauptsächlich
Kulturpolitiker waren in der Begrüßung durch den Präsidenten
der Kulturpolitischen Gesellschaft, Oliver Scheytt, angesprochen.
Er zitierte folgende Worte von Johannes Rau zur Kulturpolitik: „Wir
brauchen einen Zugang zum Erbe, wir brauchen einen Zugang zum Neuen,
und wir brauchen einen Zugang zum Fremden.“ Fallbeispiele,
wie einerseits die etablierten Kulturorganisatoren Zugang zum Neuen
und Fremden finden können und wie sich andererseits die „desinteressierte“
Jugend dem Erbe zuzuwenden vermag, wurden auf der Tagung in vielfältiger
Weise erläutert.
Doch zuvor mussten die Begriffe e-Kultur und Jugendkultur geklärt
werden. Steht das „e“ nun für „erwachsen“,
„ernst“ oder „etabliert“? Jeder Tagungsteilnehmer
sollte dies für sich selbst interpretieren. Zwei Fachleute
halfen ihnen dabei: der Kulturwissenschaftler Dieter Rink und der
Sozialwissenschaftler Roland Roth zeigten in ihren Vorträgen
interessante Erkenntnisse und erläuterten Statistiken. Laut
Rink existiert die Jugendkultur seit den 60er-Jahren und seitdem
wuchs sie stetig an. Nach dem Ende der Hippiebewegung spaltete sich
das Interesse der Jugendlichen in die vielfältigsten Formen
auf: Punk, Hardcore, HipHop, Rap, Techno, Metal, Wave, Gothic. Die
Jugendkulturen haben eine Art Übergangsfunktion ins Erwachsenenleben
übernommen, sie sind kreativ und notwendig, und sie können
die junge Generation durchaus bis zum 40. Lebensjahr begleiten.
Dann sollte der Übergang zur Hochkultur erfolgen. Sie wiederum
ist zur Neuformation herausgefordert, zumal sie von öffentlichen
Trägern ermöglicht wird. Denn die Menschen um das 40.
Lebensjahr werden künftig mehr und mehr von der Jugendkultur
geprägt.
Roland Roth stellt ein zunehmendes Desinteresse Jugendlicher an
Politik fest. Jugendkulturen verfolgen im Allgemeinen keine Weltanschauung.
Vielmehr entwickeln Jugendliche, die Roth als Egopraktiker und Pragmatiker
bezeichnet, ein ausgeprägtes von Medien gesteuertes Konsumdenken.
Das Verhältnis zur Wirtschaft ist bei jungen Menschen ausgeprägter
als das zur Politik. Die Ursache hierfür sieht Roth in einem
adäquaten Verhalten der Jugendlichen zum Desinteresse der Politik
an ihnen.
Die Hochkultur mit ihren etablierten Häusern trifft also auf
ein schlecht vorbereitetes Feld voller Vorurteile und Schwellenängste.
Mit verschiedensten Projekten versuchen die Opern- und Konzerthäuser,
Jugendliche für die klassische Musik zu gewinnen. Auf der Leipziger
Tagung wurden folgende Projekte vorgestellt:
„klassiciscool.de“ der Deutschen Oper Berlin setzt
auf enge Zusammenarbeit mit 350 Berliner Schulen.
Die Staatsoper Wien schwört auf die preiswerten Stehplätze
und setzt dem „Konkurrent Jugendkultur“ ein Zelt für
Kinder auf der Dachterrasse der Staatsoper entgegen.
Die Leipziger Oper kann hingegen mit ihrem kleinen Etat nur
kleine Schritte machen: integrative Projekte oder das „Schwarze
Theater“.
Die Helikon Oper Moskau hat mit der Auslastung durch Jugendliche
überhaupt keine Probleme, trotz des Preises von 50 Dollar(!)
pro Karte. Die kleine Moskauer Oper, die erst seit der politischen
Wende existiert, partizipiert noch vom Bonus gesellschaftskritischer
Aufführungen, was nur in einer ehemaligen sozialistischen
Diktatur funktioniert.
In der Bremer Glocke, in der zehn Jahre lang überhaupt
keine Jugendkonzerte stattfanden, werden Kinder jetzt erst einmal
für den Ablauf eines Konzertbetriebes interessiert, indem
eine Art Rollenverteilung unternommen wird.
Die Stuttgarter Oper müsste auch auf dem Gebiet der Pädagogik
zum „Opernhaus des Jahres“ gekürt werden. Hier
ist es gelungen, auf den Lehrplan Musik Einfluss zu nehmen, indem
ein Arbeitskreis mit Musiklehrern gegründet wurde. Lehrer
werden durch Fortbildung so zu Multiplikatoren.
Die Berliner Philharmonie hat zusammen mit Simon Rattle gleich
ein Jugendprojekt aus Großbritannien importiert. Zukunft@BPhil
setzt auf Bildung und kompensiert Versäumnisse des schulischen
Musikunterrichtes, indem Kinder zum Komponieren animiert werden.
Im Engagement der Opern- und Konzerthäuser könnte aber
auch eine Gefahr liegen. Wird so der Politik nicht die Verantwortung
abgenommen, Jugendliche musisch zu bilden? Und genau hier sollte
die Tagung, die fortgesetzt werden soll, ausgebaut werden. Bildungspolitiker,
wie Verantwortliche aus Kultusministerien, kompetente Vertreter
aus Regionalschulämtern und Musiklehrer dürfen künftig
nicht fehlen.
Denn Kunst braucht Kompetenz und Vorbildung. Sie kann ein jahrelang
„gepflegtes“ Defizit in der schulischen Bildung, explizit
im Musikunterrichtes, nicht ausgleichen.
Barbara Lieberwirth
Die
Kulturpolitische Gesellschaft e.V. wird einen Tagungsbericht veröffentlichen