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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 8
51. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Die Kunst der Verführung walten lassen
Das Konzerthaus als öffentlicher Raum · Von Michael
Kaufmann
Der zweite Beitrag der nmz-Folge rund um das neue Konzerthaus Essen
beschäftigt sich mit der Rolle eines Konzerthauses im gesellschaftlichen
Umfeld. Michael Kaufmann ist Intendant des Konzerthauses, das sich
zur Zeit im Bau befindet und im Juni 2004 eröffnet wird. In
der Themendiskussion zwischen ihm und der nmz spielte das Thema
„Konzerthaus als öffentlicher Raum“ eine wichtige
Rolle.
K unst im öffentlichen Raum. Kultur im öffentlichen Raum.
Musik und Ausstellungen im öffentlichen Raum. Ein Konzerthaus,
eine Philharmonie als öffentlicher Raum? Ich bemühe zwei
der bedeutenden Suchmaschinen im Internet und stelle die Suchanfrage:
„Konzerthaus als/und/im öffentlichen Raum“ und
bekomme die Antwort, dass es auf diese Anfrage leider keine Antwort
gibt. Macht nichts, denke ich, und versuche die gleiche Kombination
mit dem Begriff „Philharmonie“. Das müsste den
Durchbruch bringen und wäre mir auch sympathischer, weil in
Essen ganz bewusst eine Philharmonie, ein Ort der Freunde und der
Übereinstimmung (so könnten die Griechen das Wort gemeint
haben), entstehen soll. Aber auch da suche ich vergeblich und bin
wohl auf ein Feld geraten, das bislang keine Neugier bei den Menschen
hervorgerufen hat.
Auch wenn die allgemeine Beschäftigung mit diesem Thema bisher
offenbar keine große Rolle spielt, so ist nicht von der Hand
zu weisen, dass Philharmonien und Konzerthäuser ganz eindeutig
öffentliche Räume sind. Sind sie vergessen worden, weil
die Schließzeiten die Öffnungszeiten überbieten?
Sind sie nicht berücksichtigt, weil gemessen an den anderen
Aktivitäten in einer Stadt die „philharmonischen“
einen zu geringen Anteil einnehmen? Sind sie übergangen, weil
in diesen Häusern nur Minderheiten einer Stadt oder Region
bedient werden?
Der Mangel an Auseinandersetzung könnte ein Spiegel eines
gestörten Selbstbewusstseins vieler Kulturmanager sein. Die
„Internetlosigkeit“ des Themas zeigt, dass wir Konzerthaus-
und Philharmonie-Menschen nicht wirklich in die richtige Richtung
diskutiert oder diese Diskussion nicht mit dem richtigen Nachdruck
geführt haben.
Damit ist nicht gemeint, dass innerhalb der kommunalen Diskussionen
die jeweiligen Intendanten und Institut-Chefs mit falscher Bescheidenheit
über die Höhe ihrer jeweiligen Subventionen oder die problematische
Konkurenz-Situation in der Freizeit-Branche diskutieren würden.
Damit ist vielmehr gemeint, dass Politiker, Interessensvertreter
und Kritiker den Kulturschaffenden gegenüber häufig unwidersprochen
ins Feld führen, dass andere Freizeitaktivitäten bei häufig
weniger öffentlichem Invest eine bessere „Rendite“,
also höhere Akzeptanz, nach sich ziehen würden (und folglich
wahlentscheidend sein könnten) – und dieser eindeutig
falschen Behauptung ist zu selten widersprochen worden. Es sei daran
erinnert, dass ein Vergleich des ehemaligen Intendanten der Kölner
Philharmonie, Franz Xaver Ohnesorg, min- destens Verwunderung, wenn
nicht Kopfschütteln verursacht hat: Dieser stellte klar, dass
die Kölner Philharmonie jährlich mehr Besucher hat, als
der Fußballverein 1. FC Köln – und das zu Zeiten,
zu denen die Kölner Kicker noch in der 1. Bundesliga spielten!
Über viele Jahre konnte das renommierte Kölner Haus etwa
600.000 Menschen bei den Konzerten zählen und selbst ein Vergleich
mit dem wesentlich erfolgreicheren Fussballverein Bayer Leverkusen
zeigt, dass dort bei den jährlichen Bundesliga-Spielen nicht
mehr als 430.000 Menschen gewesen sein können, weil das Stadion
mehr Menschen nicht fassen kann.
Was meint die Frage des „öffentlichen Raums“
wirklich? Steht nicht dahinter die latente Behauptung, Konzerthäuser,
Philharmonien, Opern, Schauspielhäuser seien elitär und
damit nur einem kleinen Kreis der Bevölkerung wirklich offen.
Steht dahinter nicht auch die verborgene und offen vorgetragene
Behauptung, diese Institutionen seien sowohl im Bau als auch in
der Betreibung und Bespielung zu teuer und steht nicht auch der
Vorwurf dahinter, die Nutzungszeiten seien in Anbetracht der Kosten
zu gering?
Kulturelle Träume
Zuallererst sind Philharmonien und Konzerthäuser Funktionsbauten.
Sie werden gebaut, damit darin Veranstaltungen stattfinden so wie
Krankenhäuser gebaut werden, damit Menschen medizinisch versorgt
werden. Bei uns gibt es keine Wartehallen sondern Foyers und die
Beantragung einer „Carte d’Identité“ findet
in einem Verkaufsgespräch statt, in dem es darum geht, bei
welcher Musik Menschen ihre kulturellen Wünsche, vielleicht
sogar ihre Träume wiederfinden.
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen – sicher
ist, und das muss deutlicher werden, dass sich in einer Philharmonie
der gesamte Kosmos möglicher Gefühle zu den fundamentalen
Themen der menschlichen Existenz wiederfindet. Weil dies so ist,
kann auch dieser Artikel nur schlaglichtartig verschiedene Facetten
der Fragestellung anreißen.
Die Funktions-Bestimmung aller Kulturhäuser halte ich für
elementar. Musik (darstellende und bildende Kunst nicht minder)
leistet einen substanziellen Beitrag zur Grundversorgung der Menschen
in einer Stadt oder einer Region oder einem Land. Die unsägliche
Trennung in Pflichtausgaben und freiwillige Leistungen einer Kommune
war immer falsch und wird es immer bleiben. Kunst hat soziale Aufgaben,
Kunst hält Menschen am Leben, Kunst ist einer der wesentlichen
Motoren zur Weiterentwicklung der Gesellschaft und Kunst ist eines
der bedeutendsten Regulative dessen, wie Leben gestaltet wird –
dies gilt für die große Politik genauso wie für
Herrn Müller um die Ecke. Und selbstverständlich benötigt
Musik den entsprechenden Raum.
Insofern ist zu reklamieren, dass Konzerthäuser und Philharmonien
öffentliche Häuser sein müssen – und dieser
Anspruch muss sich auch im Programm der Häuser widerspiegeln.
Unser Auftrag ist es, neben einem breiten Bildungsauftrag dafür
zu sorgen, dass Menschen glücklicher, „reicher“,
beseelter, nachdenklicher, vielleicht sogar aufrechter aus den Veranstaltungen
gehen, als sie gekommen sind. Im Gegensatz zum Schauspiel scheint
mir die Musik die versöhnenden Elemente deutlicher in sich
zu tragen und diese gilt es auch zu wecken. Das meint freilich nicht
ein mit den Erwartungen des Publikums gleichgeschaltetes Veranstaltungsprofil.
Das meint vielmehr, die Kunst der Verführung walten zu lassen
und auch den Menschen Musik nahe zu bringen, die sie zuvor nicht
oder nicht so wahrgenommen haben.
Philharmonie oder Konzerthaus als öffentlicher Raum, dafür
gibt es kein Patentrezept. Was im neuen Konzerthaus in Dortmund
mit großem Engagement und hoffentlich mit ebenso großem
Erfolg praktiziert wird – die ganztätige Öffnung
des an einer vitalen Stelle der Stadt gebauten Hauses mit Restaurant,
CD- und Ticketshop, die moderne und stadt-offene Architektur –
muss in Essen nicht richtig sein: Dort steht die Philharmonie und
der sie umgebende Saalbau außerhalb der Laufwege der Stadt,
aber am Rande eines Stadtparks, in unmittelbarer Nähe des Aalto-Theaters
und in Anbindung an das Hotel Sheraton. Neben der Programmplanung,
die breit, attraktiv und hochwertig angelegt sein wird und für
möglichst viele Menschen Angebote bereit halten wird, sind
und waren andere Öffnungen und Öffentlichkeiten von Bedeutung.
Neben dem philharmonischen Betrieb werden Tagungen, Kongresse, Bälle,
Privat- und Firmenveranstaltungen und die bestehende Gastronomie
eine größere Rolle spielen als in anderen Philharmonien
Deutschlands. Diese Mischbespielung, die in Essen schon Tradition
hat, wird dazu beitragen, dass Hemmschwellen für den „Musentempel“
im Grunde nicht entstehen, sondern eine recht große Vertrautheit
in die Zukunft der Philharmonie wachsen kann. Die Öffnung in
dieses eher „weltliche“ Programm-Segment geschieht gleichwohl
vor dem Hintergrund, dass die Priorität auf dem hochwertig
zu bauenden Konzerthaus mit einer entsprechend vorzüglichen
Akustik liegt; die erforderliche variable Bühnen- und Parkett-Nutzung
steht hier in keinem Gegensatz.
Wenn im Juni 2004 die Philharmonie Essen unter dem ehrwürdigen
alten Kupferdach des Saalbaus wieder eröffnet, dann knüpft
die neue Ära an die 100 Jahre an, in denen sich das Haus bereits
bewährt hat: 1904 hat Richard Strauss mit seiner Sinfonia Domestica
den ehemaligen Konzertsaal eingeweiht. Wir arbeiten sehr dafür,
dass die Menschen in Essen und dem Ruhrgebiet das dann neue Haus
wieder als das ihre begreifen und damit die Philharmonie Essen als
einen bedeutenden öffentlichen Raum mit Leben erfüllen.