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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 25
51. Jahrgang | November
Laienmusik
Die Laienmusikszene in Deutschland – Mut zur Veränderung
Beobachten, Erkennen, Analysieren – Start der Artikelserie
der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V.
Es wird viel über das Ehrenamt innerhalb der Musikszene in
Deutschland diskutiert. Über die Führung von Vereinen,
über die sich rasch veränderten Rahmenbedingungen innerhalb
der Gesellschaft, über die Finanzierung der laufenden und der
zukünftigen Arbeit. Aber wo genau steht die Laienmusikszene
und wie zukunftsfähig ist sie? Diese Fragen stellt sich die
Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V. (BDMV) in der
alltäglichen Arbeit und versucht anhand von verschiedenen Faktoren
eine Standortbestimmung der Laienmusikszene vorzunehmen um nötige
Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und umzusetzen.
Der Grundstock einer sicheren Zukunft ist die Bindung von Nachwuchs
an Vereine und dies auf Orts-, Kreis-, Landes- und auch Bundesebene.
Aber die Neuwerbung von aktivem Nachwuchs, die Anbindung an einen
Verein und die Übernahme von Verantwortung gestaltet sich in
der heutigen Zeit immer schwieriger. Die Beweggründe der Jugend,
sich an einen Verein zu binden, haben sich geändert und mit
ihnen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Neben hohen Leistungsanforderungen sind Jugendliche heute auch
erhöhten Risiken ausgesetzt. Dies betrifft schulisches oder
berufliches Versagen ebenso wie Risiken der persönlichen Sicherheit
in einer Welt offener Grenzen und überlasteter öffentlicher
Sicherheitsapparate. Die Shell-Jugendstudie 2002 stellt dazu fest,
dass es in dieser Situation von den Jugendlichen naiv oder kontraproduktiv
wäre, ihre Werteorientierung nicht an diese neue Lage anzupassen.
Betrachtet man die vor kurzem veröffentlichten Ergebnisse der
aktuellen Shell-Jugendstudie 2002 genauer, so ist eine der Hauptaussagen,
dass „Jung sein in Deutschland keine einheitliche Lebenslage
ist“. Das Bildungsniveau ist von zentraler Bedeutung für
die Lebensumstände, die aktuellen Ansichten sowie die späteren
gesellschaftlichen Chancen und damit auch für ein in Frage
kommendes ehrenamtliches Engagement in Vereinen und Verbänden.
Ein ehrenamtliches Engagement hängt bei Jugendlichen auch
davon ab, ob konkrete und praktische Probleme in Angriff genommen
werden können, die aus ihrer Sicht mit persönlichen Chancen
verbunden sind. Die Shell-Jugendstudie bezeichnet das „die
pragmatische Generation“. Die Mentalität der Jugend hat
sich laut dieser Studie von einer gesellschaftskritischen Sichtweise
in Richtung der gesellschaftlichen Mitte verschoben. Trotz der Ferne
von der „großen Politik“ sind die Jugendlichen
in ihrem näheren und ferneren Lebensumfeld eine gesellschaftlich
aktive Gruppe. Die jüngere Generation engagiert sich ehrenamtlich,
wenn dabei eigene, jugendbezogene Interessen und eine sinnvolle
Freizeitgestaltung im Vordergrund stehen.
Diese Erkenntnisse der Jugendstudie sollten vor allem bei Vereinen
und Verbänden in der Laienmusikszene genauestens gelesen werden.
Nur die Vereine und Verbände, die sich den veränderten
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen und darauf reagieren,
haben auch eine Chance, die jüngere Generation an sich zu binden
und damit ihr Überleben zu sichern. Um die Bindung der Jugendlichen
an den eigenen Verein oder Verband auf Dauer zu gewährleisten,
müssen sich Vereine und Verbände ständig weiterentwickeln,
die Strukturen hinterfragen und den Mut zu Veränderungen aufbringen.
Nur ein Verband mit modernen Strukturen, interessanten Aufgabengebieten
und Möglichkeiten einer aktiven und verant- wortungsvollen
Mitarbeit von Jugendlichen gewährleistet das Engagement der
jüngeren Generation und damit die Überlebensfähigkeit
der eigenen Institution. Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
e.V. hat entscheidende Prozesse der Umstrukturierung hinter sich,
um diesen Anforderungen gerecht zu werden, um für Mitglieder
im eigenen Verband eine attraktive, dienstleistungsorientierte Arbeit
zu verrichten und attraktiv für Neumitglieder zu erscheinen.
Die Umstrukturierungen in der verbandseigenen Geschäftsstelle,
die als Dienstleistungszentrum für die Mitglieder aktiv ist,
eine Reform der Verbandssatzung und vor allem der Zusammensetzung
sowie der Arbeitsweise der Gremien innerhalb des Verbandes, die
Bildung von Fachbereichen, um eine möglichst breite und vielschichtige
Aufgabenpalette anzubieten und dadurch die Interessen und Fähigkeiten
der Interessierten einzubinden, dies waren einige einschneidende
Veränderungen, die die BDMV in drei Jahren umgesetzt hat. Sicherlich
bestand aufgrund der Veränderungen im eigenen Verband ein erhöhter
Diskussionsbedarf, aber den Verband zu modernisieren und für
Außenstehende attraktiv zu machen, darin waren sich Verantwortliche
und Mitglieder stets einig.
Auch die Entwicklung verschiedener Imagekampagnen, Kooperationen
und anderer Projekte im Bereich Öffentlichkeitsarbeit wurden
vom BDMV umgesetzt, um die Laienmusikszene von ihrem veralteten
und traditionellen Ruf der „Volksmusik“ zu befreien.
Langweilige Vereinsarbeit, veraltete Musikauswahl und eine Überalterung
der Orchester, dies waren Vorurteile, mit denen auch die Bundesvereinigung
Deutscher Musikverbände e.V. kämpfen musste.
Durch Imagekampagnen wie „Wir machen die Musik!“ und
Kooperationen mit attraktiven Partnern wie zum Beispiel der Messe
Frankfurt GmbH, wurde aber deutlich gemacht, wie unterschiedlich,
reichhaltig und abwechslungsreich die Laienmusikszene in Deutschland
ist. Auch die Vergabe eines Ehrenamtspreises innerhalb der Kampagne
während der Auftaktveranstaltung der Musikmesse 2002 in Frankfurt
am Main zeigte, welch innovative und abwechslungsreiche Projekte
in der Laienmusikszene verwirklicht werden. Weitere Bausteine wie
der Messeauftritt der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
e.V. bei der Musikmesse 2002 in Frankfurt am Main unterstützen
den geplanten Imagewandel des Verbandes und schafft ein Kontakt
zu allen Generationen und Musikinteressierten.
Die Umsetzung neuer Finanzierungsmodelle ist ein weiterer Aspekt
der Kampagne und verschiedener Projekte. Ein moderner Verband sagt
sich von einem zweistufigen Finanzierungsmodell los, indem Liquidität
und damit die Grundvoraussetzung des Handelns von zwei finanziellen
Größen abhängig sind, nämlich von Mitgliedsbeiträgen
und staatlichen Zuschüssen. Vielmehr müssen neben diesen
zwei finanziellen Säulen verschiedene andere Einnahmequellen
erschlossen werden, um den eventuellen Ausfall einer der beiden
zu kompensieren. Neben Kooperationen mit der Wirtschaft sind auch
verschiedene Stiftungen ein weiterer Beitrag zur Liquiditätsplanung
eines modernen Verbandes.
Die Gremien und die Verantwortlichen innerhalb der BDMV kamen zu
der Überzeugung, dass die Überlebensfähigkeit eines
Verbandes nur dann gewährleistet werden kann, wenn man eine
aktive und sich ständig verändernde Jugendförderung
im eigenen Verband betreibt. Betrachtet man die Laienmusikszene
in Deutschland, so wird man erkennen, dass in diesem Bereich über
fünf Millionen Menschen in ganz unterschiedlichen Bereichen
ehrenamtlich aktiv sind. Die Laienmusikszene stellt daher einen
entscheidenden Pfeiler im Sinne der musikalischen Breitenarbeit
dar. Durch die Förderung der Jugendarbeit, die Förderung
der kulturellen Traditionen in Deutschland und die ständige
Fort- und Weiterbildung der Mitglieder leistet diese Gruppe in Deutschland
einen unbezahlbaren Beitrag zum kulturellen Leben in der Bundesrepublik.
Fünf Millionen Menschen in der Laienmusikszene stellen aber
auch noch in ganz anderen Bereichen einen nicht zu unterschätzenden
Faktor dar, sei dies in der Kaufkraft und dadurch als Marktmacht
in der Musikbranche oder als politische Macht, die auf die gewählten
Volksvertreter in der Gesamtheit einen nicht zu unterschätzenden
Einfluss haben könnte. Um geeint und in ständiger Kooperation
gemeinsam die Interessen der eigenen Szene vor den Verantwortlichen
in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vertreten zu können,
ist aber eine ständige Vernetzung sowie ein ständiger
Informationsaustausch zwischen den Dachverbänden in der Laienmusikszene
notwendig. Und dazu gehört auch der Wille zur Aufgabe von manchen
Besitztümern, die sich ideell im Laufe der Jahre eingespielt
haben. Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V. hat
diesen neuen Weg der Gemeinsamkeit und der gesamtheitlichen Vertretung
seiner Mitglieder eingeschlagen.
Die Betrachtung der Gesamtheit der Laienmusikszene zeigt, dass
die Mitglieder und Verantwortlichen mit einer gesunden Portion Kraft
die anstehenden Aufgaben lösen können. Die Jugendförderung,
eine ständige Modernisierung der eigenen Strukturen, eine Vernetzung
der Dachverbände und ein ständiger Informationsaustausch
ist dazu notwenig. Und vor allem eine Maxime, die die alltägliche
Arbeit in der Laienmusikszene begleiten muss – nämlich
der Mut zur Veränderung.