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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 44
51. Jahrgang | November
Nachschlag
Selbsterledigung
Vielleicht ist es ein dummer Spruch: Die Axt im Haus, erspart
den Zimmermann. Aber er passt hier nun mal so gut. Udo Zimmermanns
Versuch, der Deutschen Oper Berlin ein neues Profil zu verleihen,
ist gescheitert – oder besser: Er wurde im Entstehen radikal
abgeholzt. Die Axt heißt Christian Thielemann, Generalmusikdirektor
an der Deutschen Oper. Wer Udo Zimmermanns Äußerungen
in den letzten Monaten so las, dass er auch Zwischentöne wahrnahm,
der bemerkte wachsende Frustration, ein resignierendes Nachlassen
der Spannkraft. Aussagen, dass Reibeflächen zwischen dem aufblühenden
Neoromantiker streng deutscher Provenienz und dem Neuerer künstlerische
Wärme erzeugen könnten, mochte man schon bald nicht mehr
für bare Münze nehmen. Und so hielt sich Zimmermann nach
seiner Amtsenthebung als Fehler vor, den Vertrag mit Thielemann
überhaupt unterzeichnet zu haben. Denn dessen Präsenz
habe sich im Umfeld eines Gastdirigenten bewegt. In einem Brief
an die Mitarbeiter gelobte Thielemann Besserung. Er sagte andere
Verpflichtungen der nächsten Jahre ab und steht Gewehr bei
Fuß. Die beiden Chefs der Deutschen Oper sprechen nicht mehr
miteinander. Das setzt fort, dass auch der vormalige Gedankenaustausch
über eine Gesamtkonzeption des Hauses nur wenige Interessenübereinstimmungen
an den Tag brachte.
Die sich jetzt eröffnende Chance, das Haus insgesamt zu übernehmen
(es darf vermutet werden, dass Thielemann an ihr durchaus mitbastelte)
möchte der Generalmusikdirektor nutzen. Kultursenator Thomas
Flierl (PDS) hat mit den Vorwürfen einer über die Maßen
defizitären Haushaltsführung gegenüber Zimmermann
einen Prozess losgetreten, der weit über Finanzfragen hinausweist.
Längst geht es um Fragen der kulturellen Ausrichtung, auch
wenn der Kultursenator im geläufigen Jargon des Politikers
betonte, dass die Kritik an der Amtsführung kein Urteil über
Zimmermanns künstlerische Qualitäten beinhalte.
Die Wahrheit bleibt hier auf der Strecke. Und die lautet, dass die
deutsche Hauptstadt bei ihren kulturellen Vorzeige-Posten im Sinne
einer konservativen Repräsentationskunst ausgerichtet werden
soll.
Hier soll der samtene Glanz schwarz-rot-goldener Kultur noch einmal
aufscheinen, Experimente sind an dieser Stelle dann fehl am Platze.
Thielemann steht dafür: Wagner, Strauss und Pfitzner sind sein
Elixier. Seine Leistungen auf diesem Gebiet sind unumstritten und
seit dem euphorisch begrüßten Bayreuther Debüt mit
den „Meistersingern“ vor gut einem Jahr wurde auch die
alte Achse Berlin-Bayreuth (vielleicht noch mit einer Verlängerung
nach München bei den Philharmonikern?) neu installiert. Die
Trägheit eines alternden Publikums, die vom schicken Outfit
mancher Jungunternehmer noch unterfüttert wird, sieht in dieser
Form bürgerlicher Selbstdarstellung immer noch den eigentlichen
Sinn eines Opernhauses.
Zimmermann, dem man in seiner künstlerischen wie organisatorischen
Entwicklung durchaus gewisse Überdehnungs-Spagate der Konzilianz
nach allen Seiten zum Vorwurf machen könnte, will solches nicht.
Die Führung des Leipziger Opernhauses und insbesondere der
Münchner musica viva hatte ganz andere Akzente gesetzt. Der
Erfolg dieser Bemühungen bleibt ihm. Leipzig wurde aus einem
Dornröschenschlaf geweckt und entwickelte sich zu einem der
meistbeachteten Opernhäuser weltweit, die in den 90ern darbende
musica viva blühte nach seinem Amtsantritt beeindruckend auf.
Berlin aber erwies sich als nicht zu nehmender Wall. Dabei wäre
gerade dies der Platz, Oper neu zu denken. Mit Zimmermann verabschiedete
man sich von dieser Chance.
So wird Thielemann dirigieren, solange es die Oper noch gibt.
Ohne die Frische des Wagnisses könnte dieser Zeitraum sehr
kurz sein. Die radikale Forderung von Pierre Boulez in den 60er
Jahren, alle Opernhäuser in die Luft zu sprengen, braucht es
gar nicht. Es gibt Institutionen, die sich von selbst erledigen.
In Berlin befindet man sich auf dem besten Weg dazu (angesichts
der Haushaltslage sieht man alles gern, was sich selbst erübrigt).
Doch solch infame Schläue trauen wir unseren Politikern nicht
zu.