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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 38
51. Jahrgang | November
Jazz, Rock, Pop
Frankie geht nach Hollywood
6-CD-Box des Jahres: Frank Sinatra in der Traumfabrik
Swing when you’re winning! Auf seinem Weg nach ganz oben,
zum ersten Euro-Millionär der Jauch-Show, musste kürzlich
ein Regensburger Musik- und Philosophiestudent folgende Frage beantworten:
Woher hat die Popgruppe „Frankie goes to Hollywood“
(„Relax“) ihren Namen? Zwei ernsthafte Antworten standen
zur Auswahl: Frank Zappa oder Frank Sinatra. Der schlaue Studiosus
tippte auf Frankieboy, wegen des „Glamour“-Faktors und
seines Hollywood-Oscars. Einen klitzekleinen Teil seiner ersten
Million sollte der gewitzte Philosophus deshalb Frank zu Ehren in
diese famose 6-CD-Box investieren: „Frank Sinatra in Hollywood“.
Auf dem Gipfel ihrer Sangeskunst:
v.l.n.r. Frank Sinatra, Bing Crosby und Dean Martin. Foto:
Warner
Dank Robbie Williams ist ER wieder in aller Munde: Frank Sinatra,
die „Stimme Amerikas“. Nachdem heuer im Frühling
die deutsche EMI fast alle klassischen „Capitol“-Alben
des Meisters, von „Only the Lonely“ bis „Come
Fly With Me“, wiederveröffentlicht hat, beglückt
uns nun seine alte Plattenfirma „Reprise“ mit einem
opus magnum: „Frank Sinatra in Hollywood“. Seit Mitte
der neunziger Jahre haben die preisgekrönten Produzenten Didier
C. Deutsch & Charles L. Granata an diesem Projekt gearbeitet,
das eine sensationelle Novität darstellt: eine (fast) komplette
Kollektion aller Sinatra-Soundtracks seit den vierziger Jahren.
Rund 90 Prozent des tontechnisch optimal restaurierten Materials
aus rund vierzig Filmen blieb bis heute – zumeist aus lizenzrechtlichen
Gründen – auf Tonträgern unveröffentlicht.
Ein Grammy dürfte den Produzenten dieses opulent ausgestatteten
Box-Sets sicher sein, schon allein aus musikhistorischen Gründen.
„Frank Sinatra in Hollywood“ dokumentiert zum ersten
Mal in einer Edition die wichtigsten Jahre des Sängers: 1940-1964.
Sie beginnt mit seinen Tommy Dorsey-Aufnahmen und endet mit seinen
„Rat Pack“-Späßen. Dazwischen werden wir
Ohrenzeugen einer traumhaften Karriere: vom Big-Band-Sänger
zum Crooner des Jahrhunderts. Es begann 1940 in Las Vegas, zumindest
im Kino. In Paramounts „Las Vegas Nights“ war er nur
zufällig dabei, weil er eben damals bei Tommy Dorsey unter
Vertrag stand. Seine Song-Einlagen blieben in den ersten Jahren
unspektakulär. Eine kleine Wende kam 1945, als er in dem M-G-M-Musical
„Anchors Aweigh“ zum ersten Mal an der Seite von Gene
Kelly auftauchte. Ein zumindest kleines Talent zum Schauspielen
kam zum Vorschein. Noch war er auf der Leinwand ganz der Troubadour-Tradition
verhaftet – wie Elvis Presley später in seiner ganzen
Filmkarriere.
Doch noch im selben Jahr geschah etwas Merkwürdiges: Sinatra
bekam einen Spezial-Oscar für seinen Propaganda-Kurzfilm „The
House I Live In“. Ausgerechnet für sein Plädoyer
gegen Intoleranz und Rassismus wurde der damalige Rebell geehrt.
Doch es dauerte noch bis Ende der vierziger als er seine bis dahin
beste Rolle bekam in dem Stanley Donen-Musical „On The Town“.
Gedreht „on location“ in New York wurde es zum Klassiker
des Genres. Und zum ersten Mal zeigte sich Sinatra als erstklassiger
Team-Player an der Seite von Gene Kelly, Jules Munshin, Betty Garrett
& Ann Miller. Kurz vorher hatte er eine großartige Belcanto-Version
von „Ol’ Man River“ gesungen in dem Jerome-Kern-Biopic
„Till The Clouds Roll By“.
Anfang der Fifties klang die „Sinatramania“ aus und
er geriet in ein Karrieretief, sein Vertrag mit „Columbia“-Records
lief aus, seine Ehe mit Ava Gardner ging in die Brüche. Sinatra
versuchte 1953 einen Neuanfang bei „Capitol“. Dort nahm
ihn Alan Lingston unter Vertrag, der sich daran erinnert, wie er
von seinen Vertriebsmanagern dafür gerügt wurde. Bei „Capitol“
nahm ihn der Arrangeur Nelson Riddle unter seine musikalischen Fittiche
– der Rest ist Popgeschichte: Sinatras goldene Jahre.
Fehlte nur noch ein richtig großer Erfolg in Hollywood. Sinatra
setzte auf die Verfilmung des Kriegsromans „From Here To Eternity“.
Obwohl er nur 8.000 Dollar für seine Verkörperung des
Maggio in „Verdammt in alle Ewigkeit“ erhielt, lohnte
sich der Deal: Sinatra erhielt einen „echten“ Oscar
als bester Nebendarsteller. Von jetzt an sollte sich der Italo-Amerikaner
zur Number One im Showbusiness hocharbeiten. In dem Cole-Porter-Musical
„High Society“ löste er Bing Crosby vom Crooner-Thron
ab. Als „Pal Joey“ verführte er Kim Novak und Rita
Hayworth vor allen Dingen mit Rodgers & Hart-Klassikern wie
„The Lady Is A Tramp“. Seine Liebe zum Broadway-Musical
lebte Sinatra Mitte der fünfziger Jahre auch in drei weiteren
Filmprojekten aus: an der Seite von Marlon Brando in Frank Loessers
„Guys And Dolls“, in der Zeichentrickfilm-Version des
Burton Lane-Musicals „Finian’s Rainbow“ und in
Richard Rodgers „Carousel“. Bis heute bleibt ungeklärt,
warum er während der Vorbereitungen zu dieser modernen „Liliom“-Fassung
wieder ausstieg. Als Dokument dieser Pre-Production-Phase blieb
eine unvollendete Aufnahme von Lilioms „Selbstgespräch“
übrig. Der Meister singt die ersten Strophen bis plötzlich
seine Stimme verschwindet und nur noch das Orchester spielt. Später
bei „Reprise“ hat Sinatra dieses geniale Nelson Riddle-Arrangement
für „Soliloquy“ übernommen und vollendet.
Die Aufnahme wurde zu einem Höhepunkt seiner Spätphase.
Naürlich findet man in dieser Box nur seine Gesangsaufnahmen
und so fehlen großartige Filme wie der Paranoia-Thriller „Manchurian
Candidate“ von John Frankenheimer. Melos, zu denen Sinatra
zumindest irgendwann den Titelsong sang, werden hier dagegen berücksichtigt:
So erklingt auch das Thema zu Vincente Minnellis „Some Came
Running“. In Deutschland knüpfte diese weitere James
Jones-Verfilmung im Übrigen an seinen Comeback-Film an: „Verdammt
sind sie alle“. Mit dabei waren 1958 auch die neuen Freunde
aus dem „Rat Pack“: Shirley MacLaine, die mit ihm in
„Can Can“ auch „Let’s Do It“ sang,
und Dean Martin, der Mann mit dem Hut und der Whiskeyflasche. In
den frühen Sixties sollten Frankie & seine Spießgesellen,
die auch als „Ocean’s Eleven“ firmierten, Hollywood
und Las Vegas aufmischen. Bis mit dem Tod von John F. Kennedy auch
dieser Böse-Buben-Traum jäh zu Ende ging, und Frank Sinatra
„The September Of My Years“ anstimmte: „When I
Was Seventeen...“.
Viktor Rotthaler
Frank Sinatra in Hollywood
Reprise/Warner Strategic Marketing 8122-78285-2