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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 37
51. Jahrgang | November
Jazz, Rock, Pop
Kräfte zehrende Mammuttouren
Ein Blick hinter die Festival-Kulisse: Irisch, keltisch &
Co.
Noch bis zum 17. November unterwegs ist das „Irish Folk
Festival“ (IFF), eine Traditionsveranstaltung, die für
musikalische Qualität bürgt, seit der südniedersächsische
Lehrer und Folk-Freak Carsten Linde 1974 das reisende Musikfest
mit jeweils drei bis vier Gruppen und/oder Solisten erfand. Der
Publikumserfolg war regelrecht gigantisch, bis sich Linde ab 1982
eine Kunstpause gönnte, hatte er doch das Ganze bisher praktisch
vom Wohnzimmer aus organisiert. 1988 ging es dann wie gewohnt im
Herbst weiter, und der alte Erfolg blieb nicht aus. Wieder im Boot
saß der Irland-Fan Axel Schuldes, und der nebenberufliche
Tournee-Veranstalter Peter Wennerhold sorgte jetzt für die
Logistik.
Inzwischen war mit Petr Pandula ein keinesfalls konfliktscheuer
Exil-Tscheche in der Szene aufgetaucht und hatte mit seiner Agentur
„Magnetic Music“ überwiegend keltische Musik in
die Clubs gebracht. Ab 1990 schickte er mit dem „St. Patrick’s
Day Celebration Festival“ jährlich im März eine
Konkurrenz-Veranstaltung auf die Reise, allerdings mit einem anderen
Konzept, das Linde nicht zu Unrecht als „Party-Brimborium“
bezeichnete, war doch das „IFF“ eher etwas zum Zuhören.
Die Party allerdings funktionierte; ab 1992 schickte Pandula gar
zwei parallele Festivaltrupps zeitgleich durch die Lande. Und 1991
hatte sich Pandula mit seinem ähnlich angelegten „Celtic
Halloween Festival“ gar zeitlich in die Nähe von Lindes
Marktführer gewagt.
1992 kam noch eine weitere Konkurrenz auf den Markt, das „Scottish
Folk Festival“ – Wennerhold hatte sich nämlich
mit Linde und Schuldes aus finanziellen Gründen überworfen
und kurzerhand eine modifizierte Kopie aufgezogen, zunächst
mit schottischen Partnern, ab 1998 mit der Hamburger Konzertagentur
Karsten Jahnke.
Das Projekt „Pure Irish Drops“ des Berliners Florian
Fürst zielte ab 1993 im Gegensatz zu den anderen mehr auf die
Club-Szene und wurde daher von den Hallen-Veranstaltern eher als
kleine Ergänzung gesehen. Aufmerksamen Beobachtern war inzwischen
klar, dass es in dem ganzen Bereich auch um viel Geld ging.
Trotzdem verlief der Konkurrenzkampf relativ friedlich, bis kurz
nach dem 25. Geburtstag des „IFF“ (1999) eine kleine
Bombe platzte: Carsten Linde wollte sein Festival verkaufen, vor
allem natürlich das Warenzeichen. Nachdem sein langjähriger
Partner Axel Schuldes abwinkte, bekam ausgerechnet Hauptkonkurrent
Pandula den Zuschlag; es soll um mehr als 100.000 Mark gegangen
sein.
Die Szene war irritiert; Pandula sollte ein Quasi-Monopol besitzen?
Mit aggressiver Geschäftspolitik hatte er sich keinesfalls
nur Freunde gemacht.
Er baute indes das „IFF“ aus; in diesem Jahr spielen
vier durchaus interessante „Acts“ insgesamt 36 Auftritte
– mit nur fünf freien Tagen. Axel Schuldes war immer
schon gegen eine solche kräftezehrende Mammut-Tour gewesen
und tat sich mit dem Tübinger „Music Contact“-Veranstalter
Rainer „Yogi“ Zellner zusammen, der früher einmal
mit Pandula musiziert hatte, aber längst zu dessen Erzrivalen
geworden war. Schuldes und Zellner konzipierten das „Irish
Spring Festival“ mit jüngeren und weniger bekannten Bands,
um damit die Linie des „alten IFF“ fort zu führen.
Als dieses neue Festival vom Mai auf den März vorgezogen wurde,
kam „Platzhirsch Pandula“ (so die Zeitschrift „Folker!“)
ins Schäumen, gingen doch seine Besucherzahlen zurück.
Er verweigerte die Zusammenarbeit mit örtlichen Veranstaltern,
die auch mit Zellner im Geschäft sind. Der allerdings sieht
diese Verdrängungstaktik relativ gelassen. Zellner, der von
Manchen für den „Gentleman der Veranstalter-Szene“
gehalten wird, schickt im März 2003 wieder ein hochkarätig
besetztes „Irish Spring Festival“ auf Reisen. Wer bis
dahin nicht warten mag, muss jetzt noch schnell die möglicherweise
etwas ermattete zweite Hälfte der aktuellen IFF-Tour besuchen.
Wer allerdings meint, auch im örtlichen „Irish Pub“
musikalisch korrekt bedient zu werden, sollte wissen, dass den dort
auftretenden irischen Musikern meist eine Deutschland-Tournee versprochen
wurde. Durch die verräucherten Filialen einer irgendwie warenzeichenmäßig
geschützten Kette.