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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 16
51. Jahrgang | November
Portrait
Unterhaltung für Erwachsene
Posaunist & Komponist: www.mikesvoboda.de
Beiß in seinen Witz, bis zum Kern. Der ist trocken und ernst,
und wenn er zerplatzt, gibt es ein bittersüßes Brennen.
Hat man die unverschämte Frucht einmal auf der Zunge gespürt,
verlangt man immer wieder nach ihr. Mike Svoboda verbreitet lebenswachen
Hunger nach Neuem, über dreihundert Stücke hat er bis
heute uraufgeführt. Spielwerkzeuge und Spielvorlagen werden
bei ihm eins mit dem unendlich modulierten Atem in einer polyphon
erlebten Welt. Wie fing das alles an?
Es war einmal in Amerika – in der vierten Schulklasse durfte
Mike ein Instrument lernen und entschied sich für die Klarinette.
„Ein paar Wochen später kam aber mein Vater mit einer
Posaune nach Hause. Da er selbst mal Horn gespielt hatte, zeigte
er mir gleich eine Tonleiter. Später erfuhr ich, dass er die
Posaune beim Karten spielen mit einem Nachbarn gewonnen hat. Diese
Nachbarn haben meinen posaunistischen Werdegang immer interessiert
verfolgt. Die haben sich irgendwie verantwortlich oder gar schuldig
gefühlt, nehme ich an.“
Virtuos bei Lachenmann,
Stockhausen, Wagner und Thad Jones: Posaunist Michael Svoboda.
Foto: Charlotte Oswald
Vierzehnjährig bekam er vom Musiklehrer einfache Kompositionsaufgaben:
„Es war eine Freude wie beim Kreuzworträtseln, nur spielte
ich mit Klängen statt mit Worten. Ich bin ihm sehr dankbar,
dass er mich so ans Komponieren heranführte und nicht mit trockenem
Kontrapunkt. Seine Aufgaben waren frei und fantasievoll, ziemlich
abgedreht. Kurz darauf spielten wir mit der Schuljazzband meine
ersten Kompositionen. Die waren natürlich schrecklich, aber
immerhin ein Anfang. Ich habe mehr oder weniger das nachgemacht,
was ich auf Platten hörte: Maynard Ferguson, Buddy Rich, Thad
Jones.“
Mit achtzehn erhielt er den „Louis Armstrong Award“
und gehörte nun zur Musikszene von Chicago, wo er drei Jahre
zuvor als Aushilfe in einer sizilianischen Marschkapelle seinen
Einstand gegeben hatte: „Es war 1975 und ich war der einzige
Blonde in der Gruppe. Die Musik entsprach nicht dem Notenbild, klang
ähnlich krumm wie in Jazzbands, aber doch ganz anders. Und
die Männer hatten komische Instrumente, Klarinetten in Hoch-As,
Es-Horn mit Piston-Ventilen.“ Instrumente: eine unendliche
Geschichte. In einem Buch des Posaunisten Stewart Dempster las Mike,
wie man aus einem Abflußrohr ein Didgeridoo bastelt: „Also
radelte ich zum Baumarkt, besorgte mir ein 6-Fuß-Abflussrohr
im angegebenen Durchmesser, und schon war mein Didgeridoo fertig.
Ich wußte nicht, wie ein Didgeridoo klingt, aber das Abflussrohr
habe ich zum Tönen gebracht. Auf ihm spiele ich übrigens
immer noch.“ Und auf Gartenschläuchen auch. Was er anfasst
und mit den Lippen berührt, das klingt, und so kann er das
Banalste verzaubern, dieser musikalische Midas, der den Fluch erstarrender
Theoreme nie gekannt hat.
Als er 1982 mit einem Kompositionspreis zu den Darmstädter
Ferienkursen kam, erlebte er den Wald von Verbotsschildern als faszinierend
buntes Laub. Beeindruckt „von der Vielfalt und der Intensität,
mit der hier Musik gemacht wurde“, gab er das Komponieren
auf und wollte fortan „der Neuen Musik dienen und den Komponisten
helfen, bessere Werke zu schreiben, indem ich ihre Musik realisierte.“
Zur Wegmarke wurde Helmut Lachenmann. „Im Gegensatz zu Xenakis’
Werken, die nach Regeln jenseits des herkömmlichen Musizierens
funktionieren, wirkt Lachenmanns Musik auf mich absolut klassisch.
Als ich zum ersten Mal ein Werk von ihm hörte – es war
‚Pression‘ in Stuttgart 1984 – kam mir der Vergleich
mit Schubert: Die Musik ist wie die von Schubert voller Saft und
Leidenschaft, aber dann in einer Wanne in die Sonne gestellt. Alles
ist noch da, aber konzentriert. Just add water… Lachenmann
hat eine Art zu komponieren gefunden, die unnachahmlich ist. Mehr
kann man nicht erreichen.“
Gleichzeitig schlug ihn ein anderer in den Bann: Karlheinz Stockhausen.
In der spirituellen Farbigkeit seiner Partituren lebte Mike Svoboda
zehn Jahre lang. Er wurde sein Luzifer. „Die Zusammenarbeit
war geprägt von unserem Meister-Schüler-Verhältnis;
ich lernte sehr viel über Aufführungspraxis, Spieltechnik,
Live-Elektronik, Komposition und Durchhaltevermögen. Sein Sohn
Markus half meinem Spiel enorm, er unterrichtete mich praktisch.
Meine eigene Musik trug ich Stockhausen selten vor, aber sein Denken
und sein Tun hat mich vieles gelehrt.“ Was bleibt, ist vor
allem Dankbarkeit und der Versuch, „Werk und Schöpfer
auseinander zu halten. Töne sind so unschuldig…“
– deshalb spielt Mike Svobodas Quartett „Adult Entertainment“
nicht nur Stockhausens „Tierkreis“ auf CD ein, sondern
unternimmt auch „14 Versuche, Richard Wagner lieben zu lernen“:
„Ich liebe Wagner nicht, aber ich bin ihm dankbar!“
Monomanen sind ein Pfahl im Fleisch; der Gedanke daran ist ein schmerzliches
Zucken, spült galligen Humor ans Licht.
Seit 1994 schreibt Mike wieder eigene Stücke, am liebsten
in der Eisenbahn. „Ich spiele die Sachen dann auf dem Klavier
nach, um darüber zu reflektieren. Meistens komponiere ich für
Leute, die ich gut kenne – ich schreibe eher für eine
Person als für ein Instrument.“ Spontan, pragmatisch,
fordernd fragt er, warum Komponisten, die unter Aufführungsmangel
leiden, nicht eine Band gründen und in Clubs auftreten: Ohne
Zuhörer geht nichts. „Wenn ich ein Quartett komponiere,
schreibe ich eigentlich ein Quintett mit dem Publikum als fünftem
Mitglied. Die Erfahrungen als Ausführender erlauben mir gar
nicht, anders vorzugehen.“ Sein anarchisch freies Musizieren
überwindet Gattungsgrenzen und Hierarchien. Für viele
Kollegen „muss die Kunst vornehm bleiben, nicht aufdringlich,
nicht entgegenkommend – aber ich mache einfach, was ich mag,
und dabei ist mir die Verbindung zu den Hörern wichtig.“
Die begehren ihn als Solisten. Sein demokratisches Herz bewahrt
ihn davor, zum Solipsisten zu werden. Wenn er will, geht er als
gleichberechtigtes Mitglied einer Gruppe auf Entdeckungsreise: Auf
der Porträt-CD des Ensembles „gelber klang“ wirkt
er in „Io sol uno“ von Jens Joneleit mit, dessen musikalische
Monolithe sich wortkarg, dunkel aus unserer Gegenwart abheben wie
aus einem Vexierbild – es dauert, bis man sie erkennt, aber
einmal wahrgenommen, bleiben sie unauslöschlich im Gedächtnis.
„Jens ist ein großes Talent und verdient, mehr Aufmerksamkeit
in Europa zu bekommen. Er schreibt eigentlich ganz in der europäischen
Tradition. Er wohnt in den USA, aber seine Musik gehört hierher
nach Europa.“
Europäisch oder außereuropäisch: Das Wechselspiel
von Klingen und Singen interessiert Mike Svoboda, deshalb liebt
er auch die „Canzona per sonare“ so sehr, das Altposaunenkonzert,
das Wolfgang Rihm ihm widmete. „Ja, die Stimme ist mein Vorbild.
Keine Frage! Gibt es ein besseres? Ich beneide die Sänger um
die Unmittelbarkeit, mit der sie Musik vermitteln können. Mich
inspiriert die Stimme überhaupt, nicht nur die gesungene. Auch
im gesprochenen Wort ist viel Musik und offenbarte Emotion.“
Die harte Arbeit mit Komponistenkollegen ist im Idealfall ein klingendes,
blitzendes Gespräch – man darf gespannt sein, was demnächst
in dieser Werkstatt geschmiedet wird.