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nmz-archiv
nmz 2002/11 | Seite 31
51. Jahrgang | November
ver.die
Fachgruppe Musik
Was sagt der uns denn noch: Hanns Eisler?
Vom zwiespältigen Umgang mit dem Erbe des kommunistischen
Komponisten
Berlin, Gendarmenmarkt. Im Rücken des Schauspielhauses die
Hochschule für Musik Hanns Eisler. Wintersemester, Vorlesungsreihe
Wer war Hanns Eisler?
So unglaublich wie wahr: „Kaum einer unserer Musikstudenten
weiß, wer der Namenspatron der Schule ist.“ Andreas
Wehrmeyer, Dozent für Musikgeschichte an der Hochschule, zuckt
mit den Achseln. Keine Ahnung vom Schöpfer der DDR-Nationalhymne,
Verfasser von Arbeiterkampfliedern, Bühnen- und Filmmusiken,
vom Mitarbeiter Brechts. In der Nazizeit USA-Emigrant, dort Professor
für Musiktheorie und Kompositionslehre und noch davor Schönberg-Schüler.
Also: Wer war Hanns Eisler?
Wehrmeyer organisierte Eisler-Spezialisten. „Wir im Lehrkörper
haben gedacht, es könnte für das ganze Haus als integrierende
Veranstaltungsreihe wichtig sein, diesen Mann vorzustellen.“
Integrieren von was? Studenten und Lehrkörper, Jung und Alt?
Oder nicht eher: östliches und westliches Kulturerbe? Ost und
West saßen denn auch im Publikum wie auf dem Podium zusammen.
Kontroverse zwischen Komponist und Kommunist
Um die Einordnung der kompositorischen Leistung des Künstlers
in den musikalischen Kontext sollte es in den Vorlesungen gehen.
Und tatsächlich: ,,Die meisten Streitpunkte gab es in der Einschätzung
der Qualität seiner Musik“, so Wehrmeyer. Das schon,
doch es kam, wie es kommen musste: Keine Einschätzung ohne
unterschwelliges Mitschwingen von Polit-Positionen:
Eislers bedeutende Schaffensphase lag in den 20er- und 30er-Jahren
als hochbegabter Schönberg-Schüler. Sein Spätwerk
aus der DDR-Zeit fällt im Vergleich dazu ab. Hingegen: Eislers
Werk weist eine Einheit des Schaffens und der Ansätze aus.
Eisler lehnte die Arbeiter- und Kampflieder der sozialdemokratischen
Bewegung als zu lieblich und lyrisch ab. Und schuf mit modernen
Mitteln aggressives Liedgut: Roter Wedding, Solidaritätslied.
In der DDR aber komponierte er die „Neuen deutschen Volkslieder“,
in denen das Kämpferische zugunsten von genau jenen Lyrismen
zurücktrat. Entweder war es das Nachlassen seiner Schöpferkraft
oder ein Anpassen an die DDR-Verhältnisse.
Es handelte sich um eine normale Entwicklung im künstlerischen
Schaffensprozess und damit innerhalb des Gesamtschaffens um eine
andere Qualität.
Man kann Eislers musikalische Substanz nicht von der politischen
Botschaft trennen und sagen: Die Qualität der Musik ist so
hoch, dass man nach dem Zusammenbruch des Sozialismus über
den Text hinweg sehen könnte.
Weiter im Kontext gegensätzlicher Wortmeldungen:
Eisler hatte eine aus dem 18. Jahrhundert stammende Arbeitshaltung:
Elemente aus seinen Kampfliedern, Film- und Bühnenmusiken
benutzte er für spätere Werke. Was untypisch für
das 20. Jahrhundert ist. Ein Qualitätsproblem.
Selbstzitate sind im 20. Jahrhundert in den verschiedensten
Künsten gang und gäbe. Fragen der Qualität berührt
das nicht.
Die Bühnenarbeiten Brecht-Eislers wie „Die Mutter“,
„Die Maßnahme“ sind für den heutigen Zuschauer
eine unzumutbare Verdoppelung der inhaltlichen Aussage: die Musik
steht dem politischen Gestus des Lehrstücks zu nahe.
Angesichts der Globalisierung, der weltweiten Vertiefung der
Kluft zwischen Arm und Reich, haben Brecht-Eisler-Produktionen
einen ganz neuen, aktuellen Wert.
Eisler hat keine Chance, heute als Komponist von Rang geschätzt
zu werden, weil Zeitgenossen wie Schönberg oder Strawinski
viel kühnere Sachen komponiert haben.
Wagner hat Kühneres als Verdi komponiert, und doch wird
Verdi mehr als Wagner gespielt.
Haltungen und Gegenhaltungen. Dazu Wehrmeyer: „Was die unterschiedlichen
Einschätzungen angeht, so wäre es einfach zu behaupten,
dass es wesentlich ein West-Ost-Problem ist. Mehr eins der Wahrnehmung:
für jemanden, der Hitlerfaschismus, Krieg und Nachkrieg erlebt
hat, kann Eisler sehr viel bedeuten.“
Wehrmeyers beruhigende Hypothese: „Mir scheint es ein Generationsproblem.“
Um so beunruhigender. Die junge Generation von Musikstudenten interessierte
sich für die Vorlesungsreihe nämlich überhaupt nicht.
„Darüber waren wir im Lehrkörper sehr enttäuscht.“
Also nichts mit Integrieren an der Hochschule für Musik Hanns
Eisler. Was auch immer zu integrieren gewesen wäre. „Das
hat mit Eislers Musik selbst zu tun. Sie gehört eben nicht
zum üblichen Repertoire des 20. Jahrhundert.“ Dann also:
weniger über Eisler, mehr Eisler spielen!