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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 6
52. Jahrgang | Februar
www.beckmesser.de
Wortgeknatter
Frühling wird’s, günstiges Wetter für allerlei
Frivolitäten im Freien. Das Herumtreiben im Wald, das im Winter
kalte Nasen machen würde, macht wieder mehr Spaß. Das
gilt auch für die weniger harmlosen Dinge, vom Überfall
des kleinen Ganoven an der Straßenecke bis zur großen
und staatsmännisch geplanten Expedition der Firma Bush, Blair
& Exxon Inc. in die Wüsten von Big Schurkistan. Dort endlich
für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen ist bekanntlich nicht
ungefährlich und beim Erscheinen dieser Kolumne könnte
schon der Tag gekommen sein, an dem es heißt: Seit heute früh
wird zur Verteidigung unserer Zivilisation zurückgeschossen.
Kein Wunder, dass in diesen Zeiten nicht nur die Fantasien der
kleinen Börsenjunkies, sondern auch die großen strategischen
Überlegungen zu sprießen beginnen. Zum Beispiel liest
man in einer einschlägigen Publikation: „Die Hit Force
(mit Sitz im Berliner Headquarter) wird...“ – Na Herr
Schröder, schon wieder ein Wortbruch? Nach der Steuerlüge,
der Sozialabgabenlüge, der Weihnachtsmannlüge und der
Januarwetterlüge nun noch die Iraklüge? Das haben wir
uns doch gedacht! Doch lesen wir weiter: „Die kundenindividuelle
und schwerpunktmäßige Repertoirebearbeitung wird konsequent
fortgeführt durch hoch spezialisierte Sales Forces wie der
Breaker Force, Special Sales Classics & Jazz oder Special Sales
Koch. Artist Development/Breaking New Acts, die Akquisition neuer
Trend-Outlets, das Forcieren von Impulskäufen sowie ein enger
Kontakt zu den Opinion-Leadern und Trendsettern ist hier als klare
Zielsetzung definiert.“
Die klare Zielsetzung der Special Forces, Saddam umzu... –
äh, Moment, stopp, das ist ja der falsche Film! Da geht’s
gar nicht um Öl, sondern um Kultur. Nicht Laserkanonen sollen
abgedrückt, sondern Tonträger auf den Markt gedrückt
werden. Deshalb ein etwas modifizierter Angriffsplan: Impulskäufe
forcieren! Trend-Outlets akquirieren! Opinion Leaders kontaktieren!
Als weitere Maßnahmen und Zielsetzungen werden aufgeführt:
Vermeidung von Overshipments und Zurückgewinnung von Tonträger-Flächen.
(Wo liegt dieses Wüstenterritorium?) Doch die wohl gefährlichste
Aufgabe, sozusagen der Häuserkampf in dieser Strategie, lautet:
Der Frontline-Vertrieb bearbeitet vor Ort die Hit Force-Veröffentlichungen!
Dafür stehen zehn Sales Manager zur Verfügung. Diese Spezial-Eliteeinheit
ist vermutlich mit Nachtsichtgeräten und geräuschloser
Munition ausgerüstet.
Das alles steht nicht in einer Publikation für Militärstrategie,
sondern ist nachzulesen in „Musikmarkt online“, wo zum
Jahresbeginn der Managing Director von Universal Sales die „strategische
Redefinition der traditionellen Sales Force“ verkündet.
Gemeint ist wohl eine Neuausrichtung des Vertriebssystems. Man kann
einfache Dinge bekanntlich auch auf komplizierte Weise sagen. Das
suggeriert überdurchschnittliches Denkvermögen und macht
auf die Dummen gehörig Eindruck.
Ist es Zufall, dass solche knatternden Managersprüche in
dem Moment laut werden, da sich der Scharfschützen-Jargon der
Kriegstreiber in den Medien breit macht? Gibt es eigentlich eine
Konvergenz zwischen der Begriffswelt, die heute auf den Managerschulen
gelehrt wird, und der Begriffswelt der Militärstrategen? Die
Militarisierung des Denkens, wie sie Karl Kraus in seinen „Letzten
Tagen der Menschheit“ am Beispiel des Ersten Weltkriegs darstellte,
nimmt sich gegenüber diesem aggressiven Technokratenjargon
jedenfalls wie romantisches Gedöns aus.
Dass Erfolg auf dem Gebiet der U-Musik nur mit kühler Strategie
und viel wirtschaftlicher Power zu haben ist, ist nicht Neues. Erfolg
heißt hier ausschließlich Verkaufserfolg und nicht künstlerisches
Gelingen. Er stellt sich – ob gute oder schlechte Musik –
in der Regel nur dann ein, wenn in eine Werbekampagne entsprechend
investiert worden ist, was den alten Ausspruch, dass der Teufel
immer nur auf den größten Haufen scheißt, einmal
mehr bestätigt.
Aber in diesen unsicheren Zeiten ist auch auf den Teufel nicht mehr
Verlass. Die Multis unter den CD-Firmen, zu denen auch Universal
gehört, haben in den letzten Jahren gehörig Federn lassen
müssen, nicht nur wegen der illegalen Downloads im Internet.
Den Schrott, den sie mit viel Geld auf den Markt drückten,
wollte das dumme Volk einfach nicht kaufen. Sondern es hielt sich
an die bewährten Titel, und diese holte es sich aus dem Netz.
Obwohl all die Sales Manager, Promotion Manager, Executive Manager
und Senior Vice Presidents hoffnungsvoll die Arme ausbreiteten,
fiel kein Manna vom Himmel. Der Teufel litt an Verstopfung.
„Es ist das erste Mal, dass diese Branche seit 20 Jahren
in einer tiefen Krise steckt“, sagte Ende 2002 ebenfalls in
„Musikmarkt“ ein Sony-Vertreter. „Die Leute wachen
auf und merken: Das Schlaraffenland ist abgebrannt, jetzt müssen
wir was tun.“ Aber was? Genügt es, mit den Versatzstücken
einer verkommenen Militaristensprache eine erhöhte Schlagkraft
der Sales Forces einzufordern? Soll der Konsument noch zielgenauer
ins Visier genommen werden? Soll ihm der finale Blattschuss verpasst
werden, wenn er partout nicht gehorchen will?
Eine knifflige Aufgabe für die in ihrem Denkkäfig gefangenen
Konzernstrategen. Vielleicht fällt dem einen oder andern dazu
etwas ein. Vielleicht kann er sogar mit Hilfe seines Computers neue
Logistikmodelle entwerfen. Aber vielleicht liegt das Problem, wie
es auch der wütende Minister Rumsfeld im Hinblick auf Europa
messerscharf erkannt hat, ja auch einfach darin, dass die Leute
den Krieg nicht mögen, weder den im Irak noch den an der Sales
Front. Und schon gar nicht den in der Sprache.