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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 35
52. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Offenes, undogmatisches, lustvolles Sichten
Das UltraSchall-Festival Berlin feiert fünfjähriges
Jubiläum
„Wo bleibt das Negative?“ fragt UltraSchall im fünften
Jahr seines Bestehens und erinnert damit daran, dass das gemeinsam
von DeutschlandRadio Berlin und vom Sender Freies Berlin veranstaltete
„Festival für neue Musik“ einen Vorläufer
namens „ex negativo“ hatte.
Unter diesem Motto ging auch eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion
auf die Suche nach dem verlorenen Stachel der Avantgarde. Hat die
junge Generation ihren Frieden mit dem Publikum, um den Preis der
Anbiederung mit süffigen Klängen und glatten Struk- turen,gemacht?
Die „reine Lehre“ vertrat Heinz Klaus Metzger, um die
Durchsetzung unbequemer Töne seit Jahrzehnten hoch verdient.
Demnach habe Wahrheit vor Schönheit zu gehen, Kunst vor allem
kritischen Einspruch gegen herrschende Strukturen zu führen.
Schon wenn ein Schönberg vom Philharmonie-Publikum beklatscht
werde, sei das schockierend Neue dieser Musik verloren gegangen,
ereigne sich ein Phänomen der Massenkultur. „Eher Respekt“,
der über die Wahrnehmung des Einzelnen noch nichts aussage,
sah darin Helmut Lachenmann, selbst immer wieder als der „große
Verweigerer“ etikettiert. Im heutigen Medienspektakel könne
nur noch die radikale Sensibilität, die schutzlos dargestellte
eigene Vision provozieren. Ein Matthias Pintscher, der opulenten
Orchesterorgien verdächtig, widersprach da nicht, wollte höchstens
den Hörer „ein Stück auf seinem Weg mitnehmen“.
Auch „Beckmesser“ Max Nyffeler meinte, heutzutage sei
es sinnlos, Klaviere aus dem Fenster zu schmeißen –
im Gegenteil, unser bisschen Kultur ist unbedingt zu verteidigen...
Positionen, die in den UltraSchall-Konzerten klingend nachzuvollziehen
waren. Die Generation um 30 konnte ihr Werk umfangreich wie selten
präsentieren. Porträtkonzerte von Misato Mochizuki, Jörg
Widmann, Thierry Blondeau überstürzten sich geradezu.
Dargeboten vom renommierten Deutschen Symphonie-Orchester Berlin
unter der Leitung von Roland Kluttig faszinierte Widmanns „Lichtstudie“
vor allem durch helltönende Bläserraffinesse in fein ausgehörten
Klangbändern, die beim Absturz ins Dunkle jedoch allzu eindeutige
„Atmosphères“ hervorriefen. Johannes Maria Stauds
Klavierkonzert „Polygon“ mit dem ungemein präzisen
Solisten Thomas Larcher zeigte schärferes Profil: von bildlich-mathematischen
Strukturen angeregte kantige Kraftgesten in vielfältigen Wendungen.
Dennoch, gegen Bernd Alois Zimmermanns erschütternde „Ekklesiastische
Aktion“ verausgabten sie sich im Ungefähr: Was Lachenmann
mit dem „ungeschützten Bekenntnis“ gemeint haben
könnte, wurde hier trotz unkonzentrierter, halbherziger Wiedergabe
bewegend deutlich. Auf ganz anderer Ebene erreichte diese authentische
Sprachkraft nur noch Erhard Großkopf mit den endlich uraufgeführten
„Zwölf Stücken für Streichquartett“ (1998).
Das zunächst fast schulmäßig wirkende Abgreifen
von Instrumentenkombinationen und elementaren Tonfolgen schafft
in komplex-transparenten Gebilden urplötzlich Raum für
die zarte „Berührung der Seele“, die der Komponist
sich wünscht.
Zimmermann blieb Maßstab eines Ich und Welt umfassenden,
Struktur und Emotion in eins setzenden Komponierens. Kein Wunder,
dass dagegen manch anderer gestandene Kollege allenfalls den „avantgardoiden
Dienstleister“ (Lachenmann) abgeben konnte. Beat Furrer etwa
gilt als Sachwalter klanglicher Sensibilität, doch seine „Ultimi
cori“ für gemischten Chor und drei Schlagzeuger erwiesen
sich als recht trockener Katalog der Effekte des Minimalen, des
Geflüsterten und Gezischten, der vibrierenden Reibeklänge,
der sanften Gong- und Glockentremoli. Das ist gewiss Schönheit
ohne Risiko. Der knapp 15 Jahre jüngere Enno Poppe geht den
umgekehrten Weg. Der Träger des Busoni-Preises der Akademie
der Künste – erstmals im Rahmen von UltraSchall vergeben
– steht sich mit seiner zu sperrigen Erfindungen führenden
Systematik lieber selbst im Weg, als der gefälligen Spontaneität
anheimzufallen. Die Ensemblestücke „Gelöschte Lieder“
und „Holz“ erzeugen mit grellem Klangbild und gezackten
Figurationen fast schmerzhafte Intensität, die zu mikrointervallisch
schwankenden Harmonieflächen erstarren.
Neuheit um jeden Preis, im auf Festivals üblichen „Uraufführungswahn“,
will UltraSchall nicht befördern, vielmehr offenes, undogmatisches,
lustvolles Sichten des Vorhandenen. Spektakuläre „Entdeckungen“
sind so kaum zu machen, aber diese „Repertoirepflege des Zeitgnössischen“
vermittelt im Blick auf „Nachhaltigkeit“ nicht weniger
spannende Einsichten und findet erstaunliche Publikumsresonanz.
Das „Neue“, weniger mit avantgardistischem Stachel
als durch zutiefst persönliche Kreativität bestürzend,
ereignete sich wieder einmal da, wo es nicht vermutet wurde: im
crossover-gefährlichen Grenzbereich zwischen Komposition und
Improvisation. Der britische Gitarrist Fred Frith, durch Auftritte
mit Gruppen wie „The Cow“ oder in der „Company“
von Derek Bailey bekannt geworden, inszeniert „Trouble with
Traffic“ mit allen nur erdenklichen Klangmaterialien und -quellen,
traktiert die Gitarre mit Pinseln und Bürsten, lässt Hölzer
aller Größen und Stärken vibrieren, entlockt ihr
entnervendes Gekreisch, Vogelgezwitscher und schmerzliches Wimmern.
Wie sich hier musikalische Prozesse ebenso systematisch wie organisch
fortentwickeln, stets dicht und lebendig bleiben, in reicher Farbigkeit
atemberaubende Polyphonie entsteht, der Faden der Kommunikation
niemals abreißt – dagegen sehen die wohlerzogenen Newcomer
der E-Musik-Szene ganz schön alt aus.