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nmz-archiv
nmz 2003/02 | Seite 60
52. Jahrgang | Februar
Dossier: Musikhochschulen
Eine europäische Metropole – zwei Musikhochschulen
Historischer Luxus oder Standardausstattung einer fast insolventen
Kulturstadt? · Von Christian Höppner
Der heimliche Kultur-, Wissenschafts-, Bildungs- und-und-und –senator
Sarrazin, hauptberuflich Berliner Finanzsenator, träumt von
einer Hochschule, die vor allem möglichst wenig Steuergelder
in Anspruch nimmt. Wer ohne nennenswerte gesellschaftliche Gegenreaktion
die Position vertreten kann, dass eine Oper für die Hauptstadt
reichen müsse, dem liegt die „Vision“ einer Musikhochschule,
frei nach dem Motto „Aus zwei mach eins“, auf der Zungenspitze.
Der Einstieg für dieses Szenario könnten die Verhandlungen
für die Erneuerung der Hochschulverträge, die Ende 2005
auslaufen, sein. Sarrazin fordert eine 20% Absenkung bei den finanziellen
Zuweisungen, was die Hochschulen in ihrem Profil bis zur Unkenntlichkeit
deformieren würde und somit einer Konzentrationsdebatte Vorschub
leisten könnte.
In der Tat kann der Finanzsenator mit seinen berüchtigten
Zahlenfolien eindrucksvoll die desaströse Haushaltssituation
belegen, um in der Folge mit meist aus dem Zusammenhang gerissenen
Zahlenvergleichen (Stadtstaaten, andere Kulturmetropolen) in den
anderen Fachressorts seiner Senatskollegen mit Zirkusreifen Kürzungsvorschlägen
zu wildern. Die Landespolitik ist auch deshalb mehr als bisher gefordert,
die immer wieder verkündete Prioritätensetzung zu Bildung,
Wissenschaft, Kultur und Forschung kassenwirksam werden zu lassen.
Es gibt gute Beispiele in Deutschland, aber auch in einigen europäischen
Ländern, wo die Kämmerer es verstanden haben, dass sie
am besten sparen können, wenn sie in diese Bereiche investieren.
Dazu bedarf es aber auch einer offensiveren Diskussions- und Streitkultur,
die sich nicht nur um das Geld, sondern um Inhalte und Umsetzungskonzepte
dreht. Die zunehmende Ökonomisierung unseres Denkens und Handelns
in fast allen Lebensbereichen verstellt den Blick auf notwendige
Investitionen für eine lebensfähige und lebenswerte Gesellschaft
von morgen und übermorgen.
Dazu gehören die beiden Berliner Musikhochschulen, die es
aus unterschiedlichen Ansätzen heraus verstehen, sich mit den
Bildungs- und Kultureinrichtungen zu vernetzen und die gewaltigen
Potenziale dieser Stadt zu schöpfen. Dieses Potential einer
immer noch beispielhaften Dichte und Vielschichtigkeit in der kulturellen
Infrastruktur ist eine Aufforderung an alle relevanten gesellschaftlichen
Gruppen, Bildung und Kultur als Querschnittsaufgabe zu betrachten
und das Beziehungsgeflecht weiter auszubauen – von der Kindertagesstätte
bis zum Spitzenorchester. So sind beispielsweise die unterschiedlichen
Vorbereitungsprogramme für Kinder und Jugendliche der Berliner
Orchester und die Kooperationen zwischen den Musikschulen und den
allgemein bildenden Schulen hoffnungsvolle Ansätze auf dem
Wege zu einer ganzheitlich verstandenen musischen Bildung. In diesem
Prozess des Verbindungen und Bindungen Herstellens, des Bewußtseinsmachens
dieses Potentials, könnten und sollten die beiden Musikhochschulen
im Verbund mit den Bildungs- und Kultureinrichtungen und den Verbänden
eine zentrale Rolle spielen.
Die mit Promotionsrecht ausgestattete Universität der Künste
beherbergt mit der Fakultät Musik die zweitgrößte
und zweitälteste Musikhochschule Deutschlands. Bei der Hochschule
für Musik Hanns Eisler, die für das kommende Jahr ebenfalls
den Abschluss eines Hochschulvertrages anstrebt, zeigt sich neben
der Besonderheit des Studienganges Kulturmanagement wie bei der
UdK die enge Verbindung zu den Orchestern.
Die Liste der Probleme ist lang und belegt nachdrücklich,
dass im Interesse der Arbeitsfähigkeit beider Einrichtungen,
kein Kürzungspotential mehr vorhanden ist, zumal mit den vorhandenen
Kapazitäten nicht nur der Berliner Raum abgedeckt wird. Vielmehr
ist die Politik jetzt gefordert, zügig die Rahmenbedingungen,
die Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen, zu schaffen oder auf
den Weg zu bringen.
Auf der Basis von Planungssicherheit, Budgetierung und Ressourcenverantwortung
hätten die Hochschulen eine bessere Ausgangsbasis für
die eigenverantwortliche Binnensteuerung und die Fremdmitteleinwerbung.
Hier sollte das besondere Augenmerk auf der Zusammenarbeit mit Stiftungen
liegen, denn die Bereitschaft zum Stiften hat sich mit der Reform
des Stiftungsrechts erfreulich erhöht (2001: 830 und 2002:
750 Stiftungsgründungen).
Die unterschiedlich gewachsenen Profile beider Hochschulen sind
eine Chance bei dem permanenten Abgleich von Schnittmenge und institutsbezogener
Profilierung. Auf dieser Basis einer konkurrierenden Kooperation
wächst die Bereitschaft zu einem partnerschaftlichen Wettbewerb.
Das von beiden Hochschulen gegründete Kurt-Singer-Institut
für Musikergesundheit ist ein gutes Beispiel dafür.
Das im internationalen Vergleich beeindruckende Kreativpotenzial
beider Hochschulen ist auch im Interesse einer möglichst breiten
Verankerung im öffentlichen Bewusstsein eine Verpflichtung
für eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Hier gibt
es insbesondere bei der Universität der Künste noch Nachholbedarf.
Die Attraktivität der Angebote für die Studierenden
aus dem In- und Ausland ist ein Standbein der Hochschularbeit –
die gesellschaftlichen Anforderungen das andere Standbein. Musiklehrermangel,
Pianistenschwemme und das Kontingent frustrierter Nichtsolisten
sind Kennzahlen für einen dringenden Nachsteuerungsbedarf.
In der Balance von „Nachfrage wecken und Nachfrage decken“
müssen Themenfelder wie beispielsweise das sich verändernde
Rezeptionsverhalten und die Auswirkungen auf die Orchester, Verstärkung
des interkulturellen Dialoges und die demographische Entwicklung
mehr und frühzeitiger als bisher in den Steuerungsprozess konzeptioneller
Planung und der Gewichtung der Ausbildungskapazitäten einfließen
als bisher.
Die Hochschule für Musik Hanns Eisler und die Universität
der Künste sind ein historisch bedingtes Geschenk und bilden
zwei Juwelen in dem Gesamtkunstwerk Berlin – einer aufregenden
Stadt voller Ab-, Um- und Aufbrüche.