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Ausgabe 2003/02
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nmz 2003/02 | Seite 49-50
52. Jahrgang | Februar
Dossier: Musikhochschulen

Quo vadis – Musikhochschule?

Wie die Ausbildungsqualität steigen kann · Von Klaus-Ernst Behne

Ein aktuelles Thema in einer Sprache der Vergangenheit nach der Zukunft zu befragen, erscheint vielleicht als wenig originelle, hilflose Floskel, ist aber fast nicht zu vermeiden, denn nachdrücklicher denn je muss gefragt werden, wie die deutschen Musikhochschulen von morgen aussehen sollen, aus der Sicht der Hochschulen, der Studierenden, der Kulturpolitiker und nicht zuletzt der Lehrenden. Rückgang der Arbeitsplätze in Orchestern, an Bühnen, Schrumpfen des CD-Marktes (im Klassikbereich), knapper werdende öffentliche Finanzen, das sind nur einige der Indizes, die Beobachter des Musiklebens immer besorgter fragen lassen, für welche Zukunft die Musikhochschulen hervorragende Musike-rinnen und Musiker unter enormem Einsatz von Steuergeldern ausbilden, wenn deren Arbeit am Ende nicht zu finanzieren ist.

Adressat solcher Fragen ist vor allem die Rektorenkonferenz der bundesdeutschen Musikhochschulen, in der derzeit 23 Institutionen vertreten sind. Zweimal jährlich treffen sich die Rektoren und Präsidenten, jeweils im Januar in Berlin, im Mai reihum in einer der Musikhochschulen im Lande. Beide Treffen sind mit einem Wettbewerb bundesdeutscher Musik-Studenten verknüpft. Auf diesen Konferenzen wird man Antworten bezüglich der oben gestellten Fragen erwarten können.

Als ich 1998 das erste Mal am ehrwürdigen Rektorenkonferenztisch Platz nahm, hatte ich außerordentlich hohe Erwartungen an die Arbeit dieses Gremiums. Um so überraschter war ich, als einige dienstältere Kollegen zu mir als Neuling ihren Unmut darüber artikulierten, dass auf den Rektorenkonferenzen im Wesentlichen über die Regularien der beiden Wettbewerbe diskutiert würde, übrige (strittige) Tagesordnungspunkte auf die nächste Sitzung verschoben oder einer AG anvertraut würden.

Das mag übertrieben geklungen haben, spiegelte aber bis zu einem gewissen Grade die Stimmung bei einem Teil der Rektoren/Präsidenten wider. Dass die Durchführung der beiden Wettbewerbe den Gralshütern der deutschen Musikhochschultradition so wichtig war, liegt auf der Hand: jede/r Rektor/-in, Präsident/-in möchte, dass seine/ihre Studierenden einen Preis ergattern, damit Rektor und Preisträger mit stolzer Brust wieder nach Hause fahren können.


Seitdem hat sich einiges geändert in dieser 23-köpfigen Runde, ich wurde Zeuge, wie das Thema Wettbewerb in eine AG (!) verbannt wurde, die Kolleginnen und Kollegen sich zunehmend ernsthafter fragten, wie es denn um die Zukunft der Hochschulen bestellt sei. Als Folge dieses wachsenden Problembewusstseins gingen die Leiter der Musikhochschulen zweimal mehrtägig in Klausur, um – ohne Öffentlichkeit – alle anstehenden Probleme mit größter Offenheit zu diskutieren.

An sich stehen die 23 bundesdeutschen Musikhochschulen in einem ständigen und harten Wettbewerb. Jede möchte, dass die besten Nachwuchskünstler sich bei ihr bewerben, dass die eigenen Studierenden am Ende die meisten Preise gewinnen, die besten Stellen ergattern oder ihnen überhaupt ein Einstieg in die avisierte Berufswelt gelingt. Insofern könnte man befürchten, diese Versammlung sei eher durch ein Klima des Misstrauens, der skeptischen gegenseitigen Beobachtung, des Ausspähens der Schwächen anderer Standorte gekennzeichnet.

Tatsächlich aber waren die jährlichen Konferenzen wie auch die beiden Klausurtagungen stets von großer Offenheit, Kollegialität und Aufgeschlossenheit bestimmt. Anders hätte es kaum dazu kommen können, dass die Rektoren auf der letzten Klausurtagung im vergangenen Frühjahr sieben Beschlüsse vorbereiteten und im Mai verabschiedeten, die in der Geschichte der bundesdeutschen Musikhochschulen geradezu einmalig, wenn nicht gar revolutionär erscheinen müssen. In diesem Papier heißt es:

„Die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen hält es für notwendig, dass die Qualität des Musikstudiums in Deutschland angesichts des größer werdenden internationalen Wettbewerbs verbessert wird und zugleich die Ausbildungsstrukturen den veränderten beruflichen Anfordernissen gerecht werden. Aus diesem Grunde empfiehlt sie ihren Mitgliedshochschulen, die folgenden Maßnahmen auf ihre Realisierbarkeit zu prüfen.

1. Qualitätssteigerung in den Studiengängen „Künstlerische Ausbildung” und „Konzertexamen” durch Verschärfung der Auswahlkriterien und dadurch Absenkung der Studierendenzahlen und gegebenenfalls Erweiterung des Hauptfachunterrichts von 90 auf 120 Minuten.“

Die – behutsame (!) – Verringerung der Studentenzahlen in bestimmten (!) Studiengängen ist nicht der einzige, aber sicher ein vernünftiger Weg, die Qualität der Ausbildung weiter zu verbessern. Dass unsere Ausbildung weltweit so stark gefragt ist, lässt sich auch an der Zahl der ausländischen Studienplatzaspiranten ablesen. Letzteres ist aber auch ein Reflex auf den Verzicht auf Studiengebühren. Wenn wir am Tage X auch mit Studiengebühren im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, muss vor allem die Qualität der Ausbildung verbessert werden. Das lässt sich (nicht von allen Dozenten begrüßt!) durch eine Ausweitung des Hauptfachunterrichts erreichen oder (von Expertenrunden und vielen Rektorenkollegen gewünscht) durch eine stärkere Gewichtung kammermusikalischer Betreuung. Auch wenn allen Experten klar ist, dass bestimmte Aspekte einer stilistisch verantwortungsvollen Interpretation nur durch kammermusikalische Erfahrungen zu vermitteln sind, weil sie unter anderem polyphones Hören und agogische Sensibilität fördern, gibt es hier nach wie vor große Defizite zu beklagen.

„2. Reduzierung der Konzertexamina, insbesondere im Fach Klavier. Gleichzeitig sollte sicher gestellt werden, dass ein Abschluss im Fach Klavier nur mit einer entsprechenden instrumentaldidaktischen Qualifikation möglich ist.“

Die Schere zwischen denen, die hervorragend ausgebildet werden und denen, die am Markt bestehen können, ist im Falle der Pianisten vermutlich am größten. Auch wenn handfeste Zahlen fehlen (eine an der Universität Paderborn begonnene Absolventenstudie wird frühestens im Sommer 2003 erste Ergebnisse zeitigen), wird man mit folgender Schätzung nicht so ganz falsch liegen: Mehr als 500 Konzertpianisten drängen jedes Jahr neu auf den Markt, finanzieren (im Sinne von Schaffung des Lebensunterhalts) lässt sich durch den Markt aber nur eine zweistellige Zahl von Tastenlöwen, vermutlich weniger als 20. Etliche Hochschulen begegnen diesem Problem bereits dadurch, dass die Studierenden vor der Aufnahme in die Konzert-/Meister-Klasse einen klavierpädagogischen Abschluss vorlegen müssen. Damit ist sicher gestellt, dass der Abstieg vom erträumten Podium in die oft ungeliebte Rolle als Klavierlehrer professionell geschieht.

„3. Erprobung eines „Musikstudiums” nach dem Psi-Modell. Nach einem sechssemestrigen Studium mit einem instrumentalen/vokalen Hauptfach als besonderem Schwerpunkt, einem Nebenfach und Musiktheorie folgt die Entscheidung, ob das Studium pädagogisch (Musikerziehung), im Hinblick auf den Orchesterberuf oder mit einem Profil für freischaffende Musiker/-innen abgeschlossen werden soll. Dadurch sollten diejenigen, die für den Orchesterberuf geeignet sind, optimal für den Berufseinstieg vorbereitet werden, andere Studierende mit einem entsprechenden Profil für eine Tätigkeit als Musiker ohne feste Anstellung (free lance) gerüstet sein.“

Man ist sich einig, dass ein solches Modell (neben den weiterhin vorhandenen Studiengängen) erprobt werden sollte, erst die Praxis kann Gewissheit über die Tauglichkeit eines derartigen Studiums schaffen. Insbesondere die Gestaltung eines Studiums, das gezielt auf eine freiberufliche Tätigkeit vorbereitet, ist noch intensiv zu diskutieren. Wenn hier von einem Psi-Modell statt Y-Modell gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die Wahl zwischen drei (oder mehr) verschiedenen Fortsetzungen des Studiums nach dem sechsten Semester.

„4. Vergrößerung der Zahl von Absolventen in den musikpädagogischen Studiengängen. Dem erschreckenden Anstieg des Unterrichtsausfalls im Fach Musik an allgemeinbildenden Schulen sowie dem zu erwartenden Lehrermangel müssen die Musikhochschulen umgehend mit einer Erhöhung der Aufnahmezahlen in den betreffenden Studiengängen begegnen.“

Mit „musikpädagogischen Studiengängen“ sind hier vorrangig jene gemeint, die auf die allgemeinbildenden Schulen vorbereiten, nicht unbedingt die angehenden Musikschullehrer. Die Umsetzung dieses Beschlusses stößt jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten, weil insbesondere der Studiengang Lehramt Musik an Gymnasien der finanziell wohl aufwändigste Musik-Studiengang ist, hier ergeben sich für die Hochschulen sehr schnell große Kapazitätsprobleme.

„5. Verstärkung der Frühförderung musikalisch Hochbegabter. Die an einzelnen Hochschulen bereits praktizierte Frühförderung muss ausgebaut werden, um spezifische Mängel des deutschen Ausbildungssystems zu kompensieren.“

Die Notwendigkeit einer Frühförderung gerade (aber nicht nur!) von hochbegabten Kindern ist keine neue Erkenntnis, weder bei den Praktikern noch in der Forschung. Die Musikhochschulen sind jedoch auf erwachsene Studenten eingestellt, eine konzeptionell durchdachte Frühförderung lässt sich nicht ohne weiteres umsetzen.
Frühförderung heißt ja nicht, dass Jugendliche als Jung-Studierende an einer Hochschule lediglich Hauptfach-Unterricht erhalten, das gibt es seit Jahrzehnten. Wir müssen hochbegabten Jugendlichen (und Kindern!) ein altersangemessenes Ausbildungsangebot machen, das eine breite Musikalisierung begünstigt, zugleich dafür Sorge tragen, dass Schulbesuch und -abschluss nicht auf dem Altar riskanter pubertärer Solistenträume geopfert werden. Dafür muss – in jedem Bundesland unterschiedlich (?) – geklärt werden, welchen studentischen Status diese „Früh-Studierenden“ haben. Ausbau und Weiterentwicklung der Frühförderung ist vermutlich der wichtigste und dringlichste Veränderungsprozess an den bundesdeutschen Musikhochschulen, der unter Rektoren und Präsidenten vollkommen unstrittig ist, gleichwohl in besonderem Maße von finanziellen Rahmenbedingungen abhängig ist.

„6. Aufbau von alumni-Netzen, um Fort- und Weiterbildung für und mit Ehemaligen zu entwickeln. Durch die dynamische Entwicklung des Musiklebens und der Medien in den vergangenen Jahren sind die Absolventen der Musikhochschulen nicht immer auf eine veränderte Nachfrage beziehungsweise neue Unterrichtsinhalte vorbereitet.“

US-amerikanische Hochschulen werden traditionell in starkem Maße durch die Aktivitäten von Ehemaligen-Vereinigungen geprägt, nicht zuletzt durch finanzielle Förderung. An den bundesdeutschen Universitäten ist seit den 90er-Jahren das Entstehen einer alumni-Kultur zu beobachten. An einigen Universitäten haben sich die alumni schon so erfolgreich organisiert, dass die damit verbundene finanzielle Unterstützung aus den Haushalten nicht mehr wegzudenken ist.

An den Musikhochschulen spielt der finanzielle Aspekt hingegen wohl kaum eine große Rolle, es gibt keine Industrie, die sich hier nennenswert engagiert und die Durchschnittsverdienste von Musikhochschul-Absolventen sind ebenfalls nicht dazu angetan, große Reichtümer anzusammeln. alumni-Vereine an Musikhochschulen müssen sich also anders legitimieren, einmal durch gezielte Weiterbildung sowie vor allem durch vielfältige Kontakte zwischen Absolventen verschiedener Jahrgänge. Eine wirklich intensive Vernetzung der Musikhochschulen und ihrer Studierenden mit den Absolventen werden alle Beteiligten als gewinnbringend erleben. Alumni-Vereine an Musikhochschulen haben eine Zukunft, auch wenn ihr Aufbau mühselig und auch nicht zum Nulltarif realisierbar ist.

„7. Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit. Musikhochschulen wirken nicht nur als Ausbildungsinstitutionen, sondern auch als Anbieter von Kultur. Im Rahmen ihres Ausbildungsauftrages halten die Musikhochschulen jährlich ein Angebot von 150 – 250 Konzerten, Oper-, Tanz- und Schauspielveranstaltungen bereit. Dieser eminent wichtige Beitrag zur städtischen und regionalen Kultur sollte im öffentlichen Bewusstsein stärker verankert werden.“

Auch dies ist keine neue Erkenntnis, doch die notwendige Konsequenz – Umwidmung wenigstens einer Stelle – ließ die Hochschulen lange zögern. Mittlerweile hat sich aber wohl überall die Einsicht durchgesetzt, dass die Musikhochschulen sich von ihrem Selbstverständnis her auch als professionelle Anbieter von Kultur begreifen müssen, wenn sie im Kulturleben von morgen ein Wörtchen mitreden wollen.

Quo vadis?

Die Richtung, in die bundesdeutsche Musikhochschul-Politik sich bewegen sollte, ist also benannt, nun müssen die Hochschulleitungen, die Senate konkrete Entscheidungen treffen und in die Realität umsetzen. Das ist deshalb so schwierig, weil einige der vorgeschlagenen Maßnahmen mit erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden sind. Die Hochschulen müssen sich bewusst sein, dass sie kein steuernfinanziertes Paradies individueller Selbsterfahrung sind, sondern für das Berufsleben, und zwar für das von morgen, ausbilden. Nicht jeder, der davon träumt, als begnadeter Instrumentalist, Sänger, Schauspieler seiner Kunst zu leben, hat einen Anspruch, dies auf Staatskosten zu erproben, um dann am Ende festzustellen, dass er sehr gut ist, aber eben nicht gut genug, um auf einem kleiner gewordenen und sich wohl noch weiter verengenden Arbeitsmarkt bestehen zu können.

Andererseits: Die Musikhochschulen sind der Ort, an dem ohne kommerzielle Zwänge des Marktes ein einmaliges kunstmusikalisches Erbe lebendig gehalten wird, wo der künstlerische Nachwuchs von morgen Freiräume für Experimente haben muss, sonst droht unser Musikleben zu erstarren.

Deshalb kann die Orientierung am späteren Berufsfeld nicht das einzige Kriterium der Musikhochschulplanung von morgen sein. Die Musikhochschulen müssen einen Weg finden, den Spagat zwischen Praxisorientierung auf der einen und höchsten künstlerischen Ansprüchen auf der anderen Seite überzeugend zu bewältigen.

Klaus-Ernst Behne

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